© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/99 16. Juli 1999


Jugendliche: Linksextremisten mobilisieren verstärkt an deutschen Schulen / Ein JF-Gespräch mit Schülerinnen
"Die machen sowieso alle, was sie wollen"
Sebastian Sasse

Die Zuwachsraten linksextremistischer Antifa-Aktionen steigen unter Jugendlichen und Schülern überdurchschnittlich an. Das stellte das Bundesamt für Verfassungsschutz vergangene Woche in einem aktuellen Bericht fest. Rund 100 linksextremistische Jugendorganisationen rufen an Deutschlands Schulen mit militanten Parolen zur Anwendung von Gewalt gegen vermeintliche Rechtsextremisten auf. Ausdrücklich weist der Verfassungsschutz darauf hin, daß diese Gruppen lediglich versuchten, Jugendliche für die militante linksextremistische Szene zu mobilisieren.

So habe sich auch die Anzahl der Gewaltverbrechen der meist noch nicht einmal volljährigen Schüler auf 260 Fälle verdoppelt. Eine besonders starke Öffentlichkeitsarbeit entwickelt dabei nach Angaben des Verfassungsschutzes die "Antifaschsitische Aktion/Bundesweite Organisation" (siehe Infokasten auf dieser Seite). Mit Parolen wie "Antifa heißt Angriff", "Widerstand ist wunderbar! Kommt zur Jugend-Antifa!" oder "Nicht nur Castor stoppen, das System zerkloppen!" rufen die Extremisten in ihren kostenlos vor Schulen und Jugendclubs verteilten Broschüren die Schüler dazu auf, sogenannte "Streetfighter" zu werden und gegen das angeblich faschistische System in der Bundesrepublik zu kämpfen.

Wie weit die Bereitschaft zur konkreten Gewaltanwendung geht, zeigen die Ausführungen eines "Antifaschisten", der unter dem Pseudonym "Scatman", in der November-Nummer der Zeitschrift radikal aus dem Jahre 1995 "einige Überlegungen zum ‘politischen Mord’" anstellt: "Ich bin nicht grundsätzlich gegen das Töten von Menschen (…) Der Alltag des Systems (…) kostet täglich zigtausend Menschen das Leben, die für den Profit und die Machterhaltung der Herrschenden auf der Strecke bleiben (…) Wenn sie dazu dient, eine Gesellschaft herbeizuführen, in der alle die Bedingungen für ein menschenwürdiges Leben haben, kann die Tötung von Einzelnen, die dieses Ziel zu verhindern suchen, ein legitimes Mittel sein. Nicht aus Rache oder einer Haltung, die das Leben dieser FunktionärInnen des herrschenden Systems als minderwertig definiert, sondern aus ‘Notwehr’, im Interesse aller."

Die Autonomen verfügen über ein festes Organisationsgefüge, so entwickelt wiederum in der Zeitschrift radikal im Oktober 1991 ein Autor eine konkrete strategische Vorgehensweise für den "politischen Kampf": "Die erste Ebene bezieht sich darauf, mit vielen anderen auf Demos zu gehen, politische Kampagnen zu organisieren, d.h. völlig legal politische Arbeit zu machen. Als zweite Ebene verstehe ich, mit vielen anderen nachts loszuziehen, Schlösser zukleben, sprühen, halt eine Art Massenmilitanz. Und ein dritter Teil sind dann die klandestinen militanten Aktionen, wie Brandsätze deponieren etc."

Unter den klandestinen militanten Aktionen hat man sich planvolle "Anschläge gegen Sachen" vorzustellen, die nachträglich in sogenannten Bekennerbriefen gerechtfertigt werden.

Diese Aspekte legen die Vermutung nahe, daß sich deutsche Schulen langsam, aber sicher in "autonome Zellen" verwandeln. Doch stimmt dieser Eindruck mit der Realität überein? Existieren an unseren Schulen wirklich radikalisierte Kleingruppen, die die Schulhöfe in Bürgerkriegsschauplätze ihres politischen Kampfes verwandeln wollen?

Die JUNGE FREIHEIT ist diesem Phänomen genauer nachgegangen und hat Gespräche mit Schülern geführt: Wie denken sie über politischen Extremismus oder haben sie überhaupt keine Meinung hierzu? Lehnen sie Gewalt als Instrument der politischen Auseinandersetzung ab? Unterstützen sie die linke Kritik der "Antifa" am System der Bundesrepublik oder sind sie vollkommen unpolitisch und interessieren sich eher für die Love Parade?

Es scheint zunächst tatsächlich so, sie interessieren sich stärker für die Love Parade. Als Ort für unsere Befragung hatten wir uns eine Realschule in Berlin-Neukölln ausgesucht. Ein Altbau, vermutlich noch aus der Gründerzeit stammend, mit ordentlich gepflegten Grünflächen, um ihn herum stehen verschiedene Schülergruppen, vornehmlich in Trainingshosen gekleidet. Heute ist also Sportfest, bald fangen ja auch die Sommerferien an.

Ich steuere auf eine Gruppe von drei Mädchen zu. Sie tuscheln und lachen, machen auf mich weniger den Eindruck einer "autonomen Zelle" als einer ganz normalen Mädchenclique. Also Durchschnittsschüler, die idealen Gesprächspartner. Denn gerade diese sind es ja, die die "Antifa" mit ihrer Propaganda politisieren will. Ich beginne ein Gespräch mit ihnen. Es stellt sich heraus, daß sie Andrea, Eileen und Marta heißen und 14 bis 15 Jahre alt sind. Auszüge aus dem Gespräch:

Wie würdet Ihr Euren politischen Standort bestimmen? Eher links oder rechts orientiert?

