© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/99 16. Juli 1999


Tierschutz: Bundesverfassungsgericht schiebt Ausweitung der Käfighaltung einen Riegel vor
"Erleichterte Haftbedingungen"
Gerhard Quast

Rund 18,5 Milliarden Eier konsumierten die Deutschen 1997. Über 90 Prozent davon stammen aus der Massentierhaltung, so der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Dicht gedrängt in engen Käfigen der Standardgröße 40 mal 45 Zentimeter hocken dort die Legehennen in mehreren Etagen übereinander, meist völlig ohne Tageslicht. Für jedes Tier muß laut Legehennenverordnung "eine uneingeschränkt benutzbare Käfigbodenfläche von mindestens 450 Quadratzentimern vorhanden sein". Daran orientiert sich der Großteil der agrarindustriellen Betriebe in Deutschland: In jedem Käfig werden vier Tier eingepfercht. Den gequälten Kreaturen wird somit nicht einmal die Fläche eines DIN-A4-Blattes zugebilligt. Statt im Boden zu scharren und im Sand zu baden, stehen sie auf Gitterböden, durch die der Kot direkt auf ein Förderband fällt. Das Futter rutscht computergesteuert in die Tröge. Die Eier rollen über leicht nach vorne geneigte Spalten in eine Sammelrinne. Das Geschäft mit diesen Fließband-Eiern machen vor allem agrarindustrielle Großbetriebe mit mehr als 100.000 Legehennen: 73 der insgesamt rund 220.000 Betriebe in Deutschland halten allein 40 Prozent aller Legehennen. Daß der Trend zur Massentierhaltung nach wie vor ungebrochen ist, darauf hat der agrarpolitische Sprecher des BUND, Hubert Weiger, anläßlich der diesjährigen Internationalen Grünen Woche in Berlin aufmerksam gemacht. Nach Recherchen des Umweltverbandes waren zum Jahreswechsel 1998/99 bundesweit insgesamt 56 Großanlagen in Planung. Neben Anlagen für Mastschweine und Masthühner auch solche für Legehennen: In Neubukow (Mecklenburg-Vorpommern) will beispielsweise die Mecklenburgische Frischei GmbH eine Anlage für 794.000 Hennenplätze errichten, in Hinterweidenthal (Rheinland-Pfalz) plant die Ehlego-Landgut GmbH auf einem ehemaligen Nato-Tanklager eine Eierproduktion mit 1,25 Millionen Legehennen, und in Wandersleben (Thüringen) beantragte die Philipp Zimmerer GmbH eine Aufstockung auf 1,17 Millionen Legehennenplätze.

Doch diese und zahlreiche weiteren Vorhaben könnten durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) möglicherweise komplett in Frage gestellt werden: Vergangene Woche entschied der Zweite Senat unter dem Vorsitz von Gerichtspräsidentin Jutta Limbach (Az.: BvF 3/90), daß die "Verordnung des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Schutz von Legehennen bei Käfighaltung" aus dem Jahre 1987 gegen das Tierschutzgesetz (TSchG) verstoße und deshalb unwirksam sei. Bereits genehmigte und in Betrieb befindliche Anlagen seien davon zwar weitgehend unberührt, neue Genehmigungen dürften auf Grundlage dieser Verordnung jedoch nicht mehr erteilt werden.

Bemängelt wurde nicht nur der geringe Lebensraum, der dem einzelnen Tier in der Verordnung gewährt wurde, sondern auch, daß die Hennen weder gleichzeitig nebeneinander ruhen noch gleichzeitig fressen könnten, weil die Länge der Futtertröge dies nicht zulasse. Eine neue Verordnung müsse diesen Kriterien unbedingt Rechnung tragen, so das BVerfG. Offen läßt das Karlsruher Gericht, ob die Käfige so groß sein müssen, daß die Tiere auch scharren, picken und sandbaden können, wie es das Land Nordrhein-Westfalen in der mündlichen Verhandlung im April gefordert hatte. Allerdings verweisen die Richter darauf, daß die Anforderungen der Paragraphen 1 und 2 TSchG ("verhaltensgerechte Unterbringung") erfüllt sein müssen.

