© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/99 13. August 1999


Kulturförderung: Staatssekretär Michael Naumann will ostdeutschen Stiftungen den Geldhahn zudrehen
Falsches Konzept verhindert Reformen
Doris Neujahr

In den kulturellen Einrichtungen der Vertriebenen herrscht Untergangsstimmung. Im Ostdeutschen Kulturrat und der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen in Bonn sowie im Berliner Deutschlandhaus haben die Angestellten ihre Kündigung zum Jahresende erhalten, über den anderen, weitgefächerten Institutionen schwebt das Damoklesschwert der Abwicklung, der Beschneidung oder einer kaum durchdachten Zusammenlegung.

Ausgangspunkt des drohenden Kahlschlags ist eine neue "Konzeption zur Kulturförderung nach § 96 Bundesvertriebenenförderungsgesetz (BVFG)" aus dem Hause des Kulturstaatssekretärs im Bundeskanzleramt, Michael Naumann. Die Konzeption wurde den Betroffenen Ende Juni von Naumanns Ministerialdirektor Knut Nevermann auf einem kurzfristig anberaumten Treffen eröffnet, eine sachliche Diskussion war nach Aussagen von Teilnehmern nicht möglich. Unbesehen der Proteste – auch von kompetenter dritter Seite –, bekräftigte Naumann einen Monat später die Pläne vor der Presse. Pressevertreter aus dem Vertriebenenbereich waren, ganz im Sinne des von Naumann gepflegten Neoabsolutismus, zur Pressekonferenz gar nicht erst eingeladen worden.

Zur Erinnerung: Der § 96 des BVFG verpflichtet Bund und Länder, "das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewußtsein der Vertriebenen und Flüchtlinge zu erhalten, Archive, Museen und Bibliotheken zu sichern, zu ergänzen und auszuwerten". Außerdem sollen Forschung und Wissenschaft gefördert werden. Zur Zeit stehen dafür jährlich über 40 Millionen Mark zur Verfügung. Das ermöglicht den Aufbau einer reichhaltigen Landschaft aus Museen, Forschungseinrichtungen und Archiven und einem wissenschaftlich-publizistischen Netzwerk.

Damit soll jetzt Schluß sein. Die finanzielle Förderung der genannten Einrichtungen wird "zum frühestmöglichen Zeitpunkt eingestellt", um Geld für eine geplante "Kulturstiftung östliches Europa" freizubekommen, das unter der Aufsicht des Bundes steht. Gleiches gilt für das Museum "Schlesisches Schaufenster" in Königswinter, während das Oberschlesische Museum Ratingen-Hösel geschlossen und in das erst noch zu errichtende Schlesische Museum in Görlitz überführt werden soll.

Das Westpreußische Museum in Münster soll lediglich als Nebenstelle des Ostpreußischen Landesmuseums in Lüneburg bestehen bleiben und das Siebenbürgische Museum in Gundelsheim ins Donauschwäbische Zentralmuseum in Ulm überführt werden. Der für Böhmen zuständige Adalbert-Stifter-Verein wird einem "Südostdeutschen Kulturwerk" zugeschlagen, dessen Einzugsgebiet bis zum Balkan reicht.

Diese und ähnliche Kombinationen zeigen vor allem eines: Die Verfasser haben weder von den einzelnen Kulturregionen noch von der Verteilung der Flüchtlings- und Aussiedlerströme im Nachkriegsdeutschland die geringste Ahnung. Gleiches gilt für das "Regionalkonzept" der geplanten Zentralen Kulturstiftung. Dort will man beispielsweise, ahistorisch, Pommern, Ost-und Westpreußen, die baltischen Staaten sowie nicht näher erläuterte "Teile der GUS-Staaten" unter das Dach "Nordosteuropa" sperren. Dieser künstliche Neuzuschnitt ist mit den bisherigen Strukturen der wissenschaftlichen, kulturellen und Archivarbeit nicht kompatibel.

Wie sich unter diesen Umständen "Synergieeffekte" ergeben sollen, bleibt ein Geheimnis. Im Gegenteil, Verflachung, Verarmung, Wissensverlust werden die Folgen sein.

