© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/99 25. Juni 1999


Film: Interview mit dem indischen Regisseur Murali Nair
Vergoldung der Kokosnuß
Baal Müller

Was macht man, fragte die Zeitschrift India Today in ihrer Ausgabe vom 7. Juni, in nur 15 Tagen Drehzeit mit bescheidenen 40.000 britischen Pfund und einer Handvoll dörflichen Laienschauspielern? Man gewinnt die Goldene Kamera bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes, wenn man Murali Nair ist – so lautete die Antwort.

In der Tat war die Prämierung von "Marana Simhasanam", zu Deutsch "Thron des Todes", mit dem ersten Preis in der Nachwuchssparte eine Überraschung – vor allem für den Regisseur selbst. Der 33jährige gebürtige Inder Murali Nair, der zur Zeit in London lebt, drehte den Film mit einfachsten Mitteln in einem Dorf seiner Heimat, dem indischen Bundesstaat Kerala.

"Thron des Todes" handelt von einem Landarbeiter, der aus Armut einige Kokosnüsse stiehlt und in die Mühlen einer leicht kafkaesken Justiz gerät, die ihn eines Kapitalverbrechens beschuldigt und seine Hinrichtung betreibt. Die sozialromantischen Klischees, die für sich genommen reichlich abgenutzt sind, werden bewußt überzeichnet, indem der Regisseur allerlei Bürgerinitiativen, Wahlkämpfer und selbsternannte Menschenrechtler aufmarschieren läßt, die sich zunächst für sein Leben einsetzen, bald aber gerade in seinem Tod einen enormen sozialen Fortschritt sehen. Der Anlaß für diesen zynischen Umschlag ist die Einführung des elektrischen Stuhls, der in dem Film auf eine absichtlich dilettantische und improvisierte Weise dargestellt wird. Sowohl die Vorsteher des Dorfes, Bürgermeister und Justizbeamte, als auch die Unterstützer des Verurteilten preisen diesen tödlichen "Thron" als zivilisatorische Errungenschaft und feiern den Landarbeiter als Märtyrer einer neuen Zeit. Er selbst stirbt schließlich – Sysiphos und Orwell lassen grüßen – dankbar und glücklich. Der Film endet mit der Enthüllung eines Denkmals, das sinnigerweise von dem lehmverkrusteten Arbeiter selbst dargestellt wird.

Der sechzigminütige "Thron des Todes" ist der erste längere Film von Murali Nair, der mit seiner Gesellschaft "Flying Elephant Films" bereits drei Kurzfilme gedreht hat, die ebenfalls im ländlichen Milieu Indiens spielen; der erste von ihnen, "Tragedy of an Indian Farmer", wurde 1993 mit einem nationalen indischen Filmpreis ausgezeichnet, während "A Long Journey" 1996 in Cannes einen Preis erzielte.

Die JUNGE FREIHEIT hatte Gelegenheit, in London mit Murali Nair zu sprechen:

Herr Nair, Sie sind der erste indische Regisseur seit elf Jahren, der mit einem der Hauptpreise in Cannes ausgezeichnet wurde. Warum, schätzen Sie, war der Film so erfolgreich? Wie würden Sie ihn in der gegenwärtigen Filmlandschaft einordnen?

Nair: Ich weiß wirklich nicht, warum mein Film ein Erfolg gewesen ist. Ich nehme an, es liegt an dem allgemeinen Charakter des Gegenstandes und seiner Behandlung. Wenn ich einen Film mache, denke ich niemals über stilistische Fragen und dergleichen nach. Es ist für mich eine Entwicklung. Ich kümmere mich nicht darum, wo er in der gegenwärtigen Filmbranche verortet wird, das liegt außerhalb meines Interesses. Ich will einen Film produzieren und sehen, wie er sich entwickelt. Dies bereitet mir eine unglaubliche Freude. Interpretation und Kritik überlasse ich den Theoretikern. Wenn ich von diesen hinterher etwas lernen kann, bin ich zufrieden.

Ihr Film ist einerseits durchaus kritisch und behandelt bekannte Themen wie Korruption, soziale Mißstände usw. Andererseits werden diese Dinge auf absurde Weise verzerrt. Ersetzt die Ironie die Kritik?

Nair: Ich betrachte meinen Film als Darstellung der Perspektive eines Individuums, das von einer inszenierten Politik verdinglicht wird. Wie wird es reagieren? Wie wird es vorgeführt? Das waren meine Fragen. Auf sie versuche ich Antworten zu finden, und meine letzte Antwort könnte vielleicht ein lautes Gelächter sein. Ich möchte auch mein Publikum an diesem Gelächter teilnehmen lassen. Gelächter worüber? Dummheit? Unfähigkeit? Unverständnis?

Der "Thron des Todes" beschreibt den Zusammenstoß "moderner" Technologie und traditioneller Kultur. Möchten Sie zeigen, daß die westliche Zivilisation und die Lebensformen Ihrer Heimat letztlich inkompatibel sind?

Nair: Wenn Sie den Film im Sinne einer solchen Konfrontation auffassen, ist das für mich akzeptabel. Das stellt einen neuen Blickwinkel oder auch eine neue Verzerrung dar. Ein Film ist wie ein Spiegel, der den Betrachter reflektiert. Es ist nicht meine Aufgabe, Reden zu halten oder Propaganda zu machen. Ich glaube letztlich, daß das nicht die Aufgabe eines Filmemachers ist und auch nicht sein sollte. Wenn er das vorhat, sollte er lieber Pfarrer oder Politiker werden.

Die Vermarktung Ihres Films wird ja nach dem Gewinn der Goldenen Kamera von den Veranstaltern der Filmfestspiele gefördert. Auf welche Weise läßt sich ein solcher Film vertreiben, und an welches Publikum richtet er sich?

Nair: Wenn man einen Film dreht, denkt man dabei nicht primär an das Publikum. Es geschieht, um etwas in einem selbst zu befriedigen. Daher kümmere ich mich wenig um den Markt; zum Glück nehmen mir jetzt andere ein wenig diese Aufgabe ab. Der Film "Thron des Todes" wird in Frankreich und Belgien gezeigt werden, ich habe allerdings auch Kontakte in anderen Ländern geknüpft.

Wie sehen Ihre weiteren Pläne aus? Werden Sie auch weiterhin spezifisch indische Themen verfolgen?

Nair: Den nächsten Film werde ich auch in Kerala drehen. Er wird von einem Mann handeln, an dessen Mund eine riesige Warze wächst, was zu einem sozialen Kollaps in seinem Dorf führt. Ich werde nächstes Jahr damit beginnen. Ich bevorzuge indische Themen, weil das meine Kultur ist und weil es für mich daher die einzige Kultur ist, mit der ich mich wirklich auseinandersetzen kann.


 
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