© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/99 04. Juni 1999


Pankraz,
Scheich Abu Saadi und der Achselschweiß im Sommer

Häßlichkeit verkauft sich doch schlecht. Der "Smart", jenes elsässische Mercedes-Baby, das sich innerhalb kürzester Zeit – zu Recht – den Ruf des "häßlichsten Autos der Welt" erworben hat, klebt wie ein abgelegter Kaugummi in den Verkaufsetagen des Konzerns. Niemand will das kleine Monster haben, obwohl es doch angeblich so praktisch ist, in jede Parklücke hineinpaßt, kaum Benzin verbraucht, das ideale Vehikel für Frauen auf Einkaufsbummel ist. Aber sein Anblick ist eben ein Graus. Seine Häßlichkeit färbt im Nu auf die Besitzerin ab.

Voller Melancholie gedenken die Liebhaber kleiner und kleinster Autos der "Asphaltblasen" vergangener Zeiten, der legendären BMW-Isetta etwa, der Heinkel-Kabine, des Fulda-Mobils, des Messerschmitt-Rollers. Verglichen mit dem "Smart" waren diese Kreationen wahre Wunder an Charme, Niedlichkeit, Zutraulichkeit. Sie luden zum Streicheln ein, während man beim "Smart" ständig gewärtigen muß, daß er einen rücklings in den Allerwertesten oder sonstwohin beißt. Er gleicht einer Hornisse ohne Hinterleib, einem Serviettenkloß auf Rädern. Kein Mädchen kann sich mit ihm sehen lassen.

Natürlich verdankt sich diese Mißgestalt nicht designerischem Unvermögen, man darf davon ausgehen, daß sie volle Absicht gewesen ist. Die Designer wollten mit dem "Smart" ganz bewußt eine Häßlichkeit schaffen, gemäß der ästhetischen Doktrin der Postmoderne, wonach Häßlichkeit attraktiv sei, gerade in den Augen geschmäcklerischer Geister, die schon alles haben und nach Neuem, Interessantem gieren, mit dem sie bei ihren Freunden einen "Schock" auslösen und sich selber interessant machen können. Auf solchen Kundenkreis war der "Smart" hinkonstruiert.

Doch die Sache ist gründlich schief gegangen. Im Grunde ist damit nicht nur ein Verkaufskonzept widerlegt, sondern darüber hinaus die ganze postmoderne Ästhetik inklusive ihrer romantischen Gründerväter, die der Häßlichkeit einst die Bahn gebrochen hatten. Man sollte sich das Datum im Kalender rot ankreuzen.

Bis, sagen wir, zum Jahr 1800 war es im Abendland selbstverständlich gewesen, daß die Kunst (und damit auch das Design, das Kunsthandwerk) der "Schönheit" huldigte, der Harmonie, der Wohlgestalt, die ein Ausweis der Tugend war. Epochen, in denen das Unschöne, häßliche Fratzen, geile Begierden, eine gewisse Rolle spielte, hatte es zwar gegeben, so im Späthellenismus, so im Manierismus und auch im Barock, doch trat derlei nie in den Mittelpunkt der Kunstübung, es wurde eindeutig als Abweichung markiert, mußte dem Schönen letztlich den Vortritt lassen, wurde vor allem nicht theoretisch verherrlicht.

In der Romantik änderte sich das. Friedrich Schlegel schrieb im "Athenäum", wenn die Kunst die "absolute Anschauung" vermittle, dann könne ihr Feld nicht nur die Schönheit sein, denn das Absolute schließe auch den Gegenentwurf ein, das Böse, das Schlechte, das Unvollkommene, Torsohafte, Ruinöse, mit einem Wort: das Häßliche.

Ja, fragte Schlegel frech, sei es nicht gerade die Bestimmung der Kunst, allen diesen Kategorien, speziell dem Häßlichen, mit Vorrang zu huldigen, da das Schöne ohnehin im normalen bürgerlichen Leben zu seinem Recht komme, bewußt angestrebt werde? Sei die Kunst nicht in erster Linie das "Andere" zum normalen Leben, "das Reich des Unendlichen über der Brandstätte der Endlichkeit"?

Solche Fragen stellen, hieß natürlich, sie in eindeutiger Weise beantworten. Und so traten denn schon bei Schlegel und in der Ästhetik der Romantiker an die Stelle der Schönheit ganz andere Prioritäten, die "Interessantheit" vor allem und in ihrem Gefolge die "interessant machende" Häßlichkeit.

Es ging frontal gegen den Kanon der Weimarer Klassiker, gegen Ziehvater Goethe und gegen die Jenaer Diskussionspartner Hegel und Wilhelm von Humboldt. Deren "schönes Maß" wurde denunziert, ihre "Abrundung", "Vollendung". Plötzlich sollte genau das Gegenteil der Kern des Ästhetischen sein: die Maßlosigkeit, das Grelle, Unabgerundete, nicht zu Ende Gebrachte.

In den Romanen der Romantiker, der Arnim und Tieck, wurde die neue Doktrin zum ersten Mal ausprobiert, sie gaben sich absichtlich ruinös und fragmentarisch. Und das hat seitdem ungeheuer Schule gemacht, über alle künstlerischen Fächer hinweg, bis ins technische Design hinein. Hatte man dort eine Zeitlang noch den Zug zur Häßlichkeit mit einer "Ästhetik der Ehrlichkeit" gerechtfertigt ("man soll die Funktion einer Sache ehrlich vorzeigen, sie nicht mit verlogenem Schein umkleiden"), so fielen schließlich alle Bedenken – und man erschuf den "Smart".

Schlägt jetzt das Pendel zurück? Zumindest bleiben die "Smarts" in den Verkaufräumen stehen. Und wenn die Sonderwerbekampagnen plötzlich wieder hektisch auf die "funktionale Perfektion" des Mini-Ungeheuers hinweisen, so wird nur um so deutlicher: Häßlichkeit pur geht auf keinen Fall mehr, bringt keinen Profit mehr, man hat von ihr die Nase voll. Ein potentieller Kunde aus Persien zitierte beim Anblick des "Smart" spontan aus dem berühmten Gedicht "Der Rosengarten" des Scheich Abu Saadi: "Wie häßlich von Gestalt er war, / Geht über die Beschreibung weit, / Und seine Achselhöhle roch, / O Gott, wie Aas zur Sommerzeit".

Der Verkäufer zwang sich zu einem Lächeln und meinte beschwichtigend: "Aber wir sind hier doch nicht im Theater." Wahrscheinlich geht der Mann selten ins Theater und weiß deshalb nicht, daß der Achselschweiß, das Aas zur Sommerzeit und dergleichen dort eine nicht unwesentliche Rolle spielen (um es vorsichtig auzudrücken). Indes, was den "Smart"-Verkaufsräumen zur Zeit widerfährt, steht den Theatern möglicherweise demnächst ebenfalls ins Haus.


 
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