© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/99 04. Juni 1999


Euro-Kurs: Die europäische Währung befindet sich auf einer ungebremsten Talfahrt
Der Absturz des Ikarus
Manfred Brunner

Nach den Argumenten vom Jahresanfang müßte jetzt die Ausgabe von Euro-Noten und Münzen um zwölf Jahre auf den 1. Januar 2014 verschoben werden. Das wäre jedenfalls der rechnerische Umkehrschluß aus den Forderungen von Politikern der CDU, SPD und FDP, den Termin wegen des damaligen 2-Cent-Anstieges des Euros um zwei Jahre vorzuverlegen. In der Tat stellt der zwölfprozentige Verfall des Euro jenen kein gutes Zeugnis aus, die behaupteten, der Euro werde härter als die D-Mark.

Neue argumentative Bastion der einschlägigen Kreise ist nun, es handle sich nicht um eine Euro-Schwäche, sondern um eine Dollar-Stärke. Daran ist wahr, daß ein unterschiedlicher Konjunkturverlauf und nun auch unterschiedliche Zinserwartungen dem Euro im Verhältnis zum Dollar schaden. Aber bereits ein Blick auf den schlechten Stand des Euro im Vergleich zum Britischen Pfund und zum Schweizer Franken schwächen das Argument. Auch der massive Verlust des Euro nach der Stabilitätsausnahme für Italien zeigt, daß die Schwäche der europäischen Kunstwährung hausgemacht ist und es Unsicherheiten über den europäischen Stabilitätswillen sind, die dem Dollar seinen Sicheren-Hafen-Status geben.

Daß die Genehmigung einer marginalen Zielveränderung italienischer Haushaltspolitik zu so markanten Reaktionen der Finanzmärkte führt, hat seinen Grund darin, daß dem Stabilitäts- und Wachstumspakt von Anfang an nicht geglaubt wurde. Der Pakt beruhte auf einer von den Vertragspartnern augenzwinkernd akzeptierten statistischen Fabel: Wenn die Europäische Kommission nun den Antrag Italiens auf Ausnahmegenehmigung als "ungeschickt" bezeichnet, heißt dies im Klartext, Italien hätte Zahlen, an die ohnehin niemand glaubt, nicht oder zumindest nicht jetzt berichtigen sollen. Italien wollte aber zum erstmöglichen Zeitpunkt deutlich machen, daß der Stabilitätspakt überholt ist. Viele andere EU-Staaten sind insgeheim darüber erfreut.

Die ganze Entwicklung ist nur für den eine Überraschung, der dem Stabilitätspakt von Amsterdam ein anderes Ziel zutraute, als die Beruhigung der skeptischen deutschen Öffentlichkeit. Nur zu diesem Ziel hat ihn Waigel erfunden, Stoiber als Fortschritt begrüßt, Kohl und Kinkel gepriesen. Der Stabilitätspakt war nur eine der vielen Täuschungen und Lügen in der Gründungsgeschichte des Euro.

Der Vorwurf des jetzigen CDU-Vorsitzen Schäuble, der amtierende Bundeskanzler Schröder habe wegen seiner Zustimmung zur Italien-Ausnahme versagt, ist deshalb ein Beispiel für die Scheinheiligkeit christdemokratischer Oppositionspolitik. Schröder und seine Kollegen haben den Stabilitätspakt so angewandt, wie er von der alten Regierung gemeint war. Allenfalls hätte man den Umfall hianuszögern können, was Kohl sicher bis nach der Europawahl gelungen wäre.

Welche Folgen könnte der Euroverfall für uns haben? Eine anhaltende Kapitalverschiebung in Richtung USA wird die Zinsen in der Eurozone nach oben treiben. Der Druck auf die Import- und Produzentenpreise wird durch Preissteigerungen auf die Verbraucher weitergegeben und (zusammen mit der anstehenden Mehrwertsteuererhöhung) das fast vergessene Wort Inflation in Erinnerung rufen.

Die politischen Folgen sprach dieser Tage Bundesbankpräsident Tietmeyer gegenüber der französischen Wirtschaftszeitung Les Echos aus: Da die nationalen Regierungen und die Öffentlichkeit nicht bereit seien, mit den Zwängen einer Währungsunion zu leben, seien supranationale Regelungen notwendig. Langfristig reiche der Maastricht-Vertrag hier nicht aus. Das klingt nach noch mehr Zentralismus. Und ob sich die supranationale Behörde des Herrn Tietmeyer dann wie gewünscht als Stabilitätsdiktatur verhalten wird? Wie man den Laden kennt, werden die undemokratischen Aspekte des Tietmeyer-Vorschlages Wirklichkeit werden, aber nicht dessen Stabilitätsziel. Das weiß Tietmeyer auch und er wußte es auch, als er mit einem Gefälligkeitsgutachten für die Regierung Kohl dem Euro den Weg ebnete und über die in meinem Prozeß aufgestellten Hürden des Bundesverfassungsgerichtes half. "Die Feigheit der Mächtigen" ist auch eine Kapitelüberschrift in der Unglücksgeschichte europäischer Währungspolitik.


 
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