© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/99 09. Juli 1999


Bonn/Berlin: Mit dem Umzug endet die Nachkriegszeit
Abschied und Aufbruch
Oliver Geldszus

Besser hätte man es kaum machen können: Bonn war unmittelbar nach 1945 der ideale Ort für einen Neuanfang inmitten der psychischen und realen Trümmerlandschaft, die der Zweite Weltkrieg als Hypothek hinterlassen hatte. Als der alte Adenauer 1949 Bonn und nicht Frankfurt am Main mit seinem Veto zum Regierungssitz machte, hatte er eher private Erwägungen dabei im Blick, denn Bonn lag so schön in der Nähe seines geliebten Köln. Doch wider Erwarten selbst der damaligen Bonn-Befürworter machte in den folgenden Jahren die "kleine Stadt in Deutschland", wie sie John le Carré in einem seiner Thriller nannte, gar keine schlechte Figur als Zentrum der bundesrepublikanischen Politik.

Bonn stand in all den Jahren geradezu augenscheinlich für Bescheidenheit nach der Hybris des Dritten Reiches; jede Militärparade mit lautem Säbelrasseln die Adenauerallee entlang hätte sich gründlich lächerlich gemacht. Bonn wurde somit zum steingewordenen Symbol der Einkehr, die sich der westdeutsche Teilstaat, von der jüngsten Vergangenheit noch gehemmt und kontaminiert, selbst auferlegt hatte.

In den Jahren bis zur Wiedervereinigung, als die Bundesrepublik nur bedingt ein souveräner Staat war, war die liebliche Kleinstadt am Rhein, die Wolfgang Koeppen zu Unrecht als "Treibhaus" diffamierte, durchaus nicht die schlechteste Wahl als Regierungssitz. Berlin war ohnehin unter Kontrolle der Alliierten; eine hier ansässige Regierung wäre zwangsläufig noch viel stärker von den Amerikanern beeinflußt worden als in Bonn.

Hier aber, inmitten des rheinischen Temperamentes, entwickelte sich ein politisches Klima, das überschaubar war und dem Volk die versprochene demokratische Nähe nicht nur vorgaukelte. All die Ministerien, Bürohäuser und Landesvertretungen mit ihren Vor- und Hintergärten, ihren schlichten Fassaden und ihrem beamtenhaften Charme waren alles andere als furchteinflößend und vermittelten einen imperialen Geschmack höchstens im ironischen Sinn. Entsprechend hat das kleine Bonn als "Bundesdorf" unendlichen Spott in den vergangenen Jahrzehnten einstecken und aushalten müssen.

Aber Bonn war eben nur Provisorium und nie Hauptstadt Deutschlands, und es machte sich eigentlich erst in dem Moment wirklich lächerlich, als es ganz am Ende seiner Tage nicht mit Würde von der Weltbühne abtrat, sondern aussichtslos versuchte, die Metropole Berlin auszustechen. Vor allem an der Architektur läßt sich nachvollziehen, wie Bonn in den achtziger Jahren, als an die Wiedervereinigung nicht einmal mehr das innerdeutsche Ministerium glaubte, versuchte, den Geruch des Provisorischen abzuschütteln und wirkliche "Hauptstadt" zu werden. Als Folge dieser Fehlkalkulation verbleibt der Stadt nun der neue Plenarsaal als teure Reminiszenz an die alte Funktion als Bundeshauptstadt.

Exakt 2985 Bundestagssitzungen hat Bonn erlebt, Tausende Staatsgäste der Republik ertragen und erduldet. Hier gelang die Konsolidierung der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren, die Verankerung in der Europäischen Gemeinschaft und der Nato sowie die Aussöhnung mit Frankreich. Bereits geographisch stand das linksrheinische Bonn eindeutig für die Westausrichtung der Bundesrepublik, für die freiwillige Zuordnung zu den Koordinaten des westlichen Wertesystems. Berlin wird auf dieser Basis hingegen die andere außenpolitische Aufgabe Deutschlands, eine Brücke zu den osteuropäischen Staaten zu bilden, symbolisieren.

Die mit dem Fall der Mauer einsetzende Entwicklung mußte zwangsläufig zur Wiedervereinigung, zur Erlangung der staatlichen Souveränität und somit nach Berlin führen. Berlin war im Grunde seit 1989 wieder die deutsche Hauptstadt, mit oder ohne die peinliche Bundestagsabstimmung von 1991. Auch der überzeugte Rheinländer Konrad Adenauer wäre nach Berlin gegangen, gleichwohl sich dem ehemaligen Kölner Oberbürgermeister nach eigenem Bekenntnis beim Betreten der preußischen Metropole regelmäßg der Magen umdrehte.

Einmal ins Rollen gekommen, funktioniert der Regierungsumzug von Bonn nach Berlin nach langer Verzögerung immer reibungsloser und vermittelt den Eindruck äußerster Normalität. Am 2. Juli 1999 fand die letzte Bundestagssitzung statt; auf der Tagesordnung standen noch einmal die 50 Bonner Jahre. Bis zum 31. Juli werden die 669 Abgeordneten mit ihren rund 1.500 Mitarbeitern an die Spree gezogen sein. Am 6. September soll die erste Arbeitssitzung im neugestylten Reichstag stattfinden.

Von den politischen Entscheidungsträgern bis hin zum Alt-Kanzler Kohl wird niemand müde, angesichts des Umzuges zu versichern, daß in Berlin keine andere Republik entstehen, daß die "Erfolgsgeschichte Bundesrepublik" in Berlin fortgeschrieben werde etc. Tatsächlich hat sich die Republik schon längst gewandelt; die gute alte Bundesrepublik ist, auch wenn es kaum einer wahrhaben wollte, am 3. Oktober 1990 bereits untergegangen.

Die deutsche Vereinigung war nur innerhalb des Wegfalls der bipolaren Weltordnung möglich. Das Entstehen neuer Märkte, Globalisierung der Wirtschaft sowie das Wiederaufkeimen nationaler Konflikte sind die Folgen des historischen Prozesses seit 1989. Die Teilnahme der Bundeswehr an den Luftangriffen auf Serbien und die Einrichtung einer deutschen Schutzzone im Kosovo sind Indizien für die neuen Aufgaben und Herausforderungen der deutschen Politik. Ihnen kann niemand dauerhaft entfliehen; in diesem Punkt ist es egal, ob von Bonn, Berlin oder Castrop-Rauxel aus regiert wird.

Aber Berlin ist das Symbol der Wiedererlangung der Souveränität und des veritablen Neuanfangs nach dem bundesrepublikanischen Intermezzo in Bonn. Außenpolitisch erlangt das Handeln Deutschlands erst durch die Hauptstadt Berlin das nötige Gewicht, das für einen europäischen Führungsstaat notwendig und logisch ist. Zwangsläufig wird die Millionenmetropole Berlin mit ihren Problemen, ihrer partiellen Asozialität, aber auch ihrem Charme und ihrer eigenen Lebensqualität anders als Bonn der nun in ihrer Mitte ansässigern Bundespolitik ihren Stempel aufdrücken und sie somit wirklichkeitsnäher und authentischer machen.

Berlin spiegelt im Kleinen Deutschland als Ganzes wider. Auch wenn der Begriff der "Berliner Republik" – mal hoffnungsvoll, mal ängstlich im Munde geführt – bereits verschlissen war, bevor der erste Bonner Beamte märkischen Boden betrat, die von Berlin aus regierte Republik wird entgegen allen Beteuerungen eine andere sein. Stand Bonn für die nicht immer leichte Nachkriegsära, so hat in Berlin wieder die Zukunft begonnen.


 
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