Tierschützer werteten das Urteil über die Legehennenverordnung als "richtungsweisend", einen "großen Tag für den Tierschutz" und ein "erstes Etappenziel". Gleichzeitg fordern sie Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) auf, die Feststellungen des BVerfG "voll umzusetzen" und neue Haltungsbestimmungen zu erlassen, damit deutsche Legehennen "endlich in Übereinstimmung mit dem Tierschutzgesetz artgerecht und verhaltensgemäß untergebracht werden", so Brigitte Rusche, Vizepräsidentin des Deutschen Tierschutzbundes (DTB). Eine "vernichtende Absage an die weitere Industrialisierung der Landwirtschaft", sieht der Naturschutzbund Deutschland (NABU) in dem Urteil. Für Peter Westenberger, den fachpolitischen Geschäftsführer des BUND, entlarvt die BVerfG-Entscheidung "alle bisherigen Agrarminister als Tierquäler, denn sie haben die nun für nichtig erklärte Hennenhaltungsverordnung unterstützt".

Da verwundert es ein wenig, daß einer dieser "Tierquäler", Landwirtschaftsminister Funke, das Urteil begrüßt, obwohl ausgerechnet er bei der Anhörung mit der Autorität seines Ministerpostens gegen die Klage Nordrhein-Westfalens Stellung bezog und vor einer Abwanderung von Betrieben ins Ausland als Folge eines "deutschen Alleinganges" warnte. Funke hat sich allerdings keineswegs über Nacht zu einem Vorkämpfer für artgerechte Haltungsmethoden gewandelt; er favorisiert vielmehr die erst vor einigen Wochen beschlossene EU-Richtlinie zur Hennenhaltung. In dieser wird den Hennen mehr Platz sowie Sitzstangen und Scharrmöglichkeiten zugestanden. Doch die neue Richtlinie ist keineswegs das, was sich Tierschützer unter einer artgerechteren Haltung vorstellen. In dem europäischen Übereinkommen werden den Legehennen ab dem Jahr 2003 lediglich 550 Quadratzentimeter zugebilligt. Daß damit keine spürbare Verbesserungen der Haltungsbedingungen einhergehen können, kann kaum bezweifelt werden. Dieser Kompromiß entspricht auch keineswegs den Vorgaben des deutschen Gerichts. Dieses hatte errechnet, daß mindestens 690 Quadratzentimeter für ein gemeinsames Ruhen der Hennen notwendig sind. Das verdeutlicht, wie bescheiden der EU-Kompromiß ausgefallen ist.

Doch das Urteil könnte auch über die Legehennenverordnung hinaus Konsequenzen nach sich ziehen. Zwar verliert das Gericht kein Wort zum Beispiel über Schweinemastanlagen und deren mögliche Unvereinbarkeit mit dem Tierschutzgesetz, Planungen wie in Mecklenburg-Vorpommern, wo 17 Anlagen mit jeweils bis zu 14.600 Mastplätzen errichtet werden sollen, könnten durch die Verunsicherung der Investoren trotzdem in Frage gestellt werden.

Daß nicht nur Legehennen "erleichterte Haftbedingungen" verdient haben, darauf hat bereits der Tierschutzbund in einer ersten Stellungnahme hingewiesen. Der DTB will notfalls nicht nur mit Klagen für eine Umsetzung des Urteils in Verordnungen sorgen, sondern hat gleichzeitig wesentlich schärfere Bestimmungen für alle Formen der industriellen Nutztierhaltung gefordert. Neben den Legebatterien betreffe dies nach Ansicht der Vizepräsidentin Brigitte Rusche zum Beispiel auch die Schweinemast, die industrielle Putenaufzucht, die Anbindehaltung von Rindern sowie die Käfighaltung von Pelztieren. Und wenn Funke die neue EU-Richtlinie zur Legehennenhaltung als vorweggenommene Umsetzung des BVerfG-Urteils ansieht, irre er. Die Richtlinie erfülle keineswegs die Vorgaben des BVerfG-Urteil. Zwar verbiete diese Richtlinie neue Legebatterien ab dem Jahr 2012, doch sei die Haltung von Hühnern in ausgestatteten Käfigen auch noch über dieses Jahr hinaus möglich. Der DTB sieht auch in der schrittweisen Vergrößerung der Käfige in den Legebatterien ab dem Jahr 2003 keine substanzielle Verbesserung. Erst die vollständige Abschaffung dieser Käfigbatterien verringere das Leid dieser Tiere in zufriedenstellendem Maße.

Unmißverständlich machte der Tierschutzbund klar, daß das Urteil von Karlsruhe nur der erste Etappensieg war. "Wir kämpfen weiter, bis das letzte Huhn aus dem Käfig und das letzte Schwein aus dem Stall befreit ist."


 
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