© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/99 30. Juli / 06. August 1999


Großbritannien: Blairs Europa-Kurs widerspricht der konservativen Natur der Briten
Atlantische Bindung aus Tradition
M. Walker/ Victor V. Capé

Als in Großbritannien zum ersten Mal Wahlen zum Europaparlament stattfanden, druckte Le Monde eine Karikatur von Plantin. Sie zeigte einen Durchschnittsengländer, den ein Reporter fragt, für welche Partei er in den Europawahlen zu stimmen gedenke. "Europa –was ist das denn?" lautet seine Antwort.

Über zwanzig Jahre später scheint sich wenig verändert zu haben. Sowohl die Gegner als auch die Befürworter der europäischen Integration sind in ihren Erwartungen enttäuscht worden. Immer noch aber ist Gleichgültigkeit stärker als Enthusiasmus. Gegner des gemeinsamen Marktes prophezeiten, daß das britische Volk bald zur Vernuft kommen und gegen die europäische Integration rebellieren würde. Doch von einer solche Rebellion ist bislang nichts zu spüren. Ein Gefühl, Teil Europas zu sein, gibt es bei den Briten nicht, kein europäisches Identitätsgefühl, auf das Befürworter des gemeinsamen Marktes im Laufe der achtziger und neunziger Jahre zählten. Das "wachsende Gefühl einer Identifikation mit der Europapolitik", das etwa ein Edward Heath vor 20 Jahren prophezeite, hat sich bis heute nicht eingestellt. Ob ein Politiker für oder gegen Europa ist,wirkt sich kaum auf sein Ansehen bei den Wählern aus. Robert Maxwells in Paris englischsprachig veröffentlichte ZeitungThe European, um die soviel Aufhebens gemacht wurde, erwies sich nicht einmal als Fehlschlag, da sie gar nicht erst in die Gänge kam.

Der marktwirtschaftlichen Logik zufolge sollte Großbritannien das Pfund zugunsten des Euro aufgeben. Doch bei den Briten stößt dieser Gedanke auf mehr Ablehnung als Zustimmung, auch wenn sich der Euro jüngst bei der Marke von 1.06 US-Dollar bewegt, und damit sichlerlich zur Zeit nicht schwächer ist als dieser.

Die meisten Bürger in Großbritannien äußern sich vage gegen Euro. Auch Tony Blairs Kampagne für den Euro schließt ein vages Versprechen mit ein, hierüber eine Volksabstimmung abzuhalten, wovon die konservative Opposition profitiert, denn sie erinnert Balir stetig hieran. Blairs Sieg über die linken Traditionalisten in seiner Partei hat das antieuropäische Element bei Labour verstummen lassen. Bei den Tories aber werden die antieuropäischen und nationalistischen Töne immer lauter. Die Wahl William Hagues zum Vorsitzenden der Tories bewirkte, daß Labour in Punkto europäischer Integration kürzer zu treten begann. Die EU-Befürworter bei den Tories empfinden den Vorsitz und die anti-europäischen Stimmungsmache von Hagues eher als unerträglich, wenn sie wegen ihrer populistische Wikung auch Erfolge für die Tories zu haben scheint. Die Erfolge bei den Europa-Wahlen haben das anti-europäische Element bei den Tories noch gestärkt. Die EU-Befürworter, zu denen der frühere Finanzminister Kenneth Clarke ebenso zählt wie Margaret Thatchers alter Gegner und ehemalige Verteidigungsminister Michael Haseltine, hoffen auf einen Fehltritt und Sturz Hagues. Nur dann könnten sie hoffen, die Herrschaft der "rechtesten konservativen Parteiführung" der letzten 50 Jahre zu beenden (Finanzminister Gordon Brown).

Die anti-europäische Stimmungsmache der Konservativen in Großbritannien zeigt Wirkung. Nicht nur lehnt die Mehrheit der Briten den Euro ab, auch die Wahlbeteiligung bei den Europawahlen war niedriger als je zuvor. Michael Holmes, Chef der britischen Unabhängigkeitspartei und ein Sponsor der ökologischen Landwirtschaftsbewegung, nannte die luxuriösen Lebensbedingungen europäischer Politiker, die zu Lasten der Steuerzahler gehen, als sein Motiv, eine anti-europäische Liste in dem Wahkampf zu führen – ohne nennenswerten Erfolg. Aber unmittelbar nach Bekanntwerden der Wahlergebnisse zögerte William Hague nicht, Tony Blair zu einem Kurswechsel beim Euro aufzufordern: Er solle den Versuch aufgeben, das britische Volk mit der Einführung einer gemeimsamen Währung zu überrumpeln.

