© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/99 04. Juni 1999


Bund der Vertriebenen: Der Krieg auf dem Balkan hebt die Bedeutung des Verbandes
Innenminister beklagt linke Fehler
Karl-Peter Gerigk

Mit einem Festakt und anschließendem ökumenischen Gottesdienst im Berliner Dom feierte der Bund der Vertriebenen (BdV) den diesjährigen Tag der Heimat.

BdV-Präsidentin Erika Steinbach, verglich in ihrer Ansprache die Vertreibungen der Deutschen nach 1945 mit dem aktuellen Flüchtlingsproblemen in Ex-Jugoslawien. Es sei wichtig, die Vertreibung weiter als Unrecht zu kennzeichnen und zu ächten. Darum müßten auch, wie vom Europäischen Parlament gefordert, die Bensesch-Dekrete durch die Tschechische Republik aufgehoben werden.

Die Bundesregierung wurde durch Innenminister Otto Schily vertreten, der die Bedeutung der Vertriebenen für den Aufbau in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg hervorhob. Ganze Siedlungen seien gerade in strukturschwachen Gegenden entstanden, und die Regionen seien durch Fleiß und Mühen der Vertriebenen zur Blüte gebracht worden. Zentral waren seine Aussagen hinsichtlich der Bedeutung der Landsmannschaften und des Bundes der Vertriebenen für die Aussöhnung in Europa. Er zitierte Vaclav Havel in dem Sinne, daß die Kenntnis der Geschichte und die richtige Bewältigung der Vergangenheit grundlegend für eine freie Gesellschaft sei, denn Wahrheit dürfe sich nicht dem politischen Interesse unterordnen. In diesem Sinne sei das Unrecht der geplanten und durch die Alliierten auch in allen ihren Auswüchsen geduldeten Vertreibung von 15 Millionen Deutschen aus dem Osten Europas ebenso eine Wahrheit wie die Barbarei des NS- Regimes und deren Morde und Vertreibungen schon vor 1945.

Schily kritisierte die politische Linke, die zu lange aus Zweckgebundenheit über das Schicksal der Vertriebenen hinwegeschaut habe, um einen Ausgleich mit den Nachbarn zu erreichen. Notwendig sei aber eine klare Sprache, die ein aufrichtiges Zusammenleben ermögliche. Die Rechte habe zudem immer versucht, die begründeten Anliegen der Vertriebenen für ihre Zwecke zu mißbrauchen. Dabei sei es völkerrechtlich anerkannt, daß jede Form der Vertreibung von der Staatengemeinschaft geächtet werden müsse. Vertreibungen, auch die nach 1945, seien auf der Grundlage einer "wahnhaften Vorstellung von ethnisch homogenen Staaten" vollzogen worden. Man habe nach 1945 als Grundlage für den Frieden die Entmischung der Völker in Europa gesehen. Dabei habe gerade auch das Streben nach nationaler Selbstbestimmung, also das Selbstbestimmungsrecht der Völker, in die Irre geführt. Es könne nicht im Interesse der europäischen Integration sein, daß sich zu Beispiel die slawischen Völker des Ostens Europas zu völkisch bestimmten Nationalstaaten entwickelten. "Frieden und Freiheit in Europa kann nicht im nationalstaatlichen Gegeneinander verwirklicht werden", so Schily. Aus diesem Grunde sei die Erinnerung an das Unrecht auch der Vertreibung enorm wichtig. Der Bundesinnenminister unterstützte ausdrücklich die Forderung des BdV nach einem "Zentrum der Erinnerung an die Vertreibung in Europa", ebenso wie auch der Präsident des Bundesrates Ministerpräsident Roland Koch. "Berlin muß ein Zentrum werden, in dem die Erfahrungen der Deutschen und mit den Deutschen präsent sind. Dies gilt für das perfide System eines Diktators ebenso wie für die Verbrechen der Vertreibung. Darum ist ein solches Zentrum zur Erinnerung an die Vertreibung notwendig", meinte Koch.

Auch der Berliner Regierende Bürgermeister, Eberhard Diepgen (CDU), äußerte sich in seiner Ansprache positiv zu einer solchen Gedenkstätte. Angesichts der aktuelle Vertreibungen in Europa sei die Frage des Anrechtes auf die Heimat wieder auf der tagespolitischen Agenda. Ohne die Aufbauleistung der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen wäre Deutschland heute nicht das, was es geworden ist. "Die Kinder der Flüchtlingsgeneration haben durch starken Aufbauwillen und Leistungsbereitschaft den Aufstieg in viele Führungspositionen der Bundesrepublik Deutschland geschafft und so eine enorme Integrationsleistung auf Grundlage eines großen Integrationswillens geleistet", sagte Diepgen. Man könne den Vertriebenen heute schlicht keinen Revanchismus vorwerfen, denn schon in der Vertriebenencharta von 1950 sei der Teufelskreis von Unrecht und Vertreibung durchbrochen worden.

Diepgen warnte in diesem Zusammenhang vor einem einseitigen und selektiven Geschichtsverständnis. Eine Nation müsse verstanden werden vor dem Hintergrund ihrer gesamten Geschichte und eben auch in Bezug auf ihre Nachbarn, dies in aller Klarheit und Wahrheit. Auch hinsichtlich der zukünftigen Entwicklungen der europäischen Integration könne die Geschichte nicht vergessen werden. Die Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit in Europa sei ein integraler Bestandteil der weiteren europäischen Integration. Es müsse die Möglichkeit der Rückkehr derjenigen in ihre angestammte Heimat möglich sein, die das Land ihre Väter nicht vergessen können. Minderheitenschutz, Toleranz und Integration gehören zum Kernbestand der Europäischen Union. Die Europäsiche Union "erschöpft sich nicht nur, so wichtig dies auch sein möge, in Grenzkontrollfreiheit, dem Euro oder garantierten Schweinefleischpreisen. Ich jedenfalls träume von einem Europa fußend auf römischem Recht, aufbauend auf das Christentum, Humanismus und Aufklärung", so Diepgen.


 
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