© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/99 25. Juni 1999


CD: Pop
Gegenkultur
Ulli Baumgarten

Mit schöner Regelmäßigkeit veröffentlicht der österreichische Künstler Kadmon mit seiner Gruppe Allerseelen Werke seiner Tonkunst; waren es im letzten Jahr Vinylprodukte, wie das Ernst Jünger gewidmete "Käferlied" oder das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit der amerikanischen Band Blood Axis, die den Hörern vorgestellt wurden, so greift der Künstler für sein neues Werk "Stirb oder Werde" wieder auf die Lichtscheibe (CD) zurück.

Wie in seinem gesamten Schaffen, so setzt sich der Österreicher auch diesmal erneut mit Themen wie Natur, Heidentum und Spiritualität auseinander, wofür er selbst die schöne und durchaus zutreffende Bezeichnung "Technosophische Tonkunst", also die Verbindung von Technik, Weisheit und Kunst, geprägt hat.

Der Musik kann man mit dem Begriff "Industrial" nur unzureichend gerecht werden, Kadmon selbst nennt seine Werke treffender "Lieder und akustische Landschaften". Konnte man seinen frühen Werken oftmals eine gewisse Rauhheit und Rohheit nicht absprechen, so ist "Stirb und Werde" erstaunlich ruhig, ja, oft geradezu harmonisch.

War die Stärke von Allerseelen schon eh die Fähigkeit, hypnotisch anmutende und wirkende Melodien zu schaffen, so schafft es das Duo, die Wirkung seiner Klanglandschaften noch zu erhöhen, einige dieser "Landschaften" wirken regelrecht bewußtseinserweiternd. Lieder wie "Gletscherlicht", "Alle Lust will Ewigkeit", "Käferlied" oder "Leichenfarbene Dämmerung" dürften sicherlich auch den Hörer beeindrucken, der diese Art von zeitgenössischer Musik normalerweise nicht konsumiert. Alles in allem handelt es sich bei "Stirb und Werde" um eine mehr als gelungene Produktion, die zeigt, welche Qualität die nicht US-beeinflußte Musik mittlerweise erreicht hat.

Ebenfalls Teil einer von US-amerikanischen Moden unabhängigen, europäischen Gegenkultur sind die Italiener der Camerata Mediolanense. Ihre neue CD "Madrigali" beinhaltet eine Anzahl der unterschiedlichsten Lieder und Stile, das reicht von der Neuvertonung eines französischen Liedes aus dem 15. Jahrhundert ("L‘homme arme") über russische Volksweisen und Bearbeitungen von Torquato Tasso und Puccini bis zu deutsch-geradebrechten Gedichten und Liedern von Heinrich Heine (Der Tod) und Paul Heyse (Mädchenlied) sowie der etwa 1.000.000. Wiederbearbeitung des Lale-Anderson-Klassikers "Lili Marleen".

Aufgrund der Stilvielfalt wirkt die CD zuerst etwas zerfahren, bis man dann auch einmal "Madrigali" als Gesamtheit und Gesamtkunstwerk zu verstehen beginnt. Was sich hier darbietet – und in der Tat unvergänglich ist –, ist die europäische Kultur, eine Kultur, die eben – genau wie diese CD – vielseitig und vielschichtig ist und sich gerade dadurch den Plattheiten und der Monotonie des American way of life nicht nur entzieht, sondern zu diesem gar keine Beziehung besitzt, noch nicht einmal die des Gegensatzes.

Gerade diese Eigenständigkeit macht "Madrigali" so hörenswert und läßt dieses Werk aus dem Wust der Plattenveröffentlichungen heraustragen. Wer sich einmal mit der neo-klassischen Richtung der sogenannten Schwarzen Szene beschäftigen möchte, sollte es mit dieser CD probieren.

Beide CDs sind erhältlich bei dem Spezialversand für Gothic, Wave und Underground: Indietective Records, Walsroder Straße 145, 30853 Langenhagen.


 
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