© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/99 28. Mai 1999


Afro Meeting: In Innsbruck feierten 7.000 ausgelassene Fans ihre DJ-Helden und sich selbst
Bongos in der Nacht
Elvira Freytag

Anläßlich des Afro Meetings, das wegen des alljährlich enormen Interesses bereits zum zwölften Male stattfand, pilgerten auch dieses Jahr wieder an die 7.000 Besucher in die Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck, um an dem Wochenende vom 14. bis 16. Mai der größten Cosmic-Veranstaltung im Jahr beizuwohnen.

Die Olympia-Eissporthalle der rund 660.000 Einwohner zählenden Stadt wurde von einem Heer von campierenden Fans aus Italien, Österreich und Deutschland belagert. Unter den zeltenden Fans herrschte ein unglaublich familiäres Klima, das in gewisser Weise an Woodstock erinnerte. Es waren auch zahlreiche Camper darunter, die gar nicht wegen der Veranstaltung in der Halle gekommen waren, sondern ausschließlich wegen der Atmosphäre.

Cosmic ist die Bezeichnung für eine Musikrichtung, die sich überwiegend aus Afro, Reggae, Ethno und Tribal zusammensetzt. Entstanden ist diese Musik Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre in Norditalien und wurde von verschiedenen DJ‘s, die sich untereinander nicht kannten, parallel "entdeckt". Einer dieser Gründerväter des Cosmic war Daniele Baldelli, der schon 1979 in der Diskothek "Cosmic" in Lazise am Gardasee, von der übrigens der Name übernommen wurde, Electronic-Cosmic auflegte. Im selben Jahr verband DJ Mozart im Baia degli Angeli (Gabicce Mare-RI) Cosmic mit Afro-Percussion /Funky-Elementen und DJ Ebreo mit Afro-Funky-Soul, und somit wurde die Musik um einen weiteren Stil erweitert.

Bis heute werden neue Richtungen miteingebracht und sorgen für eine stetig wachsende Fangemeinde. Die Mischung aus gut tanzbarem Rhythmus, meist auf der Basis von Bongos, verstärkt durch eingängige Melodien mit afrikanischer, lateinamerikanischer, indischer bzw. auch gelegentlich orientalischer Herkunft, überwiegend, aber nicht ausschließlich mit Gesang ist für jede Stimmung einsetzbar: sowohl zum Tanzen als auch zum Entspannen (Ethno) oder einfach nur zum Mitsingen.

Oftmals werden aktuelle bekannte Lieder wie beispielsweise Khaleds "Aisha", U 2's " I still haven‘t found what I‘m looking for" oder gar das derzeit in den Hitlisten befindliche "Simarik" des türkischen Teeniestars Tarkan beigemischt. Cosmic wurde aber auch schon fälschlicher Weise für Techno gehalten, was keinesfalls zutrifft, da bereits die Geschwindigkeit, in der die Platten gespielt werden, entscheidend geringer ist. So läuft Techno zum Beispiel mit harten 140–180 BPM (Beats pro Minute) ab, Cosmic jedoch zwischen 90 und 120 BPM.

Anfang der 80er Jahre ist Cosmic also am Gardasee entstanden und hat sich von dort aus Richtung Rimini und später auch nach Norditalien verbreitet. Im Gegensatz zu Techno wurde Cosmic aber nie von der Industrie aufgegriffen, sondern verbreitete sich allein durch Mundpropaganda. Daß die Industrie kein Interesse an Cosmic hat, liegt laut DJ Stefan Egger vermutlich daran, daß "Cosmic keine erfundene Musik ist, sondern eigentlich nur aus verschiedenen Ethno-, Percussion-, Afroplatten etc. neu vermengt wurde". Schließlich erreichte die Musik auch Österreich und den Süden Deutschlands, wo seit Anfang der 90er Jahre – vor allem in der Region in und um München sowie Augsburg und Landsberg am Lech – regelmäßige Veranstaltungen in Diskotheken und Hallen stattfinden.

Die größte Cosmic-Veranstaltung ist aber das alljährlich stattfindende Afro Meeting, bei dem nur die besten DJs auflegen. Allen voran der aus Innsbruck stammende DJ Stefan Egger, der Italiener DJ Yano und DJ Corrado aus Südtirol. Daß nicht nur jeder für sich ausgezeichnet auflegt, sondern auch das Zusammenspiel untereinander mit anderen DJs einwandfrei klappt, zeigte sich bei einem "Best of – Megamix", bei dem sich Stefan Egger und Yano ein Duell lieferten, das die Menge in Ekstase versetzte und einen der Höhepunkte an diesem Wochenende darstellte.

