© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/99 02. Juli 1999


Abtreibung: Bischöfe finden Mogel-Kompromiß
Die Schein-Lösung
Lothar Groppe S.J.

Wohl die wenigsten dürften mit dem Ergebnis für die Beratung Schwangerer in katholischen Beratungsstellen, wie es der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Lehmann, vorgetragen hat, zufrieden sein. Man denkt unwillkürlich an das Wort: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß!

Es gab ausgesprochen törichte Reaktionen, wie die Aufforderung an die deutschen Bischöfe, dem Papst den Gehorsam zu verweigern. Man müßte Gott mehr gehorchen als den Menschen. Gerade deswegen darf sich die Kirche nicht zur "Erfüllungsgehilfin" einer zwar "rechtswidrigen, aber straffreien" Tötung ungeborener Kinder machen. Das Gebot "Du sollst nicht morden!" kann weder durch parlamentarischen Mehrheitsbeschluß noch durch einen Schein der Schwangerschaftskonfliktberatung außer Kraft gesetzt werden.

Als es zum Aufbau von Beratungsstellen kam, die theoretisch den Schutz der Ungeborenen vertreten, aber "ergebnisoffen" beraten sollen, ließ sich die katholische Kirche in die Beratungstätigkeit einbinden, um möglichst viele Kinder zu retten. Aber damit geriet sie in die Auseinandersetzung zwischen den gesellschaftlichen Erwartungen hierzulande und den allgemein gültigen Prinzipien der Weltkirche. Nun ist unsere Gesellschaft gespalten. Nebengläubigen Christen beider Konfessionen gibt es das Millionenheer der religiös Gleichgültigen und Atheisten. Der Durchschnittsbürger vermag nicht zu erkennen, wie die künftige "Schein"-Lösung mit den Grundsätzen der katholischen Moral zu vereinbaren ist.

Der Papst kann und will aber die bisherige deutsche "Lösung" nicht mitverantworten. So fordert er, folgenden Zusatz in den Beratungsschein aufzunehmen: "Diese Bescheinigung kann nicht zur Durchführung straffreier Abtreibung verwendet werden." Nach Meinung anerkannter Experten steht er eindeutig im Widerspruch zum Schwangerschaftskonfliktgesetz. Dennoch meinen sie, daß Landesbehörden glauben, den kirchlichen Beratungsstellen wegen ihrer gesetzwidriger Bescheinigungspraxis die Anerkennung nicht entziehen zu dürfen. Das strafrechtliche Risiko für Ärzte wie Schwangere dürfte äußerst gering sein und daher auch nicht abschrecken. Selbst eine dem Gesetz nicht entsprechende Bescheinigung würde dann zwar nicht rechtlich, aber faktisch zur Abtreibung führen. Somit vermögen auch die katholischen Beratungsstellen die Abtreibungswelle nicht zu stoppen.

Wird der Staat die vom Papst geforderte Einschränkung schlucken? Bischof Karl Lehmann hofft auf das Wohlwollen von Bund und Ländern und wohl auch darauf, daß 270 katholische Beratungsstellen in der Zeit knappen Geldes nicht leicht zu ersetzen sind. Das Unbehagen über die Haltung der Bischöfe und letztlich der katholischen Kirche dürfte allerdings zunehmen. Zumal der einfache Gläubige für das Taktieren kein Verständnis hat und an das Wort des Herrn denkt: "Eure Rede sei ja, ja, nein, nein. Alles andere ist von Übel." Das Anliegen, mit größstmöglicher Eindeutigkeit das ungeborene Leben zu schützen, führt zu einer noch größeren Zweideutigkeit.

Der Justizminister von Rheinland-Pfalz, Peter Caesar (FDP), meint zwar, es bleibe rechtlich "alles beim Alten". Denn auch nach der Beratung mit dem neuen Schein könnten Frauen straffrei bleiben: "Ob da noch so ein Zusatz draufsteht, muß den Arzt nicht interessieren und wird auch keinen Staatsanwalt interessieren." Aber viele werden dem FDP-Vorsitzenden Wolfgang Gerhardt beipflichten, daß der neue Schein "keine seelsorgerische Hilfe" darstellt. Es wurden Stimmen laut, nach Wortlaut und Sinn der Papstforderung bliebe den Bischöfen nur der Ausstieg aus der staatlichen Schwangerschaftberatung.

Nur mit Hilfe eines Tricks könnten sie darin verbleiben, der intern die "Zigarettenschachtellösung" genannt wird. Obwohl seit Jahrzehnten auf den Zigarettenschachteln steht: "Rauchen gefährdet die Gesundheit", lassen sich die Raucher nicht davon abhalten, weiterzuqualmen. Der Münchner Kardinal Friedrich Wetter betonte die Eindeutigkeit des neuen Scheins: "Was dann später mit dieser Bescheinigung geschieht, liegt nicht mehr in unserer Macht." Aber wird eine solche Argumentation überzeugen?

Man hätte sich den unerquicklichen Hickhack um den ominösen Beratungsschein sparen können, wenn man dem Beispiel des Fuldaer Erzbischofs Johannes Dybas gefolgt wäre, der intensive Beratung mit erheblicher materieller Hilfe verbindet, ohne die Glaubwürdigkeit der Kirche zu erschüttern. So konnte seine Pressestelle am 23. Juni zu Recht erklären: "Da das Bistum Fulda von der päpstlichen Anordnung in keiner Weise betroffen ist, nachdem es bereits seit fast sechs Jahren ohne Ausgabe von Scheinen berät und hilft, sind bei unserer bewährten Praxis Änderungen nicht notwendig."

 

Pater Lothar Groppe SJ, geb. 1927 in Münster, war von 1963 bis 1971 Militärpfarrer und Dozent an der Führungsakademie der Bundeswehr, zeitweise Leiter der deutschen Sektion von Radio Vatikan. Seit 1991 ist er Mitglied des Kuratoriums "Konservative Kultur und Bildung".


 
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