Der geplante Neuzuschnitt wird mit "Doppelarbeit", Redundanzen und Ineffektiven" der bestehenden Einrichtungen begründet, mit dem "Problem des Selbstreferentiellen" sowie einer angeblichen Ignoranz gegenüber den politischen Veränderungen in den ehemals sozialistischen Staaten. Außerdem könnten die Vertriebenen wegen ihrer Überalterung selber nicht mehr wesentlicher Kulturträger sein.

Zu diesen Generalvorwürfen sei zunächst festgestellt, daß die Archive, Bücher, Museen, Zeitschriften, die über die ehemaligen deutschen Provinzen und Siedlungsgebiete informieren, ganz überwiegend der Initiative der Vertriebenen zu verdanken sind. Bund, Länder und Gemeinden haben Hilfestellungen und Zuschüsse gegeben, aber die Initiative lag bei den Vertriebenen selbst. Naumann und Nevermann wissen offensichtlich nicht, daß die verfügbaren Lexika, Gesamtdarstellungen, Sammelbände in ihrer Mehrzahl aus den kritisierten Kulturinstitutionen kommen oder von ihnen angeregt wurden.

Die "Ostdeutschen Städtebilder" des Ostdeutschen Kulturrates, aus der insbesondere der Band über Königsberg hervorragende Rezensionen in allen wichtigen Zeitungen erhielt, ist einzigartig. Die – noch nicht abgeschlossenen – handlichen Studienbuchreihen der Kulturstiftung und des Kulturrates über die Vertreibungsgebiete waren die ersten ihrer Art. Sie sind wissenschaftlich absolut seriös und können auch durch die opulente Reihe "Die Deutschen im Osten Europas" aus dem Siedler-Verlag nicht ersetzt werden, sie sind teilweise sogar informativer.

Wissenschaftliche Tagungen unter internationaler, mittel- und osteuropäischer Beteiligung finden längst statt, Periodika wie das Nordostarchiv (Nordostdeutsches Kulturwerk in Lüneburg), die Ostdeutschen Gedenktage (Kulturstiftung in Bonn), der Schlesische Kulturspiegel (Kulturwerk Schlesien in Würzburg) sind Foren der Information und des wissenschaftlichen Austauschs. Natürlich ist nichts so gut, daß es nicht noch besser werden kann, und finanzielle Zuschüsse sind kein Naturgesesetz, doch bei den Plänen aus dem Kanzleramt drängt sich der Verdacht auf, daß hier ideologische Schlachten von vorgestern geschlagen werden. Es geht um politische Kontrolle eines suspekt erscheinenden Bereichs.

Die Forderung, die ostdeutsche Kultur müsse "Teil des allgemeinen Kulturaustauschs mit den östlichen Nachbarn werden", ist eine Binsenwahrheit. Zuvor aber muß das, was Objekt des Austauschs werden soll, gesichtet, gepflegt, aufgearbeitet werden. Die geforderten transnationalen wissenschaftlichen Kontakte indes existieren längst. Wenn nun jedoch zukunftsträchtige Wissenschaftler, von denen einige erst Anfang Dreißig sind, und bewährte Institutionen zugunsten einer falsch konzipierten Einrichtung abgewickelt werden, gehen Kompetenzen und Erfahrungen verloren, werden Informationsströme und vertrauensvolle Arbeitsbeziehungen gekappt.

Dabei sind die bestehenden Aufgaben enorm, und neue kommen hinzu: Flächendeckende Regional- und Stadtgeschichten der alten deutschen Siedlungsgebiete, insbesondere über die letzten Jahre vor 1945, müssen endlich die Flut subjektiver Erinnerungs- und Heimatbücher wissenschaftlich ergänzen. Dazu sind die von den Vertriebenen angelegten Heimatkreisarchive zu sichern und zu erfassen; die Vertriebenenzeitungen mit ihren allwöchentlichen Erlebnisberichten müssen endlich als geschichtliche Sekundärquellen ausgewertet werden; alte Stadt- und regionale Zeitungsarchive müssen fotokopiert und zwischen Deutschland und den mittel- und osteuropäischen Ländern ausgetauscht werden.

