© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/99 11. Juni 1999


Wahlwerbung: Die Europawahl wird von den Parteien nicht ernst genommen
Wenn schon, dann richtig
Manuel Ochsenreiter

Seit ungefähr vier Wochen flucht Michael aus Frankfurt an der Oder jeden Morgen aufs Neue. Denn so lange schon ziert ein gigantischer Hintern die gegenüberliegende Plakatwand, auf der bis dato noch die Bikini-Frau von H&M zu bewundern war.

Der überdimensionale Allerwerteste wirbt für die Europawahl, zu der Michael als 23jähriger, mündiger Euro-Bürger auch aufgerufen wird. Es klingt ihm noch in den Ohren, Sprüche wie "Demokratie lebt vom Mitmachen!" oder "Nicht meckern, anpacken!", mit denen ihm demokratische Partizipation schmackhaft gemacht werden soll. Aber wahrscheinlich gehört er zu der Masse von Bürgern, die die Wahlbeteiligung auf 60 minus x Prozent drücken werden.

Die alltäglichen Skurrilitäten eines Wahlkampfes, der niemanden interessiert, bleiben niemandem verborgen. Der FDP-Allerwerteste ist da nur die Spitze des Eisberges. Denn auch die sonstige Plakatwerbung läßt uns als Deutsche hoffen, daß bloß niemand im Ausland davon erzählt. Denn während die inländischen Polit-Vereine ihre Nobodies um die 99 deutschen Sitze im EU-Parlament streiten lassen, posiert auf den Plakaten fast ausschließlich die Prominenz – außer die PDS, die mit ihrem ewig-gleichen Pazifismus-Gesülze an den Straßen so manchen Bleifuß genervter Autofahrer provoziert. "Ja verdammt, auch wir kennen Bert Brecht!", würde man am liebsten laut herausschreien, wenn einem zum x-ten mal die fettig-moralischen Belehrungen der Ex-SEDler am Straßenrand begegnen.

Die CDU wiederum regt zum Schmunzeln an, denn Parteichef Schäuble versucht kläglich, seine unübersehbare Führungsschwäche als europäische Tugend zu präsentieren. Auf den Großplakaten blicken Angela "Ätsch-ich-klatsch-bei-Rau" Merkel und Schäuble demonstrativ in verschiedene Richtungen, beschwören aber den einen Weg, den es auch bei unterschiedlicher Meinung zu gehen gelte. Das hätte es bei Kohl nicht gegeben – mit Wehmut denkt man an die Zeit zurück, als die Union noch geführt wurde ...

Aber auch im Fernsehen begegnet dem aufmerksamen Wahlkampf-Freak ein bunter Topf der guten Laune. Pro7 schafft es gut, im späten Nachmittags-Programm auf Proleten-Kurs zu bleiben. Denn zwischen Al Bundy und Homer Simpson findet auch Bundeskanzler Gerhard Schröder noch Platz. Sein Säuseln über Europa – fast unerträglich.

Doch die Sozialdemokraten setzen auch auf das noch immer unsaturierte Fußballpublikum von 1966. Während der entscheidenden Tor-Szene des Fußballfinales der Meisterschaft in Wembley ertönt klassische Musik. Nach dem offensichtlich zu Unrecht gepfiffenen Tor der Engländer kommt die SPD-Botschaft: "Europa braucht jetzt gerechte Entscheidungen!" Na, da werden sich noch einige wundern, wenn nach einem etwaigen SPD-Erfolg Deutschland trotzdem nicht nachträglich zum Weltmeister 1966 ernannt wird.

Bei der CDU geht’s da wieder bodenständiger zu. An einer Berliner Fritten-Bude quatschen gesellschaftliche Leistungsträger über Politik. "Der Lafontaine", die "630-Mark-Regelung" sind die Themen, die Curry-Wurst-Verzehrer "hoffentlich schwarz" am 13. Juni sehen lassen. Wer jedoch schon mal an einer solchen Bude gespeist hat, weiß, daß diese in der CDU-Werbung zum politisch-korrekten Stammtisch mutierte. Denn im wahren Leben spielt dort die Europa-Wahl eine ähnlich geringe Rolle wie Damen-Fußball oder die Besetzung des Gemeinderats von Ulan Bator. Wenn schon Politik, dann richtig, dann ist von "Überfremdung" die Rede, auch gerne mal von der "Euro-Abzockerei" und den Politikern, denen man gerne wohin treten würde. Nicht zuletzt bietet gerade dort der stetig verfallende Euro Anlaß zu heiteren Bemerkungen.

Weshalb also der teure Wahlkampf für eine Wahl, die keinen interessiert; weshalb die fast selbstzerstörerisch-ironischen Parolen, weshalb kämpft Gerd Schröder mit Al Bundy und den Simpsons um die Gunst der Zuschauer?

Weil es sich lohnt! 57,5 Millionen Mark lassen sich die Parteien den Kampf kosten und erhalten dafür 136 Millionen "erstattet". Natürlich vom steuerpflichtigen Wähler. Die größte Rendite hierbei hat die finanziell desolate FDP, denn für sie ist der ganze Wahlkampf eine hervorragende Gelegenheit, um ein paar Konten zu füllen. So bekommt sie ihre Kosten von 2,5 Millionen Mark mit 7,5 Millionen vergoldet "zurückerstattet". Wenn das die deutschen Würstchenbudenbesucher alles wüßten.


 
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