© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/99 13. August 1999


Gedenken: Zum 200. Geburtstag des Staatsrechtlers Robert von Mohl
Pragmatischer Liberalismus
Peter Boßdorf

Robert von Mohl mag es zwar, so bemerkte er jedenfalls in einem sehr freimütigen Lebensrückblick, an politischem Ehrgeiz gemangelt haben, nicht aber fehlte es ihm an Gelegenheiten, in die Zeitläufte aktiv einzugreifen. Als er 1875 in Berlin stirbt, ist er seit knapp einem Jahr Reichstagsabgeordneter und hat sich mit dem neuen Staat bei allem hartnäckigen Unbehagen über Bismarck mehr als nur abgefunden: "In der Hauptsache ist es mir schon recht, was sie da machen."

Sein großer Auftritt liegt zu diesem Zeitpunkt allerdings schon fast drei Jahrzehnte hinter ihm. Der am 17. August 1799 in eine württembergische Honoratiorenfamilie geborene Robert von Mohl findet sich 1848 nämlich als frisch nach Heidelberg berufener Professor der Rechte zunächst im Vorparlament und dann in der Frankfurter Nationalversammlung wieder, deren Geschäftsordnung von seinen Vorschlägen zehrt. In der Paulskirche wird er dem linken Zentrum (der "Fraktion" des "Württemberger Hofes" später des "Augsburger Hofes") zugerechnet, er ist bereit zur Zusammenarbeit mit der "rechten Mitte", aber entschlossen zur Abwehr der radikalen Linken, der sein jüngerer Bruder Moritz – auch er ist Abgeordneter – angehört. Robert von Mohl bekleidet von August 1848 bis Mai 1849 das Amt des "Reichsjustizministers", seinen Möglichkeiten sind hier allerdings sehr enge Grenzen gesetzt.

Wenn es aus diesen Monaten also eher Anekdotisches zu berichten gibt – wie zum Beispiel die militärische Exekution gegen die Homburger Spielbank –, so ist dies sicher nicht ausschließlich auf einen Mangel an politischer Begabung zurückzuführen, einen Mangel, den er selbst allerdings schonungslos konstatiert, hat er ihm doch erst wenige Jahre zuvor seine Tübinger Professur gekostet. Robert von Mohl ist eigentümlich distanziert zu den 1848/49er Ereignissen, obwohl er mitten in ihnen steht. Seinem Handeln scheint jener Bezug zur Praxis abzugehen, der sein politisches Denken auszeichnet: "Über eine induktive Auffindung der Gesetze des Bestehenden ging ich nicht hinaus."

Diese Selbsteinschätzung ist jedoch nur die halbe Wahrheit: Robert von Mohl hatte zur Geschichte, aber selbst zur Verfassungsrealität seiner Zeit ein durchaus instrumentelles Verhältnis. Die Vorstellung, in welche Richtung die Entwicklung verlief, war ausgeprägt und unerschütterlich – sein Biograph Erich Angermann spricht von einer "Vorentscheidung" für das "Prinzip der Volkssouveränität". Gleichwohl war er nicht an der Ausschmückung politischer Visionen interessiert, er versuchte sich vielmehr an einer bruchlosen und daher selten spektakulär auftrumpfenden Fortschreibung des Bestehenden. Wenn die Frage aufgeworfen wird, warum seine Ausstrahlung selbst auf diejenigen Nachgeborenen so gering war, die de facto in seiner Tradition standen, ist es immer auch jener Mangel an einer "poetischen Begabung" sowie einer "Anlage zu metaphysischer Spekulation", der ins Feld geführt wird.

Das Problem, vor dem Robert von Mohl stand, war paradigmatisch für die staatsrechtliche Literatur des Vormärz: Wie sollte die Vermittlung zwischen dem "monarchischen Prinzip" und einer "landständischen" (oder gar einer "repräsentativen") Verfassung vorzustellen sein? Wie konnte die Souveränität des Staatsoberhauptes gewahrt bleiben, wenn er an diese Verfassung gebunden war und eine "Mitwirkung der Stände" zuzulassen hatte?

Die Auffassung, die Robert von Mohl hier vertrat, zeugte von wenig Bemühen, dem Monarchen so viel Einfluß wie gerade noch möglich einzuräumen. Er identifizierte – ohne Anspruch auf Originalität – drei archetypische "Ausbildungen der Repräsentation" seiner Zeit, eine "deutsche", eine "französische" sowie eine "englische", und favorisierte dabei unmißverständlich die letztere (auf der Basis der Parlamentsreform von 1832). Die Regierung sollte dem Parlament nicht nur verantwortlich sein, sie sollte aus dessen Mitte hervorgehen, aus den Reihen der Mehrheitsfraktion bestellt werden. Natürlich hat Robert von Mohl ganz pragmatische Gründe für diese Empfehlung anführen können: daß der Gegensatz zwischen Regierung und Repräsentation in einen solchen zwischen Parteien im Parlament transformiert werden könnte, daß das Ansehen des Staatsoberhauptes nicht durch Regierungshandeln diskreditiert würde.

Hinter diesen versöhnlichen Argumenten war aber eine grausame Drohung nicht zu verbergen: Das parlamentarische Regime wäre wohl der Preis, den die Monarchen dafür zu entrichten hätten, daß die Entwicklung vor dem Erreichen einer Republik zum Stoppen gebracht werden könnte. Robert von Mohl hat bei aller bissigen Geringschätzung, die er den politischen Qualitäten der Fürstenhäuser entgegenbrachte, einer Republik tatsächlich nicht das Wort reden wollen – sicher auch, weil spätestens 1848/49 nachvollziehbar wurde, daß mit ihr einer Entwicklung zur Massendemokratie mit politischer und womöglich auch sozialer Gleichheit kein Riegel mehr vorzuschieben war. Zudem fehlte es ihm an Vertrauen in das Personal, das die Parlamente zu bevölkern begann, und in die Politikfähigkeit des deutschen Liberalismus insbesondere. Viele seiner Aphorismen, die er hierzu formulierte, haben auch nach anderthalb Jahrhunderten eine beunruhigende Frische.

Wissenschaftliche Pionierarbeit hat Robert von Mohl in der Darstellung des US-amerikanischen Verfassungsrechts geleistet. Sein Pragmatismus ließ ihn skeptisch gegenüber der Vorstellung der Gewaltenteilung sein, in der er den Anfang der Staatsauflösung, vor allem aber, geschult am französischen Beispiel, eine Quelle der Korruption sah. Die Staatstätigkeit sollte durch das Recht, aber nicht auf dieses begrenzt sein. Der Begriff des Rechtsstaates ist breit gespannt: Er soll nicht bloß dafür sorgen, daß die Rechtsordnung aufrechterhalten bleibt, sondern auch "vernünftige menschliche Zwecke" unterstützen, "wo und insoweit die eigenen Mittel der einzelnen oder bereits zu kleineren Kreisen vereinigten, Betheiligten nicht ausreichen". Ähnlich wie Lorenz von Stein antizipiert Robert von Mohl kommende Entwicklungen und will sie in geordnete Bahnen lenken. Darüber ist er sogar zu einem Begründer des Sozialliberalismus geworden.


 
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