Andrea (15): Politik? Ich habe überhaupt keine politische Meinung!

Marta (14): Ich bin da neutral!

Welche Hoffnungen setzt Ihr in das herkömmliche Parteiensystem im Hinblick auf politische Ziele, die Du gerne verwirklicht hättest?

Eileen (15): Ich habe kein Vertrauen in die Politik!

Was meinst Du damit genau?

Eileen: Die machen doch sowieso alle, was sie wollen. Wenn die einmal gewählt sind, dann interessiert die doch gar nicht mehr, was wir uns vorstellen.

Was stellst Du Dir denn vor?

Eileen: Nichts bestimmtes. Vielleicht, daß man mehr für Jugendliche macht: Jugendclubs oder so.

Ihr findet Euch also im Rahmen der etablierten Parteipolitik nicht wieder. Findet Ihr denn, daß es in Deutschland eine außerparlamentarische Opposition geben soll, die auf solche Defizite hinweist? Würdet Ihr Euch in einer solchen Gruppe engagieren?

Marta: Die würden doch auch nur wieder versuchen, ihren eigenen Vorteil durchzusetzen. Mitmachen würde ich da auf keinen Fall, da habe ich besseres zu tun!

Andrea: Ich hätte keine Lust dazu, weil das doch sowieso nichts bringt.

Habt Ihr Verständnis für Gruppen, die auch Gewalt anwenden, um auf ihre Ziele aufmerksam zu machen?

Andrea: Gewalt lehne ich ab!

Eileen und Marta: Wir auch!

So endete das Gespräch: Die Mädchen zogen sich wieder in ihre Kleingruppen zurück und tuschelten weiter. Mit einer Intensität, die bei ihrer Befragung leider zu vermissen war. Aber es ist für Schüler vermutlich wirklich spannender, über Privates zu sprechen als über Politik zu diskutieren.

Dieses Gespräch ist natürlich nicht repräsentativ, gibt aber Eindruck von einem zwar vorhandenen, aber nicht näher definierten Politikbewußtsein von Schülern. Man lehnt Gewalt ab, weiß aber eigentlich nicht wieso; man reagiert aus einem emotional fundierten Unterbewußtsein heraus. Mit der vorherrschenden Politik ist man ebenfalls nicht zufrieden, zeigt aber auch keine Bereitschaft, an der Veränderung der beanstandeten Mißstände mitzuarbeiten. So läßt sich die politische Meinung der befragten Schülerinnen auf einige Schlagwörter reduzieren, die zusammenhangslos nebeneinander stehen.

Dieses Potential will – wie der Verfassungsschutz in seinem Bericht ausführt – die "Antifa" für ihre Zwecke nutzen. So wird dort das "Auftaktpapier der Antifaschistischen Gruppe Hamburg" von 1996 zitiert, in dem begründet wird, warum es sinnvoll sei, Jugendlichen den "Kampf gegen Nazis" darzustellen: "Auf strategischer Ebene: zuerst ist dieser Ansatz sehr gut bündnisfähig (…) aufgrund der nationalszialistischen Geschichte. (…) Es bedarf also keiner großen agitatorischen Vorarbeit. (…) Bei eigener direkter Betroffenheit werden die Konflikte mit Nazis unmittelbare persönliche Realität und somit wieder als Alltagsproblem begriffen. Auf dieser Basis können auch weitere Aspekte antifaschistischer Politik vermittelt werden. (…) Dabei ist es von Vorteil, daß Militanz als gerechtfertigtes Mittel des Widerstandes begriffen werden kann. (…) Die Auseinandersetzung mit Nazis führt letztendlich zur Konfrontation mit der Staatsmacht in Form der Polizei, des Repressionsapparates."

Außerdem besäßen Jugendliche ein nur "diffuses Politikverständnis, was sich auf die bloße Ablehnung von Nazis reduzieren" könne. Hätte man dieses Bewußtsein unter den Jugendlichen einmal geschaffen oder entsprechend angeheizt, gelte es gemäß dem Motto "lieber handeln als reden (…) Jugendliche zu politisieren, zu mobilisieren und zu organisieren." Der "strukturelle Touch" der autonomen Szene wirke auf einen Großteil der Jugendlichen sympathisch, daher sei es wichtig, ihnen "das Gefühl zu geben, daß Menschen da sind, die sich um sie bemühen und Interesse an ihnen haben (z.B. Einladen zu Parties, Café, Veranstaltungen, Anbieten von Unterstützung bei Nazi-Streß, Mitfahrgelegenheiten zu Demos etc.)".

Die "Antifa" beweist also in ihren Überlegungen durchaus ein Gespür für die politische Grundstimmung unter Jugendlichen: Von Schule und Elternhaus wird ein nicht weiter differenziertes Geschichtsbild vermittelt, das pauschalierend die Geschehnisse als gut oder böse (bzw. faschistisch) bewertet. Im übrigen wird die politische Bildung des Kindes vernachlässigt, ein eigenes Meinungsbild ist nicht erforderlich; es reicht aus, wenn das Kind die Schlagwörter, die es im Fernsehen, in der Schule oder sonstwo hört, nachbeten kann. Diese Bewußtseinslage gilt es durch ein paar Stichworte, wie es die "Antifa" tut, zu reizen und schon sind die Jugendlichen politisch mobilisierbar.


 
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