© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/99 18. Juni 1999


Neue Rechte und der Kosovo-Konflikt: Ein Streitgespräch zwischen Alain de Benoist und Luc Pauwels
"Du würdest Dich im Gefängnis finden

Benoist: Die Nouvelle Droite (ND) verurteilt den Krieg in Europa. Sie ergreift keineswegs Partei für Milosevic, dessen Politik sie grundsätzlich ablehnt und dessen Mitschuld am Ausbruch des Krieges sie nicht verkennt.

Pauwels: Dem stimme ich zu.

Benoist: Dagegen ergreift sie vollkommen Partei für das serbische Volk, das erste Opfer der derzeitigen Situation.

Pauwels: Die ND ergreift vollkommen Partei für das kosovarische Volk, das erste Opfer der derzeitigen Lage, und zugleich für das serbische Volk, sofern es sich von Milosevic lossagt.

Benoist: Die ND unterstützt außerdem das Recht der Völker auf Selbstbestimmung. Das galt gestern für die Slowenen und Kroaten, und es gilt heute für die Albaner wie für die Serben.

Pauwels: Auch hier kann ich nur zustimmen.

Benoist: Gleichzeitig weiß die ND sehr wohl, daß eine prinzipielle Stellungnahme völlig unzureichend ist, um konkrete Probleme zu lösen, es sei denn, man verfällt ins Unpolitische.

Pauwels: L’impolitique – vielleicht liegt genau dieser Begriff unseren Meinungsverschiedenheiten zugrunde. Ich muß zugeben, daß mir dieses Wort bis vor wenigen Wochen unbekannt war. Daß es keine niederländische Entsprechung dafür gibt, mag kein Zufall sein. Meinem Französischwörterbuch zufolge bezeichnet es jemanden, dem es "an politischem Geschick oder an politischer Gelegenheit mangelt". Die Vorsilbe "im" weist auf eine negative Bedeutung hin. Dies setzt ein Verständnis von Politik als Praxis des Geschicks und der Gelegenheit voraus. Wenn wir dagegen von Politik sprechen, verstehen wir darunter vor allem anderen die Schaffung von Gemeinschaft. So verstanden, besteht keinerlei Widerspruch zwischen Politik und Prinzipien, sondern erstere ist die Verwirklichung der letzteren.

Die Entwicklung einer Auffassung, einer Ideologie verändert sich mit dem Heranreifen des Menschen oder der Gruppe, die sie vertritt, und infolge grundlegender, also nicht bloß konjunktur- und ereignisbedingter Veränderungen der Realität, auf die sie sich bezieht. Allerdings hat eine solche Entwicklung nichts mit irgendwelchem Opportunismus, Geschick, Prinzipienlosigkeit, Wendehalsigkeit oder sonstigem Herumgehüpfe zu tun, das sich als "Politik" ausgibt. Unserer Meinung nach ist es eines der Grundprinzipien der ND, dem "metapolitischen Menschen" systematisch den Vorzug vor dem "politischen Tier" zu geben.

Benoist: Wenn zwei Völker beieinander leben und sich weigern, miteinander zu leben (genauer gesagt: wenn sie sich gegenseitig hassen), macht es wenig Sinn, Prinzipien zu predigen.

Pauwels: Aber natürlich macht es Sinn! Der modus vivendi muß auf pragmatischem Weg gesucht werden, allerdings innerhalb bestimmter Grenzen: den Grundsätzen nämlich, auf denen die europäische Ordnung basieren muß.

Benoist: Die ND hat eindeutig das Verlangen nach Unabhängigkeit der Kroaten und Slowenen unterstützt, aber gleichzeitig die Art und Weise verurteilt, in der diese Unabhängigkeit zustande kam, nämlich ohne daß Europa versucht hätte, allen Parteien im Vorfeld ein Abkommen über den Status von Minderheiten aufzuerlegen.

Pauwels: Genau. Ich betone das Wort "auferlegen". Und so sieht die logische Abfolge dieses Arguments aus:

– Die Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas hat sich als blutiger Fehler erwiesen; in der Folge des Kosovo-Konfliktes wird dieser Herd der Instabilität erneut aufflammen, bis man diesen Kunststaat endlich zwischen Kroatien und Serbien aufgeteilt hat, mit einer auferlegten Achtung vor dem Status aller ethnischen und religiösen Minderheiten.

– Den Serben muß die Wiederherstellung der Autonomie des Kosovos auferlegt werden.

