© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/99 16. Juli 1999


Iran: Die Studentenunruhen in Teheran könnten zu politischen Umwälzungen führen
Fundis unter Druck
Michael Wiesberg

Am Montag gingen Teheraner Studenten bereits zum vierten Mal in Folge auf die Straße, um für politische Veränderungen zu protestieren. Sie haben damit den geistlichen und politischen Falken im Lande signalisiert, daß sie bereit sind, die politische Auseinandersetzung um die Zukunft des Landes zu führen. Wenn nicht alles täuscht, werden diese Proteste das Gesicht des Iran grundlegend verändern. Dies gilt auch dann, wenn es den Fundamentalisten gelingen sollte, die Flamme der Veränderung auszutreten.

Ausgelöst wurden die Proteste insbesondere durch die immer weiter gehende Einschränkung der Pressefreiheit. Diese Maßnahmen sind Ausdruck des zum Ausbruch gekommenen Machtkampfes zwischen der islamistischen Geistlichkeit und dem Reformflügel um Präsident Mohammed Khatami. Die Studenten unterstützen den Reformflügel bis hin zur offenen Kritik an dem geistlichen Führer des Landes, Ayatollah Ali Khamenei. Associated Press berichtete, daß die Studenten mit Parolen wie "Tod dem Despotismus, Tod den Diktatoren!" durch Teheran gezogen seien. Ein Vorgang, der bisher undenkbar schien.

Es greift deshalb nicht zu weit, wenn man die Demonstrationen und die Polizeiübergriffe als Wendepunkt im Iran deutet. Das verdeutlichte der stellvertretende Chefredakteur der englischsprachigen Iran News in Teheran in einem Interview: "Zum ersten Mal erscheinen die politischen und geistlichen Falken in einem negativen Licht. Es gibt für ihre Aktionen keine offene Unterstützung. Sogar politisch rechts stehende Gruppierungen verurteilen ihre Übergriffe als nicht akzeptabal. Deshalb gibt es eine ganze Reihe von Beobachtern, die glauben, daß die derzeitigen Ereignisse der Anfang vom Ende jener kleiner extremistischen Gruppen sein könnte, die bisher tun konnten, was sie wollten."

Was zunächst als friedliche Demonstration auf dem Teheraner Universitätsgelände begonnen hat, ist nun in dem Ruf nach tiefgreifenden politischen Reformen gemündet. Die Eskalation ist insbesondere auf einen gewalttätigen Überfall auf Studenten nahe einem Teheraner Wohnheim zurückzuführen, für den einmal islamistische Schlägertrupps ("Ansar e-Hizbollah"), zum anderen die Polizei verantwortlich gemacht wird. Sechs Studenten sollen bei diesem Angriff ums Leben gekommen, Dutzende ins Krankenhaus eingeliefert worden sein.

Der Übergriff hat im Parlament wegen der immer breiter werdenden Entfremdung zwischen der iranischen Intelligenz und den Sicherheitskräften eine spürbare Verunsicherung ausgelöst. Wohl auch deshalb kam es zu einer fast durchgehenden Verurteilung des Überfalls, ein Vorgang, der selbst Beobachter der Teheraner Szene überrascht hat.

Aus Sicht der Studenten sind Präsident Khatamis vorsichtige Reformversuche bisher zu langsam vorangekommen. Khatami ist nach seiner Amtsübernahme im Mai 1997 mit der Devise angetreten, im Iran rechtsstaatliche Verhältnisse herstellen zu wollen. Ein Versuch, der bisher nur mühsam umgesetzt werden konnte, weil Parlament, Rechtsprechung, Sicherheits- und Nachrichtendienste und auch Armee nach wie vor in Händen der politischen Falken sind. Dennoch ist es ihm gelungen, hier und da Erfolge zu erzielen. So zum Beispiel im Zusammenhang mit den Morden an fünf linksliberalen Intellektuellen, die durch eine Todesschwadron des Geheimdienstes umgebracht wurden. Khatami setzte durch, daß die Namen der Mitglieder dieses Kommandos veröffentlicht werden mußten.

Der Versuch, die Pressefreiheit mit drakonischen Mitteln zu unterdrücken, ist auch gegen Khatami gerichtet. Praktisch alle wichtigen Zeitungen haben seine Politik unterstützt, so daß die Medien den Falken mehr und mehr ein Dorn im Auge sind. Aus deren Sicht propagieren die Medien einen Freiheitsbegriff, der zum Mißbrauch geradezu einlädt. Sie versuchen daher, die Anzahl der publizistischen Kanäle einzugrenzen, die "extremistische Positionen" verbreiten.

Von symbolischer Bedeutung für die Vorgänge dürfte die Tatsache sein, daß die Demonstranten am letzten Freitag Teile der "Straße der Revolution" blockierten, derselben Straße, auf der die Demonstrationen begannen, die zum Sturz des Schah und zur Etablierung der islamistischen Regierung führten. Angesichts der schweren Verwerfungen in der iranischen Gesellschaft ist nicht auszuschließen, daß auch die aktuellen Demonstrationen der Auftakt für eine tiefgreifende politische Umgestaltung des Iran und damit der ganzen Region sein könnten.


 
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