© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/99 04. Juni 1999


Fehlinterpretationen
von Elsa Klar

Ein Zentrum gegen Vertreibungen soll in Berlin geschaffen werden. Darin waren sich die Festredner zum "Tag der deutschen Heimatvertriebenen" einig. Das Zentrum solle "Mahnung sein, Vertreibungen weltweit entgegenzuwirken", forderte BdV-Präsidentin Erika Steinbach. Auch Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) ging in seiner Ansprache auf diese Idee ein: "Die Erinnerung an das millionenfache Leid der Vertriebenen darf nicht neuen Haß schüren, sondern muß helfen, Haß und Fremdheit zu überwinden. In diesem Sinne ist das Vorhaben unterstützenswert, ein ‘Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin’ zu errichten."

Als Vertreter der Bundesregierung hörte ihm das Publikum mit besonderer Spannung zu, war doch deren Haltung zu den Interessen der Vertriebenen aus den Reihen des BdV zuvor scharf kritisiert worden. Das Unterstützungangebot für das Vertriebenenzentrum war jedoch nichts als eine Geste. Entschädigungsforderungen beugte der Bundesinnenminister vor, indem er die Opfer der Vertreibungsverbrechen "zu den Opfern der verbrecherischen Politik Hitlers" zählte. Die Täter und deren Verantwortung erwähnte er mit keinem Wort. Auch mit der Linken ging Schily nicht "hart ins Gericht", wie manche Kommentatoren schlußfolgerten.

Jahrzehntelange stasigesteuerte Desinformation über die organisierten Vertriebenen, die Westlinke in ihrem tschekistischen Kampf gebrauchten, führte der Minister nicht auf Mutwillig-, sondern auf Mutlosigkeit zurück. "Die politische Linke hat in der Vergangenheit (…) über die Vertreibungsverbrechen, über das millionenfache Leid, das den Vertriebenen zugefügt wurde, hinweggesehen, sei es aus Desinteresse, sei es aus Ängstlichkeit vor dem Vorwurf, als Revanchist gescholten zu werden, oder sei es in dem Irrglauben, durch Verschweigen und Verdrängen eher den Weg zu einem Ausgleich mit unseren Nachbarn im Osten zu erreichen. Dieses Verhalten war Ausdruck von Mutlosigkeit und Zaghaftigkeit."

Wie die anderen Redner wies auch er auf die Parallelität zur Situation im Kosovo hin. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker mochte er den Kosovaren aber nicht zugestehen: Den Historiker Hagen Schulze zitierend, meinte er, daß das "abstrakte Modell des Selbstbestimmungsrechts der Völker (…) in die Irre geführt" habe.

Weiter stellte er fest: "Wir haben gelernt, daß Minderheitenrechte respektiert werden müssen und respektiert werden können, ohne daß dadurch die Stabilität eines Staates beeinträchtigt wird." Schily bezog sich dabei auf die "ethnische Flurbereinigung", die das Lausanner Abkommen von 1923 vorsah. Ein aktueller Bezug, wie beim Vergleich der Vertreibungverbrechen, hätte in diesem Zusammenhang interessiert. Der Minister blieb ihn schuldig.


 
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