– Den Kosovaren muß auferlegt werden, die Würde und Gleichberechtigung der serbischen Minderheit in ihrem Land zu achten. Wenn Europa aber beabsichtigt, wie Du sehr richtig schreibst, "allen Parteien eine Einigung

über den Status von Minderheiten aufzuerlegen", ist es notwendig, daß Europa sich die Mittel verschafft, dies zu erreichen und es vor allem in der Zukunft garantieren zu können. Ein solcher Pax Europaea wird sich nur unter der Bedingung aufrecht erhalten lassen, daß man über sämtliche Mittel verfügt, um ihn durchsetzen zu können: juristische, diplomatische, wirtschaftliche und – als letzte Lösung – militärische.

Benoist: Man kann Milosevic nicht mehr ernsthaft als einfachen "Kommunisten" bezeichnen.

Pauwels: Soweit mir bekannt ist, hat sich Milosevic niemals vom Kommunismus losgesagt. Hinter ihm stehen noch weitere Hartnäckige, wie seine Frau Mirjana Markovic ("die rote Mira"), Politikerin, Parteivorsitzende und Professorin für Marxismus an der Universität Belgrad, oder sein Berater Borisav Jovic, den man durchaus als Stalinisten bezeichnen kann.

Es ist offensichtlich, daß mit Ausnahme der Frankreichs keine der kommunistischen Parteien noch als kommunistisch gelten will. Statt dessen nennen sie sich "Partei des Demokratischen Sozialismus" (in Deutschland), "Partei der Arbeit" (in Belgien) oder sogar "Die grüne Linke" (in den Niederlanden). Hier zeigt sich dieselbe semantische Manipulation wie vor 1989, als sie ihre totalitären Regime gerne als "Volksdemokratien" bezeichnen ließen. Warum sollten wir ihr Spiel mitspielen? Laßt uns einen Kommunisten beim Namen nennen.

Benoist: Milosevic ist weder Breschnew noch Chruschtschow noch Trotzki. Er ist vor allem ein jakobinischer Nationalist ...

Pauwels: Was ihn keineswegs entlastet! Davon abgesehen, war der Jakobinismus mitsamt seinem Terror immer ein historisches Modell, auf das sich die Kommunisten beriefen und das sie verinnerlicht hatten.

Benoist:: ... der sich vom Kommunismus hauptsächlich einen Geschmack an autoritären Methoden bewahrt hat.

Pauwels: Besser gesagt: an blutigen Methoden, die eines Stalins würdig wären.

Benoist: Seine Anspruchsforderung auf das Kosovo ist typisch nationalistisch. Wenn die Serben sich heute hinter ihn stellen, dann vor allem deshalb, weil sie sich in ihrem Nationalgefühl getroffen fühlen.

Pauwels: Nationalistisch? Er hat sicherlich wenig mit dem ethnischen Nationalismus gemein, wie wir ihn verstehen. Vielmehr handelt es sich hier um einen Imperialismus im Stil des 19. Jahrhunderts und um einen Staatschauvinismus im Stil von 1789.

Benoist: Milosevic läßt sich aufschlußreich mit den "rot-braunen" Russen vergleichen, deren Nationalismus von einer Nostalgie nach der stalinistisch-kommunistischen Epoche gekennzeichnet ist, als Rußland noch eine Großmacht war. Mit der marxistischen Doktrin hat das nicht viel zu tun. Diese "Rot-Braunen" sind uns nicht unbedingt sympathisch.

Pauwels: In Wirklichkeit gibt es zwei Typen von "Rot-Braunen": einmal die, auf die Du Dich beziehst, zum anderen diejenigen Kommunisten, die nationalistische Regungen und patriotische Loyalität für ihre marxistischen Anliegen instrumentalisieren.

Benoist: Zumindest kann man feststellen, daß es sich nicht mehr um Bolschewisten alten Stils handelt.

Pauwels: Das trifft auf Milosevic nicht zu. Was an seinem Auftreten besonders auffällt, ist gerade seine archaische Seite, die an Radek, Dscherschinski, Dimitrov, Bela Khun, Bukarin und wie sie alle hießen erinnert. Der alte bolschewistische Stil eben.

Benoist: Die Kosovo-Befreiungsarmee UÇK ist in dieser Hinsicht viel kommunistischer als Milosevic. Ihre Kader sind im strikten Sinne Marxisten-Leninisten, ehemalige fanatische Parteigänger von Enver Hodscha, die sich heute mit Hilfe des Drogenhandels und der Mafia finanzieren.

