© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/99 25. Juni 1999


Messer an der Kehle
Ernst Jünger

"Immer eindringlicher zwingt uns unsere Zeit zu der Überzeugung, daß, obwohl die Kanonen nicht mehr gegeneinander gerichtet sind, der große Krieg sein Ende noch nicht gefunden hat. Der blutige Krieg ist nicht der grausamste, es gibt Zustände, die Tag für Tag Scharen von Opfern fordern, fast geräuschlos und ohne vom Lärm der Schlacht begleitet zu sein. In einem solchen Zustande befinden wir uns, seitdem man jene Reihe von Verträgen unterzeichnete, die uns den Frieden bringen sollten. Aber darf man von Frieden sprechen, solange Völker durch Machtsprüche des Ertrages ihrer Arbeit in einer Weise beraubt werden, die jeden Einzelnen auf eine unwürdige Lebenshaltung herunterdrückt, solange sich die Gewalt, hinter moralischen Redensarten kaum verschleiert, dem Entwaffneten gegenüber keine Grenzen setzt, und solange das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu jenen Trugbildern gehört, die man uns vorspiegelte, um uns zu spalten, als wir noch wehrhaft waren? Das mag ein Frieden für die anderen sein, aber nicht für uns, die wir das Messer an der Kehle spüren."


 
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