© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/99 25. Juni 1999


Kosovo: Der Chef der Exilregierung fordert eine Plattform aller demokratischen Kräfte
"Der Weg nach Europa ist weit"
Karl-Peter Gerigk

Herr Bukoshi, Sie sind der Chef der Exilregierung der Albaner für das Kosovo. Jetzt sprechen aber viele Stimmen im Interesse der Flüchtlinge und Vertriebenen, zum Beispiel Ibrahim Rugova oder der UÇK-Führer Hasim Thaci. Wer ist hier eigentlich legitimiert?

Bukoshi: Es gibt für das Kosovo ganz legitime und legale demokratische Strukturen. Es gibt sie seit acht Jahren, seit der Abstimmung, und sie werden politisch geführt. Die Wahlen in Kosovo wurden damals international nicht anerkannt. Aber es gibt die politische Vertretung der Menschen des Kosovo eben auch heute, und das ist die Exilregierung. Wenn wir heute über die Führung der Kosovo-Albaner reden, dann müssen wir diese legitimierten und legalen Strukturen nennen. Daneben gibt sicherlich auch die Führung der UÇK. Wenn man jedoch die momentane Situation vor dem Hintergrund der Vertreibungen und Massaker betrachtet, wird deutlich, daß wir für die Menschen im Kosovo eine Plattform aller demokratischen Kräfte benötigen. Gerade für die Albaner im Kosovo gilt, daß wir unsere Kräfte bündeln müssen, um dann mit einer Stimme reden zu können. Diese Plattform muß die Interessen der Albaner im Kosovo vertreten. Im Moment sind es aber die gewählten und legitimierten Strukturen des Kosovo, das Parlament und der Präsidenten mit seiner Regierung als dem exekutiven Flügel, die die Interessen der Albaner vertreten.

Die Nato hat mit den Serben den Abzug verhandelt, und es sollen auch die Waffen der UÇK schweigen. Reichen die jetzt einrückenden KFOR-Truppen, um den Frieden im Kosovo zu gewährleisten und auch die aufgebrachten Albaner von den Serben zu trennen?

Bukoshi: Zuerst einmal muß betont werden, daß die Nato das serbische Regime zum jetzigen Rückzug gezwungen hat. Wir Albaner haben immer die Intervention der Staatengemeinschaft verlangt und sind für die jetzigen Maßnahmen dankbar. Das Ziel ist, daß unser Volk im Kosovo frei leben kann. Wir glauben, daß die westliche Politik das serbische Regime auch im Zaum halten kann. Es ist eine grundsätzliche Frage, daß die Vertriebenen in ein sicheres Kosova zurückkehren können. Auch um einen Wiederaufbau des Kosova zu ermöglichen. Aber die Anwesenheit der internationalen Truppen reicht nicht aus. Es muß die serbische Staatsgewalt aus dem Kosovo beseitigt werden.

Sie wollen eine Unabhängigkeit des Kosovo?

Bukoshi: Das System, daß die grausamen Verbrechen an den Albanern verübt hat, darf nicht weiter im Kosovo regieren und Macht ausüben. Aber mittelfristig bedeutet dies nur die Einrichtung einer vorläufigen internationalen Verwaltung für das Kosovo. Der Aufbau eines gesellschaftlichen und politischen Systems für das Kosovo, wie auch die wirtschaftlichen Entwicklung, kann nicht ohne die westliche Staatengemeinschaft erfolgen. Die Bevölkerung des Kosovo, also Albaner, Serben und andere, müssen bei der Entwicklung einer demokratischen Struktur mitarbeiten. Es ist eine großer Fortschritt, daß die Staatengemeinschaft, erstmalig seit dem zweiten Weltkrieg, bei einem Genozid durch einen Staat ganz entscheidend deswegen eingeschritten ist.

Aber das Kosovo soll nicht bei Ex-Jugoslawien verbleiben?

