© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/99 04. Juni 1999


8. Wave-Gotik-Treffen in Leipzig: Veranstaltung gelungen, Politisierungsversuche gescheitert
Neue Deutsche Härte
Mirko Juncker / Ellen Kositza

Daß die Bedeutung eines Ereignisses und seine veröffentlichte Wahrnehmung durchaus unabhängig voneinander sein können, zeigte auch in diesem Jahr das "Wave-Gotik-Treffen" in Leipzig. Schon zum achten Mal traf sich über die Pfingst-Feiertage ein "schwarzes" Publikum, um seiner Kultur Ausdruck zu verleihen.

Das Treffen stellt in mehrerer Hinsicht eine Besonderheit dar. Zum einen zeichnet es sich durch seine zunehmende Größe aus: Was als Untergrund-Event begann, lockte in diesem Jahr an die 20.000 Besucher an. Zum zweiten ist es das einzige musikalische Großereignis, daß von Mitteldeutschen nach der Wende initiiert und seither federführend geleitet wird. Und schließlich begreift sich das Treffen als Kulturveranstaltung im umfassenderen Sinn: Neben Independent-Musikkonzerten formen ein Szene- und ein Mittelaltermarkt, Darbietungen klassischer Musik, Museumsausstellungen, Diskussionsforen, Lesungen und Filmnächte ein Gesamtkunstwerk.

Den Veranstaltern ist daran gelegen, das vier Tage dauernde Ereignis in die Stadt Leipzig zu integrieren. Es soll zu einem lebendigen Austausch von lokaler Alltagskultur und "Szene" kommen. So sind die Veranstaltungsorte weit über die Stadt gestreut, was zwar verkehrstechnisch an einigen Knotenpunkten für endlose Blechlawinen sorgte, aber immerhin zur Auseinandersetzung der Besucher mit der Gastgeberstadt zwingt.

Allerdings fand auch diesmal das "Wave-Gotik-Treffen" in den Medien kaum Beachtung. Während sich die Rock-Opis und -Omis auf dem "Rock am Ring" unter Einschaltung von Funk und Fernsehen austoben durften, herrschte von einigen Ausnahmen abgesehen, über Leipzig Funkstille – zumindest das Festival als solches betreffend.

Dies dürfte an den "Image-Problemen" liegen, die einige Sittenwächter der Szene besorgt haben. "Problematisch" erscheinen ihnen die Symbolik, die vielfach deutschen Texte, die anti-modernistische Stimmungslage der Szene. Und wenn eine solche Bewegung mit einigermaßen souverän artikuliertem kulturellen Unterbau dann nicht nur mit ästhetischen Versatzstücken der europäischen zwanziger und dreißiger Jahre provoziert, sondern sich obendrein weigert, sich von politischen Ideologien belehren und vereinnahmen zu lassen, dann ist die Verwirrung perfekt. Kurz: die Schwarzen befinden sich im Rotlicht einzelner Journalisten schon in der braunen Grauzone.

Es wird nicht gern gesehen, wenn Joachim Witt und Wolfsheim die Charts erobern, "Neue Deutsche Härte" à la Rammstein Verbreitung findet. Und dem Spiegel etwa fiel ein, daß auch die "Täter von Littleton" schwarze Trenchcoats getragen hätten. Da ist folgende Frage der Hamburger Illustrierten nur konsequente Schlußfolgerung: "Gehören Waffen zur Gruftie-Grundausstattung?"

Kaum verwunderlich dabei ist, daß ausgerechnet der Linksextremist Alfred Schobert befragt wurde, der unter dem Deckmantel des "Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung" (DISS) massive Einschüchterungsversuche gegen bestimmte Erscheinungen der Szene betreibt. Schoberts geistige Gefolgsmänner versuchten im Vorfeld des Treffens, Unbequeme mundtot zu machen. Die Zeitschrift Sigill und der Arun-Verlag sollten nicht ausstellen dürfen, Gruppen wie Kirilian Kamera oder Feindflug nicht auftreten. Die Grenze zur persönlichen, physischen Bedrohung wurde bei Josef Klumb, dem geschaßten Frontmann von Weissglut, überschritten. Ihm wurde über "Freunde" vermittelt, er müsse bei seinem Erscheinen auf dem Treffen "etwas" befürchten.