Die derzeitige Stärke des britischen Pfundes bereitet der Regierung Probleme. Die vorhergesagte Rezession in Großbritannien fiel aus. Es scheint nun, als ginge es den Briten ohne den Euro besser. Doch die Insel hat sich seit jeher skeptisch gegenüber dem Gebilde gezeigt, das oft abfällig als "Euro-Superstaat" bezeichnet wird. 1989 bemühten sich die britischen Mitglieder des Europäischen Parlamentes um einen Alternativvorschlag zur europäischen Währungsunion. Er beinhaltete die Beibehaltung und den freien Umlauf aller Einzelwährungen. Mit der Ablehnung dieses Vorschlages durch alle europäischen Regierungen begann die Spaltung der Konservativen, die bis heute anhält.

Der Zwist zwischen dem Europagegner Richard Cottrell und dem Europabefürworter Lord Bethell in der Frage der Agrarpolitik ist kennzeichnend. Sie deutet darauf hin, daß die Anti-Europahaltung der Tories weder einheitliche Parteilinie ist noch sicher so beibehalten wird, wenn europäische Sachzwänge die Pragmatik einer Regierungspolitk bestimmen. Dies macht den Europagegner Hague in seiner Partei bei der Beibehaltung seiner Europa-Ablehnung zu einem Übergangsmann.

Die Labour-Regierung und die Parteiführung der Sozialdemokraten sind ihrerseits wegen des Wahlrechtes bei den Europawahlen in einer unangenehmen Situation. Denn es scheint, als würde das britische Wahlvolk dieses kontinentale System noch ablehnen, obwohl es gerade für die kleinen Parteien gut ist, die vornehmlich gegen Europa agitieren. Für Labour ist das Verhältniswahlrecht jedoch Sinnbild notwendiger Harmonisierung und Stimmengleichheit der Menschen in Europa.

Auch die Skandale um die EU-Kommission hatten eher negative Wirkung auf die Europa-Stimmung in Großbritannien, was die Konservativen für sich zu nutzen wußten. Sie betrachten die EU als eine quasi-sozialistische Melkkuh. So ist ihr Verhalten in der europäischen Völkervertretung eher prolematisch. Treten sie in Ablehnung der Europäischen Integration aus der Europäischen Volkspartei (EVP) aus, die sich ja der Förderung der Euröpäischen Einigung verschrieben hat, verlieren sie auch das Recht auf Komiteesitze. Diese benötigen sie jedoch für eine anti-europäische Politik im Europäischen Parlament.

Eine Annäherung an weiter rechts stehende Parteien wie den französischen Front National würde den Vorwurf ermöglichen, man verbünde sich mit Nationalisten und Faschisten. Dies wäre jedoch für eine bürgerlich-konservative Partei wie die Tories schädlich, beinahe vernichtend und kontraproduktiv, da man die besten Kontakte zu einer über London agierenden jüdischen Geschäftswelt pflegt. Die Tories befinden sich mit ihrer Anti-Europa-Haltung im Parlament in einer ausweglosen Situation. Die Europawahlen haben in ganz Europa den Konservativen Aufwind gegeben. Daß dies von seiten der britischen Konservativen jedoch als eine Absage an "New Labour" interpretiert wird, ist sicherlich voreilig und vernachlässigt die Besonderheit des Eurothemas. Viele Labour-Wähler haben eben kein Interesse an Europa und es ist ihnen egal, was ihre Partei in Straßburg tut oder läßt. Neben dem Euro ist aber die Vorstellung der "Sonderbeziehungen" der Briten mit den USA gerade bei vielen Konservativen Gift für die weitere Europäische Integration.

Es sind nicht nur "englische Provinzianalisten", die gegen eine Annäherung an den Kontinent Front machen, sondern auch "amerikanische Internationalisten", im Sinne guter Beziehungen mit den USA und dem dort vohandenem Kapital.

Der rechte Publizist Paul Johnson hat zu einer Rückbesinnung auf das atlantische Bündnis und zu einer Abkehr von Europa aufgerufen. Das mag politisch wenig sinnvoll sein, zeigt aber, daß nicht einmal alle Befürworter der freien Marktwirtschaft hinter der europäischen Idee stehen. Unter den Konservativen gilt die EU zunehmend als sozialistische Schwindel. Aber auch dagegen ist die neue wirtschaftliberale europäische Sozialdemokratie angetreten.

Tony Blair weiß, daß die meisten seiner innerparteilichen Gegner noch pro-europäischer sind als er und die EU eher reformieren als ablehen wollen. Aus dieser Richtung wird er kaum Störfeuer für seine Kurs bekommen.


 
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