© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/99 09. Juli 1999


Europa: Der Streit um die Arbeitssprachen als Symptom schlampiger deutscher Außenpolitik
Millionen sind sprachlos
Michael Oelmann

Formel-1-Weltmeister Mika Häkinnen in seinem Mercedes-Silberpfeil scheint zur Zeit die einzig erfolgreiche deutsch-finnische Kooperation zu sein. Jedenfalls kam es gleich zu Beginn der finnischen Ratspräsidentschaft in der EU zu einem Eklat mit der Bundesregierung. Wegen Streitigkeiten um Deutsch als Arbeitssprache boykottierte Berlin, ebenso wie Wien, das erste Treffen unter finnischer Präsidentschaft. So fand die informelle Sitzung der EU-Industrieminister in Oulou nicht nur sprachlich, sondern auch körperlich ohne deutsche Teilnahme statt.

Gut gemeint, schlecht gemacht: Die deutsche Schröder-Regierung ist einmal mehr auf dem Brüsseler Parkett ausgerutscht. Dabei würde die längst überfällige Forderung, neben Französisch und Englisch auch Deutsch als Arbeitssprache bei derartigen informellen Treffen anzuwenden, "Sinn machen", um es mit dem Schröderschen Lieblingsanglizismus auszudrücken.

Deutsch am "Katzentisch Europas" ist für die mit Abstand bevölkerungsstärkste Sprachgemeinschaft (90 von 370 Millionen Europäern) ein trauriges, wenn auch bezeichnendes, Faktum. Es entspricht der historisch tradierten Kastration deutscher Interessen auf internationalem Parkett, deren mühselige Aufarbeitung wohl mehr diplomatisches Geschick erfordert, als es Schröder und Fischer vermögen.

Die unbedarfte Hoppla-jetzt-komm-ich-Mentalität, mit der die neue Bundesregierung in Europa auftritt, ist bereits mehr als einmal europäischen Nachbarn übel aufgestoßen (siehe Meinungsbeitrag S. 2). Und mit verprellten Partnern werden Einigungen künftig schwieriger. Das durfte Schröder bereits in der Frage der EU-Zahlungen erfahren, wie auch bei den Vereinbarungen um die "Agenda 2000", bei denen Deutschland wieder einmal den Kürzeren zog.

Eingeweihte vermuten daher, daß die finnische Ablehnung der Praxis eines Drei-Sprachen-Regimes mit Deutsch, wie sie in den vorangegangenen Präsidentschaften Luxemburgs, der Niederlande, Englands, Österreichs und Deutschlands üblich geworden war, nicht von ungefähr brach. Ministerpräsident Lipponen hatte sich bereits in der Woche zuvor hart über eine angebliche Bevormundung der großen europäischen Staaten mokiert. Diese würden ihre nationalen Claims abstecken und auch die Personalpolitik an den kleinen Ländern vorbei machen.

Das bekam Schröder jetzt zu spüren. Dazu durfte er sich lapidare Reaktionen auf seinen Boykott aus Finnland anhören: "Die deutsche Abwesenheit wird keinen Einfluß auf das Treffen haben", so Industrieminister Tuomijoa. Und der finnische EU-Botschafter Satuli nennt als Arbeitssprachen für das kommende Finanzministertreffen schmerzfrei: "Sechs. Nämlich Griechisch, Dänisch, Finnisch und so weiter".

Auch wenn Schröder vereinzelte Flankendeckung für seinen Protest aus Deutschland erhält, so vom rheinland-pfälzischen SPD-Ministerpräsidenten Kurt Beck ("Schlag ins Gesicht aller Deutschen") oder dem europapolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Helmut Haussmann ("skandalös"): die Abfuhr für die deutsche Sprache auf europäischem Parkett ist ein harter Schlag.

Auch EU-Kommissionspräsident Jacques Santer stellte sich auf die Seite Finnlands. Er argumentiert mit dem enormen Aufwand für zusätzliche Übersetzungen. 1,2 Milliarden Mark kostet der Dolmetscherdienst in der EU jährlich. Dabei wird auf allen formellen Treffen der Minister und der Regierungschefs in alle elf Amtssprachen der EU übersetzt – insgesamt 110 Übersetzungsvorgänge. Unterhalb dieser Ebenen sind es meist nur die beiden Hauptsprachen.

Bleibt Deutsch also im babylonischen Sprachenwirrwarr des Brüsseler Molochs aus Rationalisierungsgründen auf der Strecke? Zumal im Goethe-Jahr eine schaurige Vorstellung. Sprache ist nicht nur ein kostbares Kulturgut, sie ist auch ein handfester Wirtschaftsfaktor, ein Spiegelbild nationaler Freiheit und Einflusses. Von außen zermürbt durch anglizistischen Sprachimperialismus und diplomatische Ignoranz, ist die deutsche Sprache von innen bedroht durch die kulturpolitische Vernachlässigung. Dazu zählt der Abbau der Goethe-Institute ebenso wie die rückschrittliche Rechtschreibreform. Aber eben auch durch das praktische Versagen der Regierung wie jetzt im Sprachenstreit. Wenn Sprache nach Hegel "unmittelbar selbstbewußte Existenz" ist, heißt es für das Deutsche auf kurz oder lang wohl "Good bye".


 
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