Bukoshi: Unser Ziel bleibt das gleiche. Es ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll, über den Status des Kosov0 zu spekulieren. Viele Optionen sind schon von den Ereignissen überholt worden. Über den Status des Kosovo muß nach der endgültigen Befriedung gesprochen werden. Der Westen muß verstehen, daß es keine andere realistische Lösung als die Unabhängigkeit geben kann. Niemand kann die Albaner dazu zwingen, unter serbischer Herrschaft zu bleiben, egal wie diese konkret aussieht.

Die UÇK spielt hierbei aber eine wichtige Rolle. Nicht nur weil sich einige Führer nicht entwaffnen lassen wollen, sondern weil sie, wie in Prizren, schon Verwaltungsstrukturen aufbauen und Bürgermeister einsetzen. Sabotiert dies ich Ihr Vorhaben?

Bukoshi: Die Situation ist zur Zeit unübersehbar und kompliziert. Die UÇK wird in dem Transformationsprozeß, wie es im Ramboulliet vorgesehen war, einbezogen werden. Im Kosovo darf kein sicherheitspolitisches Vakuum entstehen. Die UÇK soll ihre Rolle in Zusammenarbeit mit den internationalen Friedenstruppen spielen, und dies gerade bei der Gewährleistung der Sicherheit für die Rückkehrer in das Kosovo.

Das heißt, die UÇK könnte in eine reguläre Polizeitruppe für das Kosovo umgewandelt werden?

Bukoshi: Wenn dies möglich sein soll, muß die UÇK umstrukturiert werden. Ein Teil dieser Kräfte kann nach den Maßstäben einer modernen Polizeitruppe organisiert werden. Man sollte die Albaner bei der Mitarbeit an der Entwicklung demokratischer Strukturen für das Kosovo nicht vor vornherein ausschließen. Aber ihr Vorgehen in Prizren ist übereilt, verfrüht und kontraproduktiv. Die UÇK konnte das Kosovo alleine nicht befreien. So können künftige Entscheidungen hinsichtlich des Aufbaus einer Verwaltung für das Kosovo nur in Kooperation mit der Staatengemeinschaft getroffen werden. Auch wenn Teile der UÇK eine Machtausübung über das ganze Kosovo anstreben, kann dies auch nur gemeinsam mit anderen albanischen Kräften geschehen.

Einige Führer der UÇK fordern den Anschluß an und die Bildung eines Groß-Albanien.

Bukoshi: Dies ist sicherlich eine romantisch verklärte Vorstellung, aber in der gegebenen Situation eher unrealistisch, wenn auch in ihrer Gefährlichkeit aus westlicher Sicht ernstzunehmen. Aber weder im Kosovo noch in Albanien gibt es eine Stimmung für einen Anschluß an Albanien. Die Bürger beschäftigen sich nicht mit dieser Frage und haben kein Interesse. Albanien ist ökonomisch schwach. Es gibt keine relevante politische Kraft in Albanien, die einen Plan oder ein Programm für einen Anschluß des Kosovo hätte. Es ist zwar eine populäre Forderung, daß alle Albaner zusammenleben, aber es gibt hier keine Bewegung im Volke. Die Idee arbeitet zudem im Sinne der serbischen Propaganda, die immer davon gewarnt hat. Wenn es aber gelingt, in Albanien – wie im Kosovo – ein pluralistisches und demokratisches System nach dem Vorbild des westlichen Europa aufzubauen, dann werden Grenzen und Trennungen, auch die Vorstellung von Groß-Albanien oder Groß-Serbien, immer irrelevanter.

Die Serben werden von aufgebrachten Albanern zum Teil bedroht und verlassen das Land. Auch die serbische Kirche geht. Haben wir am Ende doch ein ethnisch reines, aber albanisches Kosovo?

