© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/99 18. Juni 1999


Europawahl: Die Deutschen verweigern sich überwiegend der Stimmangabe
Abfuhr für Brüssel
Dieter Stein

Die Europawahl bestätigte auf eindrucksvolle Weise, wie sehr medialer Schein und politische Wirklichkeit auseinanderklaffen. Sensationelle 55 Prozent lehnten es ab, an einer Wahl teilzunehmen, die offensichtlich als Farce angesehen wird. Insgesamt unterstützten lediglich 16,6 Prozent der wahlberechtigten Deutschen das rot-grüne Regierungsbündnis.

Verhängnisvoll ist, daß sich die Wahlverweigerung zunächst politisch nicht auswirkt, obwohl diese eine politische Entscheidung darstellt. Vielmehr bedienen sich die Parteien mit der "Wahlkampfkostenrückerstattung" frech ohne die Wahlbeteiligung zu berücksichtigen. 6,50 DM werden pro Wahlberechtigten ausgelobt – bei 60 Millionen Wahlberechtigten kostet uns eine Wahl, der sich die Mehrheit verweigert, 390 Millionen Mark. Ein warmer Regen für die ewig trockenen Parteikassen. Verteilt werden diese 390 Millionen aber nach dem prozentualen Ergebnis, nicht nach dem Anteil der tatsächlichen Wähler. So können die Parteien auch das Geld verbraten, das im Grunde einer fiktiven Partei der Nichtwähler zustünde – das sind immerhin 214 Millionen DM!

Wahlforscher sind in diesen Tagen der Frage auf den Grund gegangen, weshalb sich so viele Bürger der Wahl verweigerten. Nach einer Forca-Umfrage gab jeder zweite Nichtwähler an, sich nicht für Europa zu interessieren. Jeder vierte Nichtwähler begründet seine Verweigerung mit Unzufriedenheit und politischer Entfremdung ("die Politiker machen ohnehin, was sie wollen"). 18 Prozent begründen ihre Wahlverweigerung mit einer prinzipiellen Ablehnung der Brüsseler Bürokratie und damit der Europawahlen überhaupt.

Somit ist das wesentliche Ergebnis dieser Wahl der Entzug der politischen Legitimation für das Europaparlament durch 55 Prozent der deutschen Bürger. Das Wahlergebnis ist erst in zweiter Linie eine Ohrfeige für Rot-Grün. Es ist zuallererst eine Abfuhr für die abstrakte und undemokratische Institution "Europäische Union", mit der Bürger bürokratische Gängelung, Beutelschneiderei, gigantische Geldverschwendung, politische Entmündigung der Nationen und Regionen, Ausplünderung der Volkswirtschaften durch anonyme Apparate verbinden. Die Bürger wissen nur zu genau, daß sie mit der Teilnahme an den Wahlen diesem EU-System ihre prinzipielle Zustimmung erteilen, egal welcher Partei sie ihre Stimme geben. Sie haben sich für Nein entscheiden. Dirk Schümer hat recht, wenn er in der FAZ schreibt: "Während dieses merkwürdige Großprojekt Europa immer müder wird, sind seine Bürger, die lieber grillen und radfahren, statt zu wählen, überraschend wach geblieben."

Nun ist die Europawahl auch ein Mißtrauensvotum gegen die rot-grüne Bundesregierung. Seit ihrem Amtsantitt im September beließ es die smarte Truppe um den Selbstdarsteller Schröder bei modisch kosmetischen Retuschen: Eine Mikro-Ökosteuer, tolpatschiges Herumgefummel an den für Hunderttausende lebensnotwendigen 630-Mark-Jobs, quälender monatelanger Eiertanz um die Alleingänge Lafontaines bis zu seinem dubiosen Abgang. Der Kosovo-Krieg kam dem ratlosen Bundeskabinett schließlich zu Hilfe, von innenpolitischen Problemen wochenlang abzulenken. Der Milliarden verschlingende Krieg auf dem Balkan dient zudem als künftige Dauerausrede, um – wie einst beim Golfkrieg – klaglos Steuer- und Abgabenerhöhungen durchdrücken zu können, auch wenn Finanzminister Eichel das Gegenteil behauptet.

Das Europawahlergebnis ist für die Parteien von psychologischer Bedeutung. Von Dauer sind diese Ergebnisse bei nationalen Wahlen nicht. Insbesondere die Unionsparteien können sich nicht darauf verlassen, daß sie bei den kommenden Landtagswahlen daran anknüpfen können. Diesmal wurden sie noch – insbesondere im Gefolge der Doppelpaß-Kampagne – als Protestpartei für alle Bürger wahrgenommen und sahnten Stimmen ab, die sonst klassische Protestparteien erhielten. Dies erklärt das insgesamt schwache Abschneiden kleiner Parteien. Dies kann bei den nächsten Wahlen, bei denen es dann auch politisch ernst wird, schon wieder ganz anders aussehen.


 
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