© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/99 28. Mai 1999


Manfred Dahlheimer: Carl Schmitt und der deutsche Katholizismus 1888 bis 1936
Als "Hoffnungsträger" gehandelt
Peter Boßdorf

Eine Veröffentlichung über Carl Schmitt verdient heute nicht mehr bereits Respekt, bloß weil sie in ihm nicht nur den charakterlich deformierten Vor- oder Mitläufer des Nationalsozialismus erkennen möchte. Diese akademische Normalität dürfte unterdessen bis auf die Ebene der Proseminare hinab eingekehrt sein – viel weiter allerdings nicht: Dort, wo politische Bildung vor allem Lesestoffvorzensur bedeutet, kursieren in freier Interpretation jene Kernsätze, die einer schweigenden Mehrheit den Gebrauch des Kopfes zum Schütteln nahelegen.

Dort, wo eine wissenschaftliche Beschäftigung mit Carl Schmitt erfolgt, erweist sich aber auch der Versuch einer Ehrenrettung, den eine vermeintlich apologetische Minderheit unternahm, als unhandlich: Was die "Konservative Revolution" jenseits einer Autorenliste sein soll