© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/99 25. Juni 1999


Deckname "Echelon": Konturen des weltweiten angloamerikanischen Überwachungskartells
Alliierte sind auch bloß Konkurrenten
Michael Wiesberg

Anfang 1998 stellte Steve Wright von der britischen Bürgerrechtsvereinigung "Omega" in Manchester in einem Bericht für das Europäische Parlament fest, daß innerhalb Europas alle E-Mails, Telefongespräche und Faxschreiben routinemäßig von dem US-Nachrichtendienst National Security Agency (NSA) aufgezeichnet werden würden. Die NSA leite alle in Europa aufgezeichneten Informationen in das NSA-Hauptquartier in den USA (Fort Meade, US-Bundestaat Maryland, d.V.) weiter. Wright sinngemäß: Die NSA betreibe ein globales Überwachungssystem, dessen Ziel Satelliten seien, über die ein Großteil der internationalen Kommunikation abgewickelt werde. Im Unterschied aber zu den elektronischen Überwachungssystemen, die in Zeiten des Kalten Krieges insbesondere gegen militärische Ziele eingesetzt worden seien, werde das Überwachungssystem "Echelon" vorrangig gegen nichtmilitärische Ziele wie Regierungen, Organisationen aller Art oder Wirtschaftsunternehmen eingesetzt.

Vier Nationen, so Wright weiter, teilten sich die Ergebnisse zusammen mit den USA: Großbritannien, Kanada, Neuseeland und Australien. Die involvierten Geheimdienste dieser Staaten agierten freilich nur als untergeordnete Informationsbeschaffer. Mit anderen Worten: Nur die Amerikaner haben den vollen Überblick über das Spionagenetzwerk "Echelon". Weiter wird in diesem Bericht festgestellt, daß die größte Abhörstation der Welt in Menwith Hill (England, Grafschaft Yorkshire) liege. Diese sei in der Lage, den größten Teil der Kommunikation innerhalb Europas und der Staaten der ehemaligen Sowjetunion abzuhören.

In diesem Bericht wurde auf offizieller Ebene innerhalb der EU zum ersten Mal schriftlich fixiert, daß ein globales elektronisches Abhörsystem mit dem Namen "Echelon" überhaupt existiert. Jahrelang drangen über "Echelon" nur sehr verstreut Informationen an die Öffentlichkeit. Den Begriff "Echelon" brachte wahrscheinlich der auf Spionagefragen spezialisierte englische Journalist Duncan Campbell in einem Bericht für das Magazin New Statesman vom 12. August 1988 zum ersten Mal ins Spiel. "Echelon" erlaube, schrieb Campbell damals, die Überwachung jeder Nachricht von und nach Großbritannien, vorausgesetzt, diese diene dem nationalen Interesse oder der Sicherung des ökonomischen Wohlergehens Großbritanniens. Campbell hat vor kurzem im Auftrag der EU-Arbeitsgruppe STOA ("Scientific and Technological Options Assessments") ein Papier mit dem Arbeitstitel "Interception Capabilities 2000" (etwa: Stand der Abhörtechnik im Jahre 2000) erstellt, das sich detailliert mit "Echelon" beschäftigt.

Regierungen entscheiden über Materialverwendung

Campbell weist in diesem Bericht unter anderem darauf hin, daß jeder Staat, der an "Echelon" beteiligt sei, seinen Geheimdiensten oder bestimmten Ministerien das Recht eingeräumt habe, ökonomisch relevantes Spionagematerial entweder abzurufen oder entsprechende Aufträge zu erteilen. Mit den abgerufenen Informationen könnten unzählige Zwecke verfolgt werden. Campbell führt weiter aus, daß die Entscheidung über die Auswertung bzw. Verwendung des Spionagematerials nicht bei den involvierten Geheimdiensten selber liege, sondern bei den jeweiligen nationalen Regierungen.

Es entbehrt in diesem Zusammenhang nicht einer gewissen Pikanterie, daß das EU-Mitglied Großbritannien an der Auskundschaftung auch seiner EU-Partner beteiligt ist. Hierzu nur zwei Stimmen: Die englische Zeitung The Independent vom 11. April 1998 stellt im Zusammenhang mit der Beteiligung Großbritanniens an "Echelon" fest, daß Großbritannien einem Konsortium von elektronischen Nachrichtendiensten angehöre, die systematisch ökonomische und Geschäftsgeheimnisse der Staaten der Europäischen Union ausspionierten. Die Zeitung zitiert den französischen Rechtsanwalt Jean-Pierre Millet, der auf Computerkriminalität spezialisiert ist. Großbritanniens Partner, so Millet, hätten ein Recht, auf die Briten zornig zu sein, weil diese die Zusammenarbeit mit den Amerikanern nicht aufkündigten. Nur nebenbei sei erwähnt, daß auch Frankreich in Sachen Wirtschaftsspionage keineswegs ein Musterknabe ist. So erklärte zum Beispiel der ehemalige Chef des französischen Geheimdienstes, Pierre Marion, daß Krieg (auch zwischen befreundeten Staaten, d.V.) herrsche, sobald es um das Geschäft gehe (Spectator, 9. April 1994). Der Groll der Franzosen richtet sich vor diesem Hintergrund wohl weniger gegen die Tatsache, daß Großbritannien zum Echelon-Kartell gehört, als vielmehr dagegen, daß Frankreich nicht ebenfalls an der globalen Schnüffelmaschine partizipiert.

