© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/99 13. August 1999


Parteien: PDS-Fraktionschef Gysi stellt Thesenpapaier vor
Gregorianische Gesänge
Kai Guleikoff

Zum Regelmaß der PDS gehört es, zu gesellschaftlichen Anliegen Stellung zu nehmen. Darum wäre es auch verwunderlich gewesen, hätte es zum Schröder-Blair-Papier keine Antwort gegeben. Diese Antwort heißt "Zwölf Thesen für eine Politik des modernen Sozialismus" und soll Gedanken für einen neuen Gesellschaftsvertrag beinhalten. Nicht zufällig erfolgt die Veröffentlichung wenige Wochen vor den Landtagswahlen in Brandenburg und im Saarland am 5. September.

Der Vorsitzende der PDS-Bundestagsfraktion, Gregor Gysi, faßt in seinem Thesenpapier die Beurteilung der Lage in drei Aussagen zusammen:

1. Der Neoliberalismus hat die Regierungen und internationalen Gremien in Vollzugsorgane transnationaler Unternehmen und internationaler Finanzmärkte verwandelt. Keynesianische Wirtschaftssteuerung wird als Fessel angesehen.

2. Das Steueraufkommen wird vorwiegend aus Lohnsteuern bestritten und stellt dadurch eine hohe Belastung für die Arbeitnehmer dar. Dagegen werden Gewinn- und Einkommenssteuern der Arbeitgeber immer weniger herangezogen. Die Rückkehr zu einer Besteuerung nach den Maßgaben von 1980 würde jährlich eine Steuermehreinnahme von 100 Milliarden Mark für den Staatshaushalt ausweisen.

3. Die Verwaltung der Massenarbeitslosigkeit kostete Deutschland im Jahr 1998 rund 170 Milliarden Mark. Das bisherige "Bündnis für Arbeit" ist gescheitert. Die Wirtschaft zeigt sich nicht in der Lage, eine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt zu bewirken.

Gysi entwickelt in seinem 20-Seiten-Papier ein alternatives Programm zur Überwindung der "Gesellschaftskrise" in Deutschland. Gerade die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung in den neuen Bundesländern über den Fortbestand der sozialen Ost-West-Teilung und der sich daraus entwickelnde Separatismus bilden einen Nährboden für die weitere Entwicklung der PDS zur linken Reformpartei. Die fortschreitende Zerstrittenheit bei der SPD und den Grünen kommt ihr dabei entgegen.

Gysis Thesen sind nicht neu und verleugnen ihre geistigen Väter und Mütter nicht, von Marx bis Luxemburg. An erster Stelle steht die Forderung nach "gerechter Teilhabe" am gesellschaftlichen Reichtum. In Deutschland sei der Reichtum bei nur drei Prozent der Bevölkerung konzentriert. Es gäbe ein privates Geldvermögen von fünf Billionen Mark. Statistisch müßte jeder Deutsche 135.000 Mark auf seinem Konto haben. Zuzüglich des Anlage- und Gebrauchsvermögens, des Grund- und Gebäudebesitzes umfaßt des private Gesamtvermögen in Deutschland 15 Billionen Mark. Im Gegensatz dazu die Verschuldung der öffentlichen Haushalte mit 2,3 Billionen Mark. 16 Prozent der gegenwärtigen Steuereinnahmen fließen in die Zinstilgung.

Gefordert wird im Thesenpapier ein "Sozialsystem der solidarischen Kostenteilung". Die Ausgaben für das soziale Netz betragen rund 1,3 Billionen Mark. Aufkommen müßten dafür letztlich die privaten Haushalte über die Steuern, mit denen der Staat seinen Sozialanteil bezahlt. Das sei ungerecht und erfordere eine "Demokratisierung" der wirtschaftlichen Machtverhältnisse. Die Politik müsse einen öffentlichen Beschäftigungssektor schaffen, der "Aufbau Ost" über eine staatliche Innovationsbank geführt werden.

Ob die Sirenenklänge des "Kleinen Doktors" den Kurs des Staatsschiffes beeinflussen, wird das Wählerverhalten zeigen.


 
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