© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/99 25. Juni 1999


Lebensmittelindustrie: Sozial-ökologisch verantwortliches Wirtschaften ist bewertbar
Politik mit dem Einkaufskorb
Gerhard Quast

Hormonfleisch, BSE-Skandal, Gen-Food, Dioxin-Verseuchung, Schweinepest. Diese Stichworte mögen genügen, um zu verdeutlichen: Die Verbraucher sind verunsichert. "Was kann, was darf und was will ich noch essen?", ist eine der sich selbst oft gestellten Fragen.

Mit der Empfehlung der CDU/CSU, angesichts des Dioxin-Skandals jetzt vorrangig deutsche Agrarprodukte zu kaufen, ist es allein nicht getan. Die Herkunft aus "deutschen Landen" ist keine Garantie dafür, daß es sich um gesunde Lebensmittel handelt. Außerdem: Skandale wie jetzt in Belgien waren und sind durchaus auch in Deutschland möglich, solange vorrangig oder sogar verstärkt auf industrielle statt auf naturverträgliche Landwirtschaft gesetzt wird – zum Beispiel in Form der Massentierhaltung von Mastschweinen und Legehennen.

Wer beim Einkaufen Landschaftsschutz betreiben wollte, der bevorzugte bisher schon Produkte aus ökologischem Landbau, kaufte Obst und Gemüse der Saison statt Treibhausware, vermied gentechnisch veränderte Lebensmittel und achtete darauf, daß die Produkte aus der Region stammten. So konnten Verbraucher beim Einkauf den Erhalt artenreicher Landschaften unterstützen.

Über die Umweltverträglichkeit der einzelnen Lebensmittel hinaus gibt es allerdings noch weitere Gründe, die die Wahl eines Produktes beeinflussen können. Wie sieht es zum Beispiel mit den sozialen Verhältnissen im Betrieb aus? Unter welchen Bedingungen wird die Ware angebaut, geerntet und verarbeitet? Beinhaltet das Sortiment des Unternehmens "fair gehandelte" Produkte? Hält der Betrieb die gesetzliche Beschäftigungsquote für Schwerbehinderte ein oder erteilt sogar Aufträge an Behindertenwerkstätten? Erfüllt das Unternehmen die minimalen Anforderungen an den Tierschutz oder unternimmt es ernsthafte Anstrengungen, die Probleme zu mindern, die aus der Massentierhaltung resultieren? Wie sieht es mit den Verbraucherinteressen aus? Findet eine umfassende Produktkennzeichung und ein Verzicht auf problematische Lebensmittelzusätze statt? Stehen die gesundheitlichen Interessen der Konsumenten im Vordergrund? Kann garantiert werden, daß keine gentechnisch veränderten Zutaten Verwendung finden? Welche Maßnahmen unternimmt das Unternehmen für den Umweltschutz? Werden die Stoff- und Energieströme erfaßt? Bemüht sich der Betrieb um eine Reduktion des Energieverbrauchs und eine Minderung von Umweltbelastungen im Produktionsbereich? Macht es ökologische Vorgaben für Zulieferer? Oder unterstützt das Unternehmen Umweltprojekte durch Spenden oder Sponsoring?

Wer auf diese und eine Anzahl weiterer Fragen eine einigermaßen befriedigende Antwort haben wollte, der konnte auf den vor vier Jahren erschienenen "Unternehmenstester" des Instituts für Markt-Umwelt-Gesellschaft (imug) zurückgreifen. Die Idee des Hannoveraner Instituts war es, den Verbrauchern die Möglichkeit zu geben, an der Lebensmitteltheke nach dem Motto "Meine Mark bekommt nicht jeder!" das öko-soziale Engagement der bekanntesten Hersteller der Branche zu bewerten.