Die maßgebliche Szene-Zeitschrift Zillo, politisch neutral bis zeitgeistkonform, griff das aktuell-brisante Thema auf und hatte eine Podiumsdiskussion geplant: Auf Seiten der "Anklage" waren Plätze für Schobert und einen Vertreter der Bremer Mini-Bewegung "Grufties gegen Rechts" vorgesehen, beide sagten zunächst zu. Als jedoch kurzfristig Josef Klumb ebenfalls zur Teilnahme eingeladen wurde, wohlweislich unter der Bedingung, sich sämtlichen gegen ihn gerichteten Vorwürfen zu stellen, bekam Schobert zum wiederholten Male kalte Füße und einen roten Kopf – und kniff.

In einer obskuren Mischung aus Grimm und wahnhaftem Verhalten ließ er Zillo wissen, er fände es "unverschämt", ihm zuzumuten, sich mit Klumb an einen Tisch zu setzen. Die "Grufties gegen Rechts" wollten sich daraufhin ebenfalls nicht mehr der Aussprache stellen, statt dessen drohte man dem Veranstalter mit "massiven Protesten und "Ärger", falls es dennoch zu einer öffentlichen Diskussion mit Klumb käme.

Ecki Stieg, der vorgesehene Moderator des Streitgesprächs, der gern seine Affinität zu PDS-Positionen hervorhebt, zeigte sich von dieser Entwicklung erstaunt. Er empfände es als "geradezu beängstigend, daß Alfred Schobert Menschen, die bereit sind, sich mit Klumb in einer Diskussion auseinanderzusetzen, ein Liebäugeln mit Faschisten vorwirft und in beleidigender und diffamierender Weise Drohungen ausspricht". Der Programmpunkt "Die braune Flut?" wurde gestrichen. Josef Klumb bedauerte, daß man sich unter fadenscheinigen Gründen schon seit Jahren auf kein öffentliches Gespräch mit ihm einlasse. Er verwies auf sein demnächst erscheinendes Buch "Leicht entflammbares Material", das sich ausführlich mit den Hintergründen dieser infamen Kampagne von linksaußen auseinandersetzen werde.

Ein gutes Zeichen für die Immunität der Szene gegen totalitäre Meinungswächter ist zweifellos, daß alle Einschüchterungsversuche nicht fruchteten. Besagte Gruppen durften auftreten, Stände wurden nicht gestürmt, Josef Klumb konnte Autogramme geben.

Lediglich vor dem Konzert von Kirilian Kamera  gab es vor dem Künstlereingang der Parkbühne eine "Spontandemonstration" einer Handvoll Jugendlicher. Da die übrigen 1.000 Konzertbesucher es vorzogen, sich der versuchten Mundtotmachung nicht anzuschließen, löste sich die Demo binnen drei Minuten von selbst wieder auf. Viel Rauch um nichts also.

Ansonsten zeigte sich die Großveranstaltung von durchaus heterogenen Momenten bewegt. Punkig gekleidete Schülerinnen, eine auf düster getrimmte Street-Dance-Vorführung, lange Fan-Schlangen vor den Autogramme gebenden Künstlern der Band HIM wiesen einerseits darauf hin, daß die Gotik-Bewegung auch in "modischer" Popkultur ihren Platz hat. Andererseits zeigte ein Blick auf die Stände der Aussteller allerlei Esoterisches, von Runengemurmel über magische Rezepte bis zu psychedelischen Kräutern.

Zu den kulturellen Höhepunkten gehörten zweifellos die Konzerte von Hagelaz Runedance, Camerata Mediolanense und Kirilian Kamera auf der Parkbühne. Die einmalige Atmosphäre des Völkerschlachtsdenkmals wurde von der italienischen Gruppe Ataraxia genutzt, um die Zuhörer zu bezaubern. Im Industrial-Bereich überzeugten Ain Soph, als Publikumsmagnet erwies sich die EBM-Nacht im Haus Leipzig. Die englische Formation VNV Nation brachte an die 2.000 Besucher in einen Sinnesrausch, ihr exzellentes Album "Praise the Fallen" wurde live noch überboten. Am Montag schließlich setzten ein Black-Metal-Event sowie die "Pagan Musik Night" einen dunklen Abschlußton.

Das Wave-Gotik-Treffen hat quantitative und qualitative Dimensionen erreicht, die es zu einem Faktor im Massen-Kulturbetrieb der Republik machen. Es ist zu erwarten, daß Politisierungsversuche von links hier nicht fruchten: Das Scheinwerferlicht der Gedankenpolizei kann das Dunkel nicht mehr durchdringen.


 
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