Pauwels: Das ist das Bild, das die bürgerliche Presse und die serbische Propaganda von ihnen verbreiten. Wahr ist davon nur ein kleiner Teil. Halten wir uns an Realitäten. Nimmt man Informationen aus verschiedensten Quellen und Zeitungs- und Fernsehinterviews mit albanischen Freiwilligen zusammen, die sich aus unserem Staat der UÇK angeschlossen haben, so gelangt man zu dem Bild einer Befreiungsbewegung, die sich durchaus mit der IRA, der ETA oder der EOKA vergleichen läßt.

Es ist doch selbstverständlich, daß Befreiungsarmeen und Untergrundbewegungen nicht aus bürgerlichen Liberalen und Christdemokraten bestehen. Auf der ideellen Ebene ist die Regel doch vielmehr, daß die Extreme sich berühren: Nationalismus, Anarchismus, Maoismus, Fundamentalismus jeder Art, Nihilismus, ... Bezüglich des Menschentyps, den diese anziehen, findet man fast dieselbe Mischung: Idealisten, Söldner und Kriminelle, Abenteurer, Utopisten und Desperados, vor allem aber junge Burschen, die voller Zorn sind über das, was den Ihren angetan wurde.

Welche Richtung in Zukunft die Kontrolle in der UÇK haben wird, läßt sich nicht vorhersehen. Dies hängt von zu vielen Faktoren ab. Oftmals fallen derartige Bewegungen auch nach ihrem Sieg oder schon im Angesicht des Sieges auseinander. Einer der UÇK-Führer, J. Krasniqi, der die UÇK in Rambouillet vertrat, hat zehn Jahre lang in den Gefängnissen Milosevics gelitten. Ihn kann man schwerlich kommunistischer Sympathien verdächtigen.

Untergrundbewegungen finanzieren sich immer größtenteils durch Waffen- und Drogenhandel, Erpressung, Falschgeld, Überfälle etc. Erinnere Dich doch an die OAS. Man kann nicht erwarten, daß sich eine illegale Bewegung auf legalem Weg finanziert.

Benoist: Was den moderaten Führer der Kosovo-Albaner angeht, Ibrahim Rugovar, so ist er der erste, der die Nato-Angriffe verurteilt.

Pauwels: Das tat er zu der Zeit, als er sich in den Klauen Milosevics befand. Inzwischen ist er in Freiheit und besteht mit Nachdruck darauf, daß mit Milosevic nicht verhandelt wird!

Benoist: Alexander Solschenyzin ist nicht gerade ein Kommunist oder ein Sympathisant des Kommunismus! Ihm verdankt die breite Öffentlichkeit die "Entdeckung" der Wahrheit über das Gulag. Trotzdem hat er die Angriffe auf Serbien verurteilt und sich dem "Kollektiv Nein zum Krieg" angeschlossen. Die Erklärung, die er aus diesem Anlaß veröffentlichte, ist eindeutig. In Frankreich kann man genauso den Fall Vladimir Volkoffs anführen, der heute in der ersten Reihe derer steht, die sich gegen den Krieg aussprechen – nachdem er jahrzehntelang das System des Gulags und des KGBs anklagte.

Pauwels: Das hat einen sehr einfachen Grund: unter aktuellen Bedingungen hat ihr panslawistisches Ideal Vorrang vor ihrem Antikommunismus. Man kann das verstehen, ohne es gutheißen zu müssen.

Benoist: So wenig sympathisch Milosevic sein mag, kommt man doch nicht um die Tatsache herum, daß er demokratisch gewählt und wiedergewählt worden ist.

Pauwels: Genauso wenig wie um die Tatsache, daß die demokratische Opposition gegen jede dieser Wahlen Einspruch eingelegt hat. Das ist sehr einfach zu erklären. Von Anfang an haben die Kommunisten immer demokratische Wahlen vorgetäuscht, wenn sie dazu die Möglichkeit hatten. Bis zuletzt – der Anfang vom Ende der DDR waren die Kommunalwahlen von 1989, die zu offensichtlich manipuliert worden waren.

Benoist: Die ND war zwar niemals prokommunistisch, aber genauso wenig war sie jemals oberflächlich antikommunistisch.

Pauwels: Aus der Sicht der Kommunisten war jede Gegenposition "oberflächlich antikommunistisch", weil sie sich gegen die "historische Bestimmung" richtete. Die Anklage des "oberflächlichen Antikommunismus" war immer Teil ihrer Propagandarhetorik. Das sollte man sich nicht zu eigen machen.

