© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/99 04. Juni 1999


Burschenschaften: Helmut Kohl als Festredner in Eisenach
Europas Genius mobilisieren
Christan Uebach

Scheuen Sie nicht, Nationalbewußtsein zu zeigen", rief Altbundeskanzler Helmut Kohl als Festredner den rund 500 Burschenschaftern sowie zahlreichen Bürgern Eisenachs zu, die sich am vergangenen Freitagabend in der Werner-Aßmann-Sporthalle in der Wartburgstadt zu einer Feierstunde zusammengefunden hatten.

Traditionell veranstaltet die Deutsche Burschenschaft (DB) im Rahmen des Burschentags, ihrer großen Dachverbandstagung, die alljährlich in der Woche nach Pfingsten in Eisenach stattfindet, einen Festakt auf der Wartburg. Damit will der Korporationsdachverband den Geist des ersten Wartburgfests vom 18. Oktober 1817 wachhalten, bei dem zum ersten Mal Burschenschafter aus Hochschulstädten ganz Deutschlands zum Gedankenaustausch zusammenkamen und der Gründung der Allgemeinen Deutschen Burschenschaft den Weg bereiteten.

In diesem Jahr machte ein plötzlich aufziehender Gewittersturm den Burschenschaftern einen Strich durch die Rechnung. Das Unwetter stellte sich der Durchführung des Festakts auf der Wartburg in den Weg. Der vorsitzenden Burschenschaft der DB, der Frankfurt-Leipziger Burschenschaft Arminia, gelang es jedoch, die Veranstaltung binnen 20 Minuten in die Sporthalle zu verlegen. "Wir befinden uns ideell auf der Wartburg", erklärte ein Vertreter der Frankfurt-Leipziger Arminia.

Um den etwa 200 Gegendemonstranten, die sich einige Tage zuvor mit Plakaten angekündigt hatten, zu begegnen, war die Polizei mit mehreren Hundertschaften in Eisenach im Einsatz. So konnte die Veranstaltung ohne Zwischenfälle durchgeführt werden.

Chargierte mehrerer Bünde, unter ihnen die Vertreter der Jenenser Burschenschaften, die sich auf die Jenaische Urburschenschaft von 1815 berufen, säumten das Podium mit Fahnen und Schlägern, als seine königliche Hoheit Prinz Michael von Sachsen, Weimar und Eisenach das Podium betrat.Prinz Michael erinnerte daran, daß die Burschenschaften unter der Regierung seines Vorfahren Carl August auf dem ersten Wartburgfest für die Einheit und Freiheit Deutschlands demonstriert hätten. "Tradition heißt nicht Asche bewahren, sondern die Glut", proklamierte Michael vor den Korporierten.

Als Hauptredner des Festakts hatte die vorsitzende Burschenschaft Altbundeskanzler Helmut Kohl engagiert. Der CDU-Ehrenvorsitzende schwärmte von der Wartburg, jenem "Platz, der deutsche, europäische, ja Weltgeschichte atmet". Das Wartburgfest sei eines der großen Ereignisse der deutschen Geschichte.

Mit Blick auf die Vereinigung von DDR und Bundesrepublik Deutschland äußerte Kohl die Einschätzung, daß das 1817 gesetzte Signal für Freiheitswillen und nationale Einheit in diesem Jahrzehnt seine Erfüllung gefunden habe.

Das "Geschenk der deutschen Einheit" werde man sich nicht von denen stehlen lassen, die die Einheit verraten hätten, und er empfahl, gelegentlich den Fernseher abzuschalten, denn der zeige nicht immer die Wirklichkeit.

Nationalbewußtsein zu demonstrieren, habe nichts mit Nationalismus oder gar Chauvismus zu tun, erklärte Kohl weiter. Patriotismus müsse sich jedoch mit europäischer Gesinnung verbinden. Ein guter Demokrat müsse immer auch ein guter Europäer sein. Eine Erläuterung dieser Kausalität blieb der CDU-Politiker schuldig. "Wenn es uns nicht gelingt, den Genius Europas zu mobilisieren mit Hilfe zur Selbsthilfe, dann haben wir vor der Geschichte versagt", betonte Kohl.

Im wesentlichen gab der Altbundeskanzler die Essenz der Regierungsraison seiner letzten Amtsjahre wieder. Helmut Kohl wurde von einem Teil der Zuhörerschaft mit stehenden Ovationen bedacht, wohingegen ihm ein Großteil der Anwesenden allenfalls artigen Beifall zollte. Ein Burschenschafter äußerte gegenüber der jungen freiheit, selten so eine "schwache Festrede" gehört zu haben.


 
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