© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/99 09. Juli 1999


Öffnungszeiten: In immer mehr Städten haben die Geschäfte auch sonntags offen
Typisch deutsch – der Ladenschluß
Ronald Schroeder

Nach heißen Debatten wurde 1996 das Ladenschlußgesetz von 1956 geändert. Seitdem dürfen die Geschäfte an Werktagen von 6 bis 20 Uhr und samstags von 6 bis 16 Uhr öffnen. Dafür wurde der "lange Donnerstag" gestrichen, an dem die Geschäfte bis 20.30 Uhr geöffnet bleiben konnten. Auch der "lange Samstag", der erste Samstag des Monats mit Öffnungszeiten bis 18 Uhr, fiel der neuen Ladenschlußregelung zum Opfer (mit Ausnahme der vier Samstage vor Weihnachten). Mehr war gegen den Widerstand mächtiger Interessenverbände nicht durchzusetzen. Dabei belegen alle Untersuchungen: Längere Öffnungszeiten erhöhen zwar nicht die vorhandene Kaufkraft, führen aber trotzdem zu steigenden Umsätzen. Gelegenheit macht Käufer. Allein den Potsdamer Platz in Berlin besuchen jeden Sonntag 40.000 Besucher. Aber auch an weniger exponierten Standorten drücken die Ladenschluß-Regelungen den Umsatz. Vor allem samstags scheuen viele Verbraucher wegen des großen Kundenandrangs das Einkaufserlebnis. Fehlende Parkmöglichkeiten, kaum Chancen auf qualitätsgerechte Beratung und lange Schlangen an den Kassen führen zur Beschränkung auf das Notwendige.

Gleichzeitig steigen die Umsätze in den Shops der Tankstellen sowie auf Bahnhöfen und Flughäfen. Allerdings läßt das Gesetz in Schwerpunktgebieten des Tourismus Einkaufsmöglichkeiten auch an Sonn- und Feiertagen zu. Hier setzen die Gegner des Ladenschlußgesetzes an. Durch eine zum Teil fast flächendeckende Ausweisung von Tourismuszentren wird das Gesetz unterlaufen. So hat Anfang Mai die sächsische Landesregierung entschieden, in Tourismuszentren die Geschäfte künftig samstags bis 20 Uhr und sonn- und feiertags bis 18.30 Uhr öffnen zu lassen. Dabei hat man fast sämtliche größeren Städte in diese Regelung einbezogen. Die Gewerkschaften wollen diese Verfahrensweise gerichtlich unterbinden lassen. Unabhängig davon erwägt Thüringen eine ähnliche Regelung.

Was in Sachsen noch die Gemüter erhitzt, ist in Schleswig-Holstein bereits Wirklichkeit. Hier wurden schon 1998 über 70 Orte zu Bäder- und Tourismuszentren erklärt. Auch in Baden-Württemberg fallen mehr als 400 Orte unter die Rubrik Bäderzentrum. In Mecklenburg-Vorpommern wird ebenfalls großzügig von Ausnahmen Gebrauch gemacht. Über 190 Orten wurden Sonderregelungen zugestanden. Auf der ganzen Insel Rügen gelten kundenfreundliche Ladenschlußzeiten. In das Schloßpark-Center, eine exklusive Einkaufsmeile Schwerins, organisiert man sogar kostenlose Bustouren aus Hamburg. Kauflustige Hanseaten, die sonntags nach Schwerin pilgern, lassen dort die Kassen klingeln, ziehen aber Kaufkraft aus Hamburg ab. In extremen Fällen kann das für einen regionalen Einzelhandelsmarkt zur Katastrophe werden. So werden für die Einzelhändler des sachsen-anhaltinischen Halle die erweiterten Einkaufsmöglichkeiten im nur 30 Kilometer entfernten sächsischen Leipzig zur existentiellen Bedrohung.

Deutschland führt einmal mehr eine Diskussion, die der Rest der Welt nicht mehr versteht. Nicht nur in den USA, Großbritannien und Irland locken unregelmäßige Einkaufsfreuden. Auch der Sozialstaat Schweden läßt an den Wochenenden und an Feiertagen von 5 bis 24 Uhr die Öffnung der Geschäfte zu. Die Deutsche-Angestellten-Gewerkschaft (DAG) meldet inzwischen gegen die "Schickeria-Wünsche" (Handelsblatt) nach Einkaufsmöglichkeiten rund um die Uhr massiven Widerstand an. Ihr geht es um familiengerechte Arbeitszeiten im Einzelhandel. Doch in einer sich rasant zur Dienstleistungsgesellschaft wandelnden globalisierten Welt und einem immer problemloseren grenzüberschreitenden Einkauf über das Internet ist das Ladenschlußgesetz ein hoffnungsloses Relikt aus vergangener Zeit. Zudem ist das Ladenschlußgesetz auch aus Arbeitnehmersicht abzulehnen. Wo Einkaufsmöglichkeiten bestehen, nimmt auch der Tourismus zu. Es entstehen nicht nur neue Arbeitsplätze im Einzelhandel, sondern auch in der Freizeitindustrie sowie im Hotel- und Gastronomiegewerbe. Vor allem aber ist das Ladenschlußgesetz freiheitsfeindlich. Gewerkschaften haben zu regeln, wann ihre Mitglieder arbeiten bzw. nicht arbeiten möchten. Die Instrumentalisierung des Gesetzgebers zur Durchsetzung von Verbandsinteressen aber sollte von der Gesellschaft nicht hingenommen werden. In einer auf Vertragsfreiheit begründeten Wirtschaftsordnung kann keinem Konsumenten vorgeschrieben werden, wann er einkaufen darf, ebensowenig einem Unternehmen, wann es schließen muß.


 
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