© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/99 04. Juni 1999


Kaschmir-Krise: Der nächste Krieg steht vor der Tür
Atomare Drohung
Michael Wiesberg

Im indischen Teil Kaschmirs wird wieder einmal gekämpft. Die indische Armee bombardiert die Stellungen sogenannter "Gotteskrieger" aus Pakistan, die sich auf einer Reihe von Höhenzügen auf indischem Gebiet festgesetzt haben. Indien behauptet, daß auch reguläre pakistanische Soldaten an der Auseinandersetzung beteiligt sein sollen. Es seien, so die Inder, entsprechende Beweise bei gefallenen Guerillas gefunden worden.

Der Konflikt um den Kaschmir hat in den letzten zehn Jahren immer unversöhnlichere Züge angenommen. Zu ersten Kämpfen kam es nach dem Abzug der sowjetischen Streitkräfte aus Afghanistan. Kurz darauf begann ein "Heiliger Krieg", an dem sich Pakistaner, Afghanen, Sudanesen, Ägypter, Türken, Araber und auch Jeminiten beteiligten.

Das Auftreten dieser "Gotteskrieger" kommt nicht von ungefähr. Die USA waren in den achtziger Jahren aktiv am Aufbau einer islamischen Guerilla-Armee in Afghanistan beteiligt. Hunderte von Millionen Dollar wurden in die Mujaheddin-Gruppen gepumpt, um die Sowjets aus Afghanistan herauszudrängen. Die USA nahmen die antiamerikanische Ausrichtung der Gotteskrieger für die Durchsetzung ihrer geostrategischen Ziele billigend in Kauf. Bekanntlich erreichten die USA ihr Ziel: Die Sowjets sahen sich nach Jahren eines zermürbenden und vor allem verlustreichen Guerillakrieges gezwungen, Afghanistan zu räumen. Was aber wohl kaum im Interesse der US-Politik gewesen sein dürfte, ist die Tatsache, daß die von ihr finanzierten Gotteskrieger vom Zeitpunkt der sowjetischen Räumung Afghanistans an eine Blutspur durch diverse Staaten ziehen. Ägypten, Algerien, Ostafrika und der Kaschmir sind in diesem Zusammenhang nur am auffälligsten.

Die Förderung islamistischer Terrorgruppen durch die USA ist allerdings nur eine Seite der Medaille. Die andere ist die besondere Motivation Pakistans im laufenden Konflikt mit Indien. Pakistan hat im Grunde genommen nie akzeptiert, daß ihm das angrenzende Kaschmir vorenthalten wurde. Für Islamabad stellt die "Befreiung" des Kaschmir eine Art heilige Mission dar. Darüber hinaus ist der Kaschmir-Konflikt zum einen ein willkommenes Ventil für die Unzufriedenheit im Lande und zum anderen ein Mittel für die Mobilisierung der Massen. Schließlich versichert sich Islamabad durch das Schüren der Konfrontation mit Indien der Unterstützung durch die islamistischen Parteien Pakistans, durch das Militär und vor allem durch den Nachrichtendienst ISI, einem der aktivsten und aggressivsten Geheimdienste der sogenannten Drittweltstaaten. Dieser unterstützte in den achtziger Jahren die afghanischen Gotteskrieger in ihrem Kampf gegen die Sowjetunion und bildete diese dafür in einem weit verstreuten Netzwerk von Lagern aus. Als der Afghanistan-Krieg zu Ende war, wurden diese Lager durch den ISI zu Zentren für die Ausbildung für einen weltweiten Djihad umgewandelt. Diese Transformation der Ausbildungslager ging Hand in Hand mit der ISI-Strategie einer gezielten Infiltration des indischen Teils Kaschmirs durch "Gotteskrieger".

Auf der Liste der bewaffneten islamischen Bewegungen nimmt die "Befreiung" des Kaschmir neben der Wiedereroberung Israels, der "Befreiung" Algeriens, des Sudans und Ägyptens eine exponierte Rolle ein. Es muß davon ausgegangen werden, daß der ISI im Hinblick auf diese Bewegungen eine zentrale Funktion hat. So gründete der ISI Anfang der neunziger Jahre mit dem Markaz-Dawar ein Zentrum für weltweite islamistische Aktivitäten. Die geistigen Oberhäupter dieses Zentrums predigten den Auszubildenden immer wieder, daß es ihre Bestimmung sei, zu kämpfen und das Land Allahs von den "Ungläubigen" zu befreien.

Die in Markaz-Dawar ausgebildeten Gotteskrieger werden nach vorliegenden Erkenntnissen in den Kaschmir, nach Algerien und Ägypten geschickt, um dort terroristisch aktiv zu werden. Es ist daher wahrscheinlich, daß die jetzt in Kaschmir operierenden Gotteskrieger in Markaz-Dawar ausgebildet worden sind und ihre Aktivitäten unter Leitung des ISI entfalten.

Islamabad ist sich bewußt, daß seine gegenwärtige Strategie im Kaschmir zu einer Eskalation mit Indien führen kann. Offensichtlich schreckt Pakistan dennoch nicht vor einer möglichen kriegerischen Verwicklung zurück, wie seine fortwährende Unterstützung der "Gotteskrieger" zeigt. Auch Regierungsoffizielle fallen dabei mit finsteren Drohungen auf. So warnte im Februar 1995 ein Sprecher des Außenministeriums Indien davor, seine Aggressionen weiterzutreiben. Sollte infolge dieser Aggressionen ein Krieg zwischen Indien und Pakistan ausbrechen, würde nicht ein tausendjähriger oder tausendstündiger Krieg folgen, sondern nur ein wenige Minuten umfassender Krieg, über dessen mögliche Verwüstungen sich Indien bewußt sein müsse. Diese Drohung ist ein unmißverständlicher Wink mit der Atomwaffe. Darauf verwies ein anderer Regierungsbeamter: Pakistan sei in der Lage, erklärte dieser, mittels seiner Nuklearwaffen einen vernichtenden Schlag gegen Indien zu führen.

Auch wenn sich sowohl Indien als auch Pakistan in der laufenden Auseinandersetzung Mäßigung auferlegt haben: Es kann jederzeit zu einer Eskalation kommen, bei der auch der Einsatz von Atomwaffen nicht ausgeschlossen werden kann.


 
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