© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/99 16. Juli 1999


Literatur: Zum 70. Todestag von Hugo von Hofmannsthal
Im Dienste geistiger Bildung
Werner Olles

Hofmannsthals Großvater stammte aus Böhmen und war mit einer Italienerin verheiratet. Der Vater war Bankdirektor in Wien. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Wien studierte Hofmannsthal Jura, später romanische Philologie. Im Mai des Jahres 1900 bewarb er sich mit einer Studie über Viktor Hugo um die Venia legendi für romanische Philiologie an der Universität in Wien, zog das Gesuch im Dezember des gleichen Jahres aber zurück. Inzwischen hatte er die Schwester seines Freundes Hans Schlesinger, Gerty, geheiratet und war nach Rodaun bei Wien übergesiedelt. Hier lebte er von 1901 an mit seiner Frau und den drei Kindern, abgesehen von seinen zahlreichen Reisen, die ihn hauptsächlich in die Mittelmeerländer führten, bis zu seinem Tode am 15. Juli 1929.

Hugo von Hofmannsthal war bereits mit 17 Jahren als literarisches Wunderkind an die Öffentlichkeit getreten. Bereits 1890 erschienen in der Zeitschrift An der schönen blauen Donau vier Gedichte, die mit "Loris Melikow" gezeichnet waren. Mit einem Schlag berühmt wurde er mit der dramatischen Studie "Gestern" (1891), die unter dem Pseudonym "Theophil Morren" in der Modernen Rundschau erschien. Der Verkehr mit den Dichtern des "Jungen Wien" und in dem berühmten Café Griensteidl, die entschiedene Abwendung vom Naturalismus und gewisse impressionistische Merkmale sowie Auslassungen in Zeitungen und Zeitschriften gaben Schlagworten wie "Frühreife", "Neuromantik", "Symbolismus", "Ästhetizismus" und "Fin de siecle" Nahrung.

Hofmannsthal selbst hat der Deutung seines Jugendwerkes in den Aufzeichnungen "Ad me ipsum" (1931) den Weg gewiesen. Schon in seinen frühen Gedichten "Welt und Ich", "Der tiefe Brunnen"und "Ich lösch das Licht" wechseln Allverbundenheit und extremste Introversion: Ich als Welt, Welt als Ich, hinzu kommt ein rational nur sehr schwer zu erklärendendes Kulturbewußtsein und ein Gefühl der All-Einheit, vergleichbar dem Pantheismus des jungen Goethe, allerdings nicht im Sinn christlicher Mystik, sonder eher als eine Art Panpsychismus.

Die große Lebens- und Schaffenskrise um die Jahrhundertwende wurde verursacht durch das Heraustreten aus der Präexistenz, wie Hofmannsthal den "glorreichen, aber gefährlichen Zustand" des jungen Menschen im Verhältnis zur Welt bezeichnete. Zeugnisse dieser Krise sind die Werke "Das Bergwerk zu Falun" und der "Brief des Lord Chandos". Seine Schwierigkeiten ins Leben zu finden, waren um so größer, als er zunächst keinen religiösen Glauben besaß. So gab er den mystisch-magischen Weltbesitz preis zugungsten einer dichterischen Welteroberung, und aus dem Lyriker wurde der Dramatiker, der Essayist und der Kulturpolitiker.

Mit den Komödien, die Hofmannsthal als "das erreichte Soziale" bezeichnete, beschritt er den Weg einer nichtmystischen Weltverknüpfung. Dieser erfolgte auf drei Ebenen: Durch die Tat, durch das Werk und durch das Leiden. Alle Komödien, die Hofmannsthal schrieb, sind durch ihre Problemstellungen – Treue und Untreue, Ehe und Vaterschaft – nicht nur untereinander, sondern auch mit dem Frühwerk verknüpft. Für Richard Strauss schrieb er den "Rosenkavalier" (1911) und "Ariadne auf Naxos" (1912). Eine streng christliche Fragestellung zeigte "Jedermann". Sterben bedeutete nicht mehr Verwandlung oder dionysische Erhöhung, sondern das Ende des menschlichen Lebens auf Erden. Glaube und Werk sind in katholischem Sinn aufgefaßt. Das Blut erscheint als Träger des Schicksals und erblicher Belastung. Im "Salzburger Großen Welttheater" wird die Weltautorität als Theatrum mundi dargestellt, die Aktualisierung erfolgt freilich in der Gestalt des Bettlers, der auf die rächende Tat in freier Willensentscheidung verzichtet. Der "Turm" (1922) ist eine Staatstragödie und zugleich Hofmannsthals Vermächtnis. Zugrunde liegt das Zeiterlebnis der sozialen Revolution, verkündet jedoch wird das Evangelium der Gewaltlosigkeit und das Königtum als geistig-sittliche Autorität.

Hofmannsthal wollte das festliche Theater, und er wollte den Erfolg auf der Bühne. Das begründete wohl seine mehr als 20jährige Zusammenarbeit mit Richard Strauss, mit dem er gemeinsam 12 Bühnenwerke schuf. Hofmannsthal wollte Strauss zur Komödie mit Musik, zur Buffa, zur mythologischen Semiseria, zum musikalischen Konservationslustspiel führen. Dies gelang jedoch nur zum Teil, denn die seiner Diktion und seinem Stil, ja dem Geist seiner Stücke mitunter widersprechende Musik von Strauss konnte Hofmannsthal nicht ändern.

Zahlreiche Essays kreisen um das Thema "Wert und Ehre deutscher Sprache". Dabei ist charakteristisch, daß die literarischen und sprachlichen Verhältnisse immer wieder am romanischen Vorbild gemessen werden. Auch im dichterischen Werk ist dieser Einfluß stets nachweisbar, in dieser Hinsicht trat Hofmannsthal in die Fußstapfen Grillparzers, als dessen Fortsetzer er gelten wollte. Mit Stefan George verband ihn hingegen nur die gegenseitige Hochschätzung des dichterischen Werkes. Jedes Mittel, auch das eines gehobenen Journalismus war ihm recht, dem Geist seiner Epoche näher zu kommen. Es ging ihm darum, "daß der Geist Leben werde und das Leben Geist", um die "politische Erfassung des Geistigen und die geistige des Politischen, zur Bildung einer wahren Nation".

Während des Ersten Weltkrieges hatte Hofmannsthal zunächst als Reserveoffizier in Istrien, später im Kriegsarchiv und im Pressehauptquartier Dienst getan. Ab 1916 reiste er in politischer Mission nach Skandinavien und in die Schweiz. Der Untergang des Habsburgerreiches stellte für ihn eine große persönliche Tragödie dar. Von Österreich aus hat dieser Dichter den bisher umfassendsten und letzten Versuch unternommen, für die Deutschen einen neuen Bildungskosmos zu begründen. Dabei hielt sich seine Reflexion durchweg nicht in den Grenzen literarischer Themen, sondern bezog Probleme der politischen und sozialen Wirklichkeit und zeitkritische Fragen zum Selbstverständnis der Zivilisation mit ein. Eine verstehende Deutung und ein auf christlichen Wahrheitsbegriffen begründetes, mehr konservativ als avantgardistisch gestimmtes Zeitbewußtsein waren die wichtigsten Merkmale seiner Essayistik. Sein Endziel jedoch war ein aus antiken, humanistischen und christlichen Beständen erneuertes Europa.


 
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