© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/99 11. Juni 1999


Zitate

"Erst spät aber haben wir Europäer begriffen, daß dieses Jahrhundert vor allem durch Völkermorde und ethnische Säuberungen geprägt wurde, und daß die Grundregel für ethnische Säuberungen einfach ist: wer einmal vertrieben worden ist, kommt nie zurück, es sei denn – bestenfalls – an Sonntagen. (…) Denn nur für eine kurze Zeit sind Menschen bereit, an die Orte zurückzukehren, von denen sie mit Gewalt vertreiben worden sind. Aus mehreren Gründen: Zunächst, weil man als Vertriebener nur ein Bild von der Heimat in die Fremde mitnehmen kann. Schon bald kommt aber dann die Einsicht, daß man im selben Fluß nie zweimal baden kann, daß das ’Zuhause‘ menschlich wie auch physisch seine Topographie geändert hat; man selbst ist auch nicht mehr derselbe Mensch, schmerzliche Erinnerungen haben sich zwischen die Gegenwart und die Vergangenheit gestellt."

Richard Swartz im Feuilleton der "FAZ" vom 4. Juni 1999

 

 

"Neben den zahllosen Verfahrensdebatten und Interpretationsquerelen, die der Friedensstiftung im Kosovo noch im Wege stehen, sollte heute schon das Augenmerk auf die im Abkommen geschlossene Entwaffnung der Kosovo-Befreiungsarmee, der UÇK, gerichtet werden. Hier zeichnen sich Ärger, möglicherweise neues Blutvergießen mit plötzlich verkehrten Fronten ab. Die UÇK – mit ihren internen Clan-Feindschaften und Mafia-Strukturen – ist mit amerikanischer Hilfe in Rekordzeit mächtig aufgerüstet woden. Sie wird von einem bewährten kroatischen General geführt, von US-Experten beraten und – man höre und staune – von Spezialisten aus dem Iran im Partisanenkampf trainiert. Ihr oberster Befehlshaber, Hashim Thaci, ist nicht der Typ, der sich durch die zwielichtigen Rivalen Rugova oder Bukoshi an die Wand drängen ließe. Die UÇK beherrscht heute bereits Nord-Albanien, sie ist in West-Mazedonien eingesickert, und niemand wird ernsthaft von ihr erwarten können, daß sie sich im Kosovo entwaffnen, das heißt kastrieren läßt. (…) Das Nato-Friedenskorps aus dem Amselfeld sollte sich auf Gefechte mit Heckenschützen einstellen."

Peter Scholl-Latour in der "Welt am Sonntag" vom 6. Juni 1999

 

 

"Überhaupt zeigte der deutsche Diskurs ein Übermaß an Verwirrung. Ein breiter Teil jener Linken, die daheim leidenschaftlich für die Rechte kultureller und ethnischer Minderheiten ficht, war nicht bereit, das Prinzip auch jenseits der Landesgrenzen zu ehren. Im Gegenteil: Die mörderische Unterdrückung einer ethnisch-religiösen Minderheit durch die Mehrheit geriet zum geringeren Übel angesichts der Gegen-Gewalt, die den Tätern zugefügt wurde. Im Panoptikum des Bösen rückte das Bündnis in den Vorder-, Milosevic in den Hintergrund – aus linker Sicht eine beachtliche ’Umwertung aller Werte‘. Doch auch die Rechte beteiligte sich an diesem Spiel, an dem Nietzsche seine pure Freude gehabt hätte."

Jens Joffe in einem Leitartikel der "Süddeutschen Zeitung" vom 5./6. Juni 1999

 

 

"Die Gewohnheit, jeden blutrünstigen Diktator mit Hitler zu vergleichen, war immer falsch. Als man auch mit Auschwitz als Argument gegen den ethnischen Vertreiber Slobodan Milosevic ins Gefecht ziehen wollte, entrüsteten sich die Überlebenden des Holocaust zu Recht. Dieses Jahrhundert war auch eines der Vertreibungen, wobei wir nicht zaudern sollten, die in Europa größte Anzahl von Vertriebenen zu erwähnen, die fast 13 Millionen Deutschen des Zweiten Weltkrieges. (…) Interessant bleibt der Vergleich mit Hitler; der für Vernichtungspolitik ebenfalls zuständige Mörder Stalin wurde nicht bemüht. Hitler betrieb, wie auch Stalin, ethnische Säuberungen großen Stils. Aber Stalin stand im Zweiten Weltkrieg auf der richtigen Seite."

Rudolf Augstein in einem Kommentar im "Spiegel" vom 7. Juni 1999


 
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