Aber nicht nur dieser Megamix brachte die Massen in Rage, auch die gelungene Darbietung von dem Italiener DJ Fabrizio Fattori, der ebenfalls als einer der Begründer von Cosmic gilt, stellte seine Geschicklichkeit am Mischpult unter Beweis.

Das begeisterte Publikum war in jeder Hinsicht gemischt: Es waren Fans im Alter zwischen vielleicht acht und schätzungsweise 35 Jahren dabei, Jugendliche, die mit Metallica- und Kurt-Cobain-T-Shirts bekleidet waren, Reggae-Fans, die Dreadlocks trugen, aber auch höchst gepflegt auftretende Erscheinungen.

Als gegen fünf Uhr früh der erste offizielle Teil der Veranstaltung vorbei war, konnte von Nachtruhe aber keine Rede sein: Inmitten des Zeltlagers stand ein Mischpult mit der notwendigen Ausrüstung, und von dort aus wurde 24 Stunden aufgelegt. Falls der Discjockey eine kurze Unterbrechung machte, sorgten die Camper mit ihren Bongos, die sich gleichmäßig auf dem gesamten Zeltplatz ausgebreitet hatten, für eine "geruhsame Nacht". Andererseits macht wahrscheinlich genau dieses Verhalten das insgesamt gute Klima unter den zeltenden Fans aus. Selbst wer die nächtlichen Trommler überlisten wollte und sich Oropax in die Ohren steckte, wurde nicht vom Rhythmus der Musik verschont. Zwar wurde man akustisch nicht mehr erreicht, sehr wohl bekam man jedoch den Baß über die Bodenschwingung selbst aus 50 Meter Entfernung noch zu spüren.

Kein Wunder, daß sich Cosmic angesichts dieser so harmonischen und melodiösen Musikrichtung zunehmender Beliebtheit erfreut. Mit etwas härteren Beats, dafür aber einem ausgiebigen Intro, begab sich nun auch DJ Corrado hinter die Plattenteller. Corrado, der in Trento seine eigene Cosmic-Discothek namens "Spleen" führt und vielerorts als der Cosmic-Guru bezeichnet wird, weil er zu seiner ohnehin sehr eigenständigen Form von Cosmic auch noch eine unglaubliche Show liefert, sorgt unter seinen Kollegen für Verwunderung, da er beispielsweise auf die Boxentürme klettert und darauf zu tanzen beginnt.

Für Stefan Egger "unvorstellbar", da er sich viel zu sehr auf seine Arbeit konzentrieren muß, als daß er die Möglichkeit hätte, sich mit einer Show zu beschäftigen. "Für mich ist DJ Corrado kein Guru, das würde eher auf DJ Baldelli zutreffen, denn der war ja schließlich der Vorreiter von Cosmic und genau das stellt ja ein ’Guru‘ letztenendes dar. Corrado ist aus meiner Sicht eher ein knuddeliger Tanzbär oder ein Showact, aber ganz sicher kein Guru." Auch die Nähe seiner Fans scheint er zu genießen, da er sogar auf die Bühnenabsperrung kletterte, um auf diese Weise in Kontakt mit seinen Anhängern zu kommen.

Daß bei einem derartigen Event alles vorkommen kann, bewies eine junge Frau Anfang Zwanzig, die auf die Bühne kam, um dort ihrem Freund einen Heiratsantrag zu machen.

Trotz der steigenden Zahl von Anhängern ist Cosmic noch nicht flächendeckend bekannt. Im Grunde ist die Verbreitung dieser Musik bislang nicht allzu weit über Augsburg in nördlicher Richtung und Rimini in südlicher Richtung hinausgekommen. Das ist auch eines der negativen Ereignisse, die Stefan Egger rückblickend auf das vergangene Jahrzehnt verbucht.

Das Publikum, das sich einmal für Cosmic interessiert hat, bleibt der Musik allerdings treu und nimmt ofmals stundenlange Fahrten auf sich, um dann bei so großartigen Veranstaltungen wie dem Afro Meeting dabeizusein. Der alljährliche Erfolg beweist es, und so begeistert wie die Anhänger auch dieses Jahr wieder waren, wird auch jenes zwölfte Cosmic-Festival für eine ganze Weile in Erinnerung bleiben und die Vorfreude auf das Afro Meeting 2000 schüren.


 
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