© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/99 13. August 1999


Mauergedenken
von Kai Guleikoff

Die Einladung zur 121. Pressekonferenz der Arbeitsgemeinschaft 13. August im Haus am Checkpoint Charlie fiel terminlich mit der "Jahrhundertsonnenfinsternis" für Deutschland zusammen. Wer ein Versehen des Veranstalters vermutet, der irrt. Das Interesse am 38. Jahrestag des Mauerbaus vom 13. August hält sich in überschaubaren Grenzen. Dabei gehört das Museum am ehemaligen amerikanischen Grenzübergang ohne Zweifel zu den vielbesuchten Sehenswürdigkeiten der deutschen Hauptstadt. Doch die meisten Besucher suchen lediglich Befriedigung ihrer oberflächlichen Neugierde. Die monatliche Veranstaltung im Museum bezieht Prominente in die Diskussion ein, wie in diesem Jahr Joachim Gauck, Mauermaler Thierry Noir, Kani Alavi von der Künstlerinitiative East Side Gallery e.V. und Hagen Koch vom Berliner Mauer-Archiv. Wer sich über die aktuellen Forschungsberichte zur Bilanz der Todesopfer des DDR-Grenzregimes informieren will oder über den Verbleib und baulichen Zustand der Mauerreste, der kann das im Haus am Checkpoint Charlie tun.

In diesem Jahr jährt sich zum zehnten Male der Tag der Maueröffnung am 9. November. Leider wird zu diesem Jubiläum auch der beklagenswerte Zustand der Überreste letzter Grenzanlagen erhellt und der geschichtsfeindliche Umgang mit Gedenkstätten des 13. August. So wurde die gutbesuchte Gedenkstätte Invalidenfriedhof/Führungsstelle Kieler Eck durch den Neubau eines Hauses in ihrer Mitte zerteilt und dadurch weitgehend entwertet. Diese Denkmalschändung fand in den Medien kaum Beachtung. Hier geht es ja "nur" um deutsche Tote. Die DDR ebnete an dieser Stelle die Gräber historisch bekannter Persönlichkeiten ein, um ein freies Beobachtungs- und Schußfeld zu schaffen. Hier in der Nähe starb am 24. August 1961 Günter Litwin mit 24 Jahren als erster Mauerflüchtling. Nicht sehr weit davon fiel der DDR-Grenzsoldat Peter Göring am 23. Mai 1962 mit 23 Jahren als zweiter Mauerwächter nach deren Errichtung. West-Berliner Polizisten handelten in gutem Glauben und retteten so das Leben eines weiteren Mauerflüchtlings.

Die Wunden innerdeutscher Geschichte häufen sich in Berlin wie in keiner anderen deutschen Stadt. Zeitzeugen und Angehörige der Opfer beider politischen Systeme begegnen sich hier täglich anonym. Aber es gibt auch Veranstaltungen, die den Versuch unternehmen, Täter und Opfer sich erklären zu lassen. Erleichtert wird dieses Vorhaben, indem Gäste aus Korea, Nordirland, Jerusalem, Nikosia und dem Kosovo eingeladen werden. Die Diskussionsreihe "Geteilte Städte – getrennte Völker" im Oktober zeigt die Aktualität der unendlichen Tragödie vom Brudermord.


 
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