In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV) und sechs weiteren Verbraucherzentralen sowie mit Unterstützung des Umweltbundesamtes (UBA) wurde diese Erhebung nun wiederholt. Der im Juni veröffentlichte Ratgeber "Der Unternehmenstester – Lebensmittel" (Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1999, 300 Seiten, 16,90 Mark) konnte gegenüber seinem Vorläufer den Kreis der teilnehmenden und bewerteten Unternehmen deutlich erweitern. Insgesamt 75 Unternehmen der Nahrungs- und Genußmittelindustrie wurden anhand von über 70 Kriterien unter die Lupe genommen und dabei festgestellt: Fast zwei Drittel der untersuchten Firmen kann ein positives Zeugnis für ihr Engagement in Sachen Umweltschutz ausgestellt werden, deutlich mehr als 1995. Zehn Prozent können sich sogar als ökologische Vorreiter der Branche bezeichnen. Sie entsprechen dem Leitbild eines umweltorientierten Unternehmens.

Am besten bewertet wurde im Bereich Umweltschutz das Unternehmen Dr. Oetker, das in den letzten Jahren große Anstrengungen zur Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes unternommen habe. Fast alle vorliegenden Daten zeugten "von einem hohen Umweltengagement", dessen Erfolg sich auch in überdurchschnittlichen Einsparungen und Reduktionen produktionsbedingter Umweltauswirkungen ablesen lasse. Zudem unternehme Dr. Oetker ernste Anstrengungen zur Minderung des Elends der Massentierhaltung. August Oetker erhielt für diese Umweltbilanz 1995 vom World Wide Fund For Nature (WWF) und der Zeitschrift Capital den Titel "Ökomanager des Jahres".

Ein Vorreiter in Sachen Umweltschutz ist das in Berlin ansässige Unternehmen Märkisches Landbrot, das seit 1981 Brot aus ökologischen Rohstoffen bäckt und bereits mehrere Auszeichnungen erhalten hat. Zudem praktiziert die Firma eine Vielzahl von Maßnahmen, um die unerwünschte Verwendung gentechnisch veränderter Rohstoffe zu verhindern. Im Rahmen der Weltausstellung in Hannover ist der Betrieb Träger des Vorzeigeprojektes "Ökobrot 2000".

Umfassend erfüllt sind nach Ansicht des imug die Umweltkriterien besonders auch beim "Familienbetrieb" Hipp. Der größte Anbieter von Baby- und Kindernahrung in Deutschland ist weltweit der größte Verarbeiter organisch-biologischer Rohstoffe. Vier Fünftel aller Rohstoffe stammen aus ökologischer Landwirtschaft. Das "Vorzeigeunternehmen" im betrieblichen Umweltschutz lehnt außerdem Tierversuche strikt ab und zeigt sich überaus spendabel: Rund eine Million Mark gingen 1997 an soziale und ökologische Einrichtungen.

Die deutlichsten Fortschritte aller bewerteten Unternehmen verzeichnete die Blaue Quellen Mineral- und Heilbrunnen AG, die signifikante Einsparungen und eine Minderung der produktionsbedingten Umweltbelastungen vorzuweisen hat, beispielsweise in den Bereichen Energie- und Wasserverbrauch. Die Wichtigkeit des Schutzes der Umwelt werde auch durch große Geldspenden deutlich – zum Beispiel an die Stiftung Deutscher Wald.

Zu den Top 5 beim Engagement für die Umwelt gehört schließlich das "Öko-Pionier-Unternehmen" Neumarkter Lammsbräu, Deutschlands führender Produzent ökologischer Getränke und mit 60.000 Hektolitern Bier pro Jahr die weltweit größte Öko-Brauerei.

Auf die Vergabe einer "Gesamtnote" wurde bewußt verzichtet. Der Konsument solle selbst entscheiden, was ihm am Verhalten einzelner Unternehmen besonders wichtig ist, der Verbraucherschutz oder die Rücksicht auf die Interessen der Dritten Welt, Umweltengagement oder die Integration Behinderter.

Jeder Bundesbürger gibt Monat für Monat durchschnittlich 270 Mark für Essen und Trinken aus. Warum also mit dem Einkaufszettel nicht auch Politik betreiben und Unternehmen abstrafen, die Verbraucherinteressen mißachten?


 
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