Der Verband der Osteuropahistoriker Deutschlands hat daher umgehend protestiert und für den Erhalt der "in Jahrzehnten gewachsenen Strukturen" plädiert. Naumanns "zentralistische Konzeptionen stellen keine sinnvolle Lösung dar und können in Fachkreisen nicht überzeugen. Sie sind keine adäquate Alternative zur bisherigen, vor allem förderalen Vielfalt, die (...) auch international angesehene Leistungen hervorgebracht hat". Der polnische Senator und Ex-Außenminister Wladyslaw Bartoszewski, ein Historiker, setzte sich in einem Brief an den Kanzler für das Nordostdeutsche Kulturwerk ein, ähnlich äußerten sich die Präsidenten Litauens und Estlands. Ähnliches hört man aus Rumänien.

Sparen würde man auf absehbare Zeit keinen Pfennig. Das wird sogar im Naumann-Papier eingeräumt, wo von "erheblichen finanziellen Folgeverpflichtungen" über einen "längeren Zeitraum" die Rede ist, die sich aus notwendigen Sozialplänen, laufenden Mietverträgen und den Klagen entlassener Mitarbeiter ergeben. Die ersten Klagen sind schon auf den Weg gebracht.

Andererseits kann nicht bestritten werden, daß Reformen nötig sind, denn die Vorwürfe der Platzhirsch-Mentalität, des Eigensinns, der Pfründewirtschaft, der unzureichenden Nachwuchsarbeit und Unfähigkeit zur Kommunikation sind nicht immer automatisch falsch. Einiges hat sich überlebt, und mancher Wildwuchs kann zurückgeschnitten werden. Einige Beispiele: Im vergangenen Jahr fand in Stettin und in Kiel eine Ausstellung "Stettin in der deutschen und polnischen Malerei des 19. und 20. Jahrhunderts" statt, die unter anderem von der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit finanziert wurde. Ein beachtenswertes Novum. Den polnischen Beitrag im Katalog verfaßte eine kompetente Kunstwissenschaftlerin, während der deutsche Part von einer älteren Dame beansprucht wurde, deren einzige Qualitfikation darin besteht, daß sie der Führung der Pommerschen Landsmannschaft angehört. Entsprechend blamabel liest sich ihr Text. Sowohl in sachlicher Hinsicht, als auch angesichts der vielen arbeitslosen Kunsthistoriker in Deutschland ist das eine Frechheit. Da stellt sich in der Tat die Frage, warum derlei aus Steuergelder finanziert werden muß.

Das Berliner Deutschland-Haus, obwohl zentral gelegen, ist im öffentlichen Bewußtsein der Stadt so gut wie nicht vorhanden. Die Schuld daran kann man nicht Naumann geben. Damit hat das Haus seine Berechtigung verloren. Allerdings verfügt es über eine schätzungsweise zehntausend Bände umfassende Spezialbibliothek, über deren Verbleib sich die Verantwortlichen endlich Gedanken machen müssen.

Der Aufgaben des Ostdeutschen Kulturrates und der Kulturstiftung der Vertriebenen – Offentlichkeitsabeit, Forschung, Preisverleihungen, Organsiation von Tagungen – überlagern sich weitgehend. In den vergangenen Jahren hatte der damalige Innenminister Manfred Kanther höflich insistiert, beide Stiftungen sollten eine Konzeption für eine Fusion erarbeiten. Es ist zum Beispiel schwer begründbar, daß beide Einrichtungen fast identische Studienbuchreihen herausgeben. Es war, zumal angesichts des zu erwartendenden Regierungswechsels, geradezu ein Wahnwitz, Kanthers Drängen zu ignorieren, anstatt selber die Initiative zu ergreifen! Der Focus sprach in diesem Zusammenhang von "unausrottbaren Rivalitäten greiser Verbandspatrone". Diese haben einem fast überall glücklos agierenden Staatssekretär eine Steilvorlage geliefert, um endlich einmal, wie karikaturhaft auch immer, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.

Vorerst bleibt die Hoffnung auf die Flexibilität, Phantasie und Reformfähigkeit der bedrohten Einrichtungen sowie auf die Durchschlagskraft der Argumente und der in- und ausländischen Proteste. Die sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien, Elke Leohnhard, setzte sich im Juli in vorsichtigen Wendungen von Naumann ab: "Da ist ein großes Know-how, und ich fürchte, es wird verlorengehen." Man müsse überlegen, "wie wir das erhalten". Fata Morgana oder Silberstreif am Horizont?


 
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