Der Deckname "Echelon" leitet sich von dem französischen Begriff "Echelon" ab, der ein breites Bedeutungsfeld umfaßt. Militärisch gesehen bedeutet "Echelon" übersetzt Staffel(stellung) oder Gefechtsstaffel. Diese Deutung ist wahrscheinlich im konkreten Fall die angemessenste.

"Echelon" wurde zunächst für die nachrichtendienstliche Überwachung der Sowjetunion entwickelt. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wird das milliardenschwere Projekt offiziell zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus eingesetzt. Daß diese Begründung nur eine Art Nebelkerze darstellt, mit der über den eigentlichen Zweck hinweggetäuscht werden soll, steht zu vermuten. Nach vorliegenden Erkenntnissen muß davon ausgegangen werden, daß "Echelon" vorrangig zur Wirtschaftsspionage eingesetzt wird.

So wies zum Beispiel der Spiegel in einem Bericht vom 29. März darauf hin, daß die Schlüsselwörter, mit denen "Echelon" arbeitet, vorrangig aus der US-Wirtschaft stammen sollen. Dieser Hinweis ist ein weiteres Indiz dafür, daß die Amerikaner sich nicht scheuen, die ausländischen Konkurrenten ihrer Unternehmen mit allen Mitteln, und seien diese auch noch so unsauber, zu bekämpfen. Dabei ist es gleichgültig, ob die überwachten Unternehmen einem befreundeten Staat angehören oder nicht. Das haben u.a. die Autoren Selig S. Harrison und Clyde V. Prestowitz in einem Beitrag für das Periodikum Foreign Policy (79/90) zum Ausdruck gebracht: Amerikas militärische Alliierte, so die beiden Autoren, seien ökonomische Gegner. Eine mögliche Verweigerung der Anerkennung seitens der USA, daß eine grundlegende Rivalität in den internationalen Handelsbeziehungen bestehe, könnte verhindern, daß die USA angemessen auf die Herausforderungen im internationalen Wettbewerb reagieren könne.

Ähnlich sieht es der ehemalige FBI-Direktor William Sessions, der erklärte, daß jetzt und in Zukunft die Frage danach, wer Verbündeter oder Gegner der USA sei, nicht nur von militärischen Notwendigkeiten bestimmt sein dürfe, sondern auch und gerade von den Ergebnissen der Aufklärungstätigkeit auf wissenschaftlichem, technologischem, politischem und ökonomischem Gebiet (Washington Times, 30. April 1992).

Wirtschaftsspionage sichert den politischen Einfluß

Noch deutlicher bringt es Philip Zelikow in seinem Buch "American Intelligence and the World Economy" (New York, 1996) auf den Punkt: Der Sieg in der Schlacht um die Wettbewerbsfähigkeit auf den Marktplätzen der Welt sei der vorrangige Tagesordnungspunkt der amerikanischen Sicherheitspolitik. éhnlich sieht es der renommierte amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Lester Thurow vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in seinem Buch "Head to Head: The coming Battle between Japan, Europe and America". (New York, 1992)

Diejenigen Staaten, so stellt Thurow ohne Umschweife fest, die die größten Märkte beherrschten, definierten auch die Regeln. So sei es immer gewesen. Wohl auch deswegen verweigern die Amerikaner auch den an Echelon beteiligten Geheimdiensten den vollen Einblick. Dies hat Tradition. So stellte zum Beispiel Mark Urban in seinem Buch "UK Eyes Alpha. The Inside Story of British Intelligence" (London, 1996) im Hinblick auf die Zusammenarbeit zwischen dem britischen und amerikanischen Geheimdienst fest, daß die Amerikaner immer Informationen zurückhielten. Vor allem dann, wenn es um kommerzielle Angelegenheiten ginge.

Dieser Hintergrund erhellt die Motive der Amerikaner und ihrer Partner im Hinblick auf das weltweite Abhörnetzwerk "Echelon". Es würde aber zu weit gehen, Wirtschaftsspionage zum primären Zweck von "Echelon" zu erklären. Nach wie vor nimmt die militärische und politische Aufklärung einen breiten Raum ein. Diese dient vorrangig dazu, die eigenen Interessen effizienter durchzusetzen.

Nach den Ausführungen des Neuseeländers Nicky Hager, der mit seinem Buch "Secret Power. New Zealand's Role in the international Spy Network" (1996) einen entscheidenen Beitrag zur Aufdeckung der Arbeitsweise von "Echelon" leistete, ist "Echelon" nicht darauf angelegt, einzelne E-Mails oder Faxsendungen abzufangen. Das System sei vielmehr darauf ausgerichtet, große Mengen elektronischer Kommunikation aufzuzeichnen bzw. abzuhören. Computer filterten anhand von Schlüsselbegriffen, die in sogenannten "Wörterbüchern" ("Dictionaries") niedergelegt seien, aus dieser Menge von Informationen diejenigen heraus, die für den jeweiligen Nachrichtendienst von Interesse seien.

