© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/99 25. Juni 1999


Weltwirtschaftsgipfel: Das G-8-Treffen beschließt Schuldenerlaß für die ärmsten Länder
Zweifel am Kölner Benefiz
Bernd-Thomas Ramb

Den Ärmsten der Armen die drückenden Schulden erlassen. Wer könnte sich dieser Forderung entziehen, ohne rot vor Scham zu werden. Wer auf strikte Rückzahlung der Gelder besteht, erscheint als unmoralisch, eben typisch herzlos "kapitalistisch" Denkender. Dennoch mehren sich die Zweifel ob der Richtigkeit der politisch korrekten Milchmädchen-Moral. Auch im Vorfeld des G-7+1-Treffens während des Weltwirtschaftsgipfels in Köln sind von namhaften Wissenschaftlern und Politikern ernste Bedenken hinsichtlich der Wohlfahrtseffekte einer Streichung der Schulden bei den weltärmsten Staaten geäußert worden.

Streitpunkte sind weniger die Milliarden, auf die der Bund verzichten will, obwohl auch diese Beträge diskussionswürdig sind und den Bundeshaushalt erheblich belasten. Auf 4,35 Milliarden Mark schätzt Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczork-Zeul die Gesamtbelastung. Allein 1,35 Milliarden kostet die großherzige Erweiterung des Kreises der begünstigten Länder um die Staaten Gabun, Kamerun und den Senegal. Ursprünglich sollten nur Bolivien, Nicaragua und Honduras, sowie Guyana und die Elfenbeinküste in den Genuß des Schuldenerlasses kommen. Zum Verzicht auf die Verzinsung und Rückzahlung von Staatskrediten addieren sich die Kosten aus der Streichung von Handelsforderungen. Sie werden auf insgesamt 1,5 Milliarden Mark beziffert.

Während diese Kosten in den von der Regierung kalkulierten Gesamtkosten von 4,35 Milliarden Mark bereits eingerechnet sind, bleibt die Frage nach dem deutschen Anteil an dem Schuldenerlaß offen, den die internationalen Organisationen gewähren wollen. Da hält vor allem die Weltbank die Hände auf. Vorab hatte die Bundesregierung bereits 50 Millionen Mark für den Treuhandfonds der Weltbank zugunsten der hochverschuldeten Staaten in Aussicht gestellt. Weitere Zahlungen sind jedoch vonnöten, wenn Schröder sein Ziel wahr machen will, den ärmsten Staaten der Welt die Hälfe ihrer Schulden zu erlassen. Die umfassen gut 200 Milliarden Dollar, zirka 70 Milliarden Dollar Schuldenreduktion hat der Wirtschaftsgipfel in seinen Streichzielen erfaßt. Daß dabei Finanzminister Eichel eine gewisse Barriere darstellen wird, dürfte anzunehmen sein.

Größere Bauchschmerzen befallen den deutschen Finanzminister angesichts des russischen Schuldenrouletts. In diesem Jahr sind Rückzahlungen von 2,6 Milliarden Mark fällig. Besonders delikat sind dabei die von der UdSSR hinterlassenen Schulden in einer Gesamthöhe von 100 Milliarden Dollar. Davon wären 1999 1,8 Milliarden an Deutschland zurückzuzahlen. Die versöhnlich gestimmten Teilnehmer des Weltwirtschaftsgipfels konnte und wollten Präsident Jelzin von solch unangenehmen Themen erleichtern und kündigten eine umfassende und langfristig angelegte Umschuldung der sowjetischen Altschulden an.

Richtschnur der russischen Umschuldungsmaßnahmen soll die langfristige Belastbarkeit Rußlands sein. Dazu hatten die G-7-Staaten bereits früher grundsätzliche Kriterien aufgestellt, die angesichts der Schuldenprobleme der unterentwickelten Staaten nochmals kräftig abgemildert wurden. Das Verhältnis der Gesamtschulden zu den Ausfuhrerlösen eines Landes darf 150 Prozent nicht übersteigen (zuvor 200 bis 250). Bei der Relation Schuldenstand zu Staatseinnahmen wurde die kritische Marke von 280 auf 250 Prozent gesenkt. Die überschießenden Schuldenbeträge sollen nach dem Willen der G-7-Länder durch Schuldenerlaß getilgt werden. Spöttische Kritiker dieses Quotierungsdenkens rechnen damit, daß bei weiterer Senkung bald auch die hochverschuldeten Euro-Länder Belgien und Italien in den Genuß eines Schuldenerlasses kommen könnten.

Ernsthafter sind die Bedenken, die anläßlich einer Veranstaltung der Kölner Industrie- und Handelskammer (IHK) von deutschen und amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlern vorgetragen wurden. Sie werfen den Entschuldungsbefürwortern im wesentlichen zwei Denkfehler vor. Erstens stimme ihre These nicht, daß die Schuldnerstaaten durch die Schuldenrückzahlung oder die Schuldzinsen "zu Tode bluten". Faktisch hätten die betroffenen Staaten in der Vergangenheit stets ihre Zinsen und Tilgung durch die Aufnahme neuer Kredite bezahlt oder dazu Hilfsgelder von internationalen Organisationen verwandt. Durch eine Schuldenentlastung würden daher keine Gelder für zusätzliche Sozialleistungen oder dringend notwendige Investitionen zur Bildung von Produktionskapital frei.

Der zweite Denkfehler besteht nach Ansicht der Fachleute in dem Irrglauben, Armut ließe sich durch Geld bekämpfen. Damit könne zwar das Symptom der Unterentwicklung etwas abgemildert, aber kein dauerhafter Grundstein zur Gesundung gelegt werden. Hauptursache des Übels Armut wären in erster Linie verantwortungslose Herrscher, die dem Aufbau professioneller Organisationen in ihren Ländern entgegenarbeiten und eine effiziente Wirtschaft verhindern. Internationale Kontrolle könne zwar Beihilfe zur Umstrukturierung des Wirtschafts- und Sozialsystems eines Landes leisten, die "Knochenarbeit" zur Ausschaltung von Korruption und Ausbeutung müßten die Betroffenen jedoch selbst leisten. Es sei weder eine menschliche Geste noch eine humanitäre Leistung, vor diesen Realitäten die Augen zu verschließen.

Die Kritik an dem bloßen Denken in Geldkategorien wird inzwischen auch von Christen geteilt, die sich nicht widerspruchslos dem unreflektierten Diktat scheinbar christlicher Nächstenliebe beugen wollen. Selbst die Weltbank sieht langsam ein, daß mehr als Schuldenerlaß notwendig ist, um die Armut zu bekämpfen und fordert die Anhebung des Bildungsniveaus in diesen Staaten. Auch der Wirtschaftsgipfel will die Entwicklungsländer zum Aufbau eines umfassenden, modernen und effizienten Ausbildungssystem verpflichten.

Was jedoch fehlt, ist das Bekenntnis zu den richtigen Inhalten der Ausbildung. Nur die Errichtung einer freiheitlich-marktwirtschaftlichen Ordnung kann, wie die Vergangenheit wiederholt bewiesen hat, ein Land aus der Armut führen. Aber zu diesem Bekenntnis können sich mittlerweile selbst saturierte Staaten kaum noch durchringen. Wer heutzutage Marktwirtschaft predigt, erntet häufig harschere Mißbilligung als mit einer Absage an einen Schuldenerlaß. Diese fatale Ursache für einen weiteren Teufelskreis der Armut konnte der Weltwirtschaftgipfel nicht beseitigen.


 
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