Wenn wir antikommunistisch gewesen und geblieben sind, ist der Grund nicht in dieser oder jener oberflächlichen Annahme zu suchen, sondern in der immer geltenden Überzeugung, daß der Kommunismus einen grundsätzlichen Widerspruch zu unserer Einstellung bildet, sowohl in seinen philosophischen Grundlagen (wissenschaftlicher Anspruch, reduktionistische Anthropologie etc.) als auch in seiner kriminellen, kollektivistischen, totalitären, identitätsvernichtenden Praxis.

Benoist: Als die Sowjetunion noch existierte, hat die ND stets einen neutralen Standpunkt gegenüber dem Osten vertreten.

Pauwels: Auf die französische ND mag das zutreffen, aber nicht auf uns. Die älteren Mitglieder der flämischen ND sind dem Kommunismus noch mit Waffen in der Hand entgegengetreten. Nach dem Krieg waren dann eine ganze Reihe unserer Parteifreunde Offiziere in der belgischen Armee – nicht, um "der Heimat zu dienen", wie Du Dir wohl denken kannst, sondern aus ihrem Antikommunismus und dem Bestreben heraus, Europa zu verteidigen. Es bestand ständiger Kontakt zu den im Exil lebenden Ungarn, Rumänen, Kroaten, etc. Jahr für Jahr organisierten einige unserer Parteifreunde Gegendemonstrationen zu den sogenannten "Antiatomkraft-Märschen" der Pazifisten und kommunistischen Sympathisanten. Andere unterstützten aktiv die russischen Dissidenten. Das ging so weit, daß sie sich selber nach Moskau begaben und eine der wenigen antikommunistischen Kundgebungen auf dem Roten Platz veranstalteten. Der russische antikommunistische Widerstand, die NTS also, hatte gerade in Flandern einen ihrer wichtigsten Stützpunkte im Ausland. Unsere Position vor 1989 läßt sich sehr gut mit dem Slogan Thiriarts charakterisieren (der auch heute noch nicht überholt ist): "Gegen Moskau, ohne Washington, für Europa".

Benoist: Sie hätte sich niemals mit einem Angriff der Nato auf das sowjetische Regime solidarisch erklärt.

Pauwels: Aus rein militärischen Gründen: Dies wäre ein selbstmörderisches Unterfangen gewesen. Wir haben es dagegen als einen Verrat unserer Regierungen empfunden, daß diese den Aufständigen in Deutschland 1953, in Ungarn 1956, in der Tchechoslowakei 1968 usw. keinerlei Unterstüzung anboten, daß sie auf Anweisung der Amerikaner zugesehen haben, wie die sowjetischen Panzer sie zunichte machten.

Das war der Punkt, an dem eine Generation anfing, sich Gedanken über die wahre Natur der Nato zu machen. Ich persönlich werde nie die bluterstickte Stimme des sterbenden Sprechers von Radio Budapest vergessen können, der in allen Sprachen, die er kannte, unaufhörlich wiederholte: "Helft uns, europäische Brüder!" Was gestern für die Ungarn galt, gilt heute genauso für die Kosovaren. Und für die serbischen Dissidenten.

Benoist: Ich sollte hinzufügen, daß ich für meinen Teil jederzeit ein nationalkommunistisches Regime einem westlich-liberal geprägten vorziehen würde.

Pauwels: Du spinnst: Unter einem nationalkommunistischen Regime im heutigen Frankreich mit Chevènement als Präsidenten und Gayssot als Premierminister würdest Du Dich entweder im Gefängnis, im Exil oder als "Verschwundener" wiederfinden. Davon abgesehen, kann man sich ein nationalkommunistisches Regime nur als jakobinisches vorstellen.

 

Alain de Benoist ist Herausgeber der Zeitschrift "Nouvelle École" und ein Vordenker der französischen Neuen Rechten ("Nouvelle Droite").

Luc Pauwels ist Chefredakteur der Kulturzeitschrift "TeKoS" und ein Vordenker der Neuen Rechten in Flandern.

Alain de Benoist und Luc Pauwels legen Wert darauf, daß sie der Streit um die Haltung zum Kosovo-Krieg politisch nicht entzweit und die Auseinandersetzung freundschaftlich ist. Übersetzung aus dem Französischen: Silke Lührmann


 
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