Bukoshi: Es ist sehr wichtig, zu sagen, daß dies nicht unser Ziel ist. Die Serben, die über Jahrhunderte im Kosovo gelebt haben, können und sollen weiter im Kosovo leben. Die verbrecherischen Serben werden bestraft, diejenigen, welche die Verbrechen begangen haben. Aber ich rede nicht von den Kriminellen. Auch der Teil der Serben, der an der Vertreibung teilgenommen hat, ist von der Führung Serbiens in Belgrad dazu getrieben worden. Ich stelle mir das künftige Kosovo nicht so vor, daß es ethnisch rein ist. Alle Gruppen haben ein Recht, hier zu leben. Auch wenn die unschuldigen Serben das Kosovo aus Angst vor albanischem Revanchismus verlassen, ist dies weder in unserem Interesse noch unsere Schuld. Der Haß der Menschen, wenn zum Beispiel ein Serbe mit Unterstützung der Paramilitärs die Familie seines albanischen Nachbars abgeschlachtet hat, ist verständlich. Aber wir wollen keine Rache. Die Blutrache der Albaner ist ein Atavismus. Meine Regierung wird alles in ihrer Macht stehende tun, damit ein Revanchismus nicht an Boden gewinnt. Auch die serbische Kirche braucht keine Angst zu haben, daß die Albaner die religiösen Einrichtungen, Klöster oder Symbole schänden. In der Vergangenheit wurden diese Stätten immer respektiert. Die Serben waren aber eine Führungsschicht und haben die Albaner diskriminiert. Wenn wir einen Rechtsstaat haben, existieren Religionen und Kulturen nebeneinander mit gleichen Rechten.

Ist das Vorpreschen der Russen, die als Freunde und Alliierte der Serben zumindest von den Serben angesehen werden, nicht in der Tat eine Unterstützung für Milosevic?

Bukoshi: Das Vorgehen der Russen war ein Akt der Aggression. Wir haben die Okkupation des Flughafens in Pristina eindeutig verurteilt. Die Art und Weise bildet wieder einen Störfaktor in den Bemühungen um Ausgleich und Frieden und war sicherlich mit Belgrad koordiniert. Milosevic hat Moskau die Erlaubnis gegeben, serbisches Territorium zu überqueren. Es ist eine Unterminierung der derzeitigen Vorhaben der westlichen Staatengemeinschaft.

Wird jetzt eine Teilung des Kosovo wahrscheinlich?

Bukoshi: Die russischen Truppen präjudizieren eine Teilung, wenn sie dort bleiben. Für die Albaner sind sie absolut unwillkommen. Die Nato hat diesen Krieg geführt, und Moskau will nun an der politischen Regelung teilhaben. Für den Westen wird Rußland hier deutlich unzuverlässig.

Wie sollte der Westen darauf reagieren?

Bukoshi: Auf keinen Fall dürfen die Russen eine eigene Zone bekommen.

Können Sie sich vorstellen, daß Albanien und Serbien einmal Teil eines integrierten Europas werden könnten?

Bukoshi: Das ist ein schöner Traum. Nach unseren Erfahrungen wird dies sehr schwierig. Der Balkan ist nicht Skandinavien. Vielleicht könnte dies sein, wenn sich das politische System Serbiens ändert und Serbien auf seine reelle Größe gebracht wird. Dies ist ein gutes, fernes Ziel. Aber der gemeinsame Weg nach Europa ist weit.

 

Dr. Bujar Bukoshi wurde im Mai 1947 im Kosovo geboren. Er ist von Beruf Arzt und lebt in Deutschland. Im Juli 1990 erklärten die albanischen Abgeordneten des Kosovos die ehemals autonome Region zur "Republik Kosova". Serbien löste daraufhin das Parlament in Pristina auf. Im September 1991 erklärten in einem Referendum mehr als 90 Prozent der Kosovo-Albaner ihre Zustimmung zur Unabhängigkeit des mehrheitlich von ihnen bewohnten Gebietes. Die im Mai 1992 im Untergrund abgehaltenen Wahlen für das Parlament und einen Präsidenten gewann die "Demokratische Liga des Kosovo" (LDK). Präsident der nur von Albanien anerkannten Republik wurde der LDK-Vorsitzende Ibrahim Rugova. Bujar Bukoshi wird Ministerpräsident der Exilregierung, die ihren Sitz in Genf hat.


 
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