Dabei spielt, so Hager in einem Beitrag für das Magazin Covert Action Quarterly (59/96-97), das von der britischen Firma Memex Technology entwickelte Rastersytem "Memex" eine Schlüsselrolle, weil es in der Lage sei, große Mengen von Daten auf Schlüsselbegriffe hin zu durchsuchen. Diese Schlüsselbegriffe umfaßten Namen bestimmter Persönlichkeiten, Organisationen, Länderbezeichnungen oder auch Fachbegriffe. Diese beinhalteten aber auch Faxnummern oder Internetadressen bestimmter Individuen, Organisationen oder Regierungsinstitutionen.

Eine globale Kette von Abhöranlagen (wie zum Beispiel in Menwith Hill oder in Bad Aibling in Bayern) sei laut Hager rund um die Welt errichtet worden, um die internationalen Telekommunikationsnetzwerke anzuzapfen. "Echelon" verbinde alle diese Abhöranlagen, die die USA und ihre Alliierten in die Lage versetze, einen großen Teil der Kommunikation auf der Erde abzuhören.

Das spezifisch neuartige an "Echelon" ist freilich weniger die Tatsache, daß Computer für die Auswertung von elektronischen Informationen mittels bestimmter Schlüsselbegriffe eingesetzt werden, was bereits seit den siebziger Jahren möglich ist, sondern daß "Echelon" von der NSA mit der Maßgabe entwickelt wurde, alle eingesetzten Computer zu vernetzen. Diese Vernetzung erlaubt den verschiedenen Abhörstationen, als Komponenten innerhalb eines integrierten Gesamtsystems zu arbeiten. Der erwähnte NSA, Neuseelands Geheimdienst GCSB (Government Communications Security Bureau), Großbritanniens Geheimdienst GCHQ (Government Communications Head Quarters), Kanadas Geheimdienst CSE (Communications Security Establishment) und Australiens Geheimdienst DSD (Defense Signals Directorate) sind Vertragspartner des UKUSA Signals Intelligence-Vertrages. Diese Allianz erklärt sich vorrangig aus der Zusammenarbeit während des Zweiten Weltkrieges. Sie war zunächst von der Absicht bestimmt, die Sowjetunion nachrichtendienstlich zu überwachen.

Grob gesagt gibt es drei Zielobjekte, auf die "Echelon" angesetzt wird. Einmal die internationalen Telekommunikationssatelliten, die von den Telefongesellschaften der meisten Staaten der Erde verwendet werden. Ein Ring dieser Satelliten umgibt die Erde. Diese Satelliten sind in der Regel entlang des Äquators positioniert.Nach Angaben von Nicky Hager sind insgesamt fünf Abhörstationen im "Echelon"-Netzwerk darauf ausgerichtet, diese Satelliten anzuzapfen.

Das zweite Zielobjekt von "Echelon" stellen die Satelliten dar, die nicht von Intelsat betrieben werden. Diese sind insbesondere russische, aber auch andere regionale Kommunikationssatelliten. Die Stationen, die diese Satelliten überwachen, sind nach Angaben von Hager Menwith Hill, Shoal Bay (Australien), Bad Aibling in Deutschland, Misawa in Nordjapan und Leitrim in Kanada. Leitrim ist auf lateinamerikanische Satelliten ausgerichtet.

Schließlich gibt es Stationen, die auf landgestützte Kommunikationssysteme ausgerichtet sind. Diese sind von besonderem Interesse, weil diese über Kabel unter Wasser und durch entsprechende Hochfrequenztechnik große Mengen an öffentlicher, Geschäfts- oder Regierungskommunikation befördern.

Deutsche Regierung duldet offensichtlich Überwachung

Die leistungsstärkste Abhörstation Menwith Hill in Nordengland verfügt über sage und schreibe 22 Satelliten-Empfangsstationen. Menwith Hill dient der NSA in erster Linie als Bodenstation für US-Spionagesatelliten. Diese überwachen Fernleitungen und Kommunikationsmittel mit geringem Radius wie zum Beispiel militärische Sender oder Walkie Talkies. Eine ähnliche Funktion wie Menwith Hill haben auch die Bodenstationen Alice Springs in Australien und Bad Aibling in Deutschland.

In Deutschland wollen Regierungsbehörden von alledem nichts wissen. So antwortete der ehemalige Staatssekretär im Bonner Innenministerium, Eduard Lintner (CSU), am 30. April 1998 auf eine schriftliche Anfrage der SPD-Abgeordneten Graf nach den Aktivitäten der National Security Agency, daß der Bundesregierung keine Erkenntnisse vorlägen, die über die "entsprechenden Pressemeldungen" hinausgingen.

Mit anderen Worten: Die Bundesregierung weiß offiziell nichts über den massivsten Angriff, der jemals gegen die Integrität von Nationalstaaten und Individuen geführt worden ist. Daß dieser Angriff von angeblich "befreundeten Staaten" Deutschlands geführt wird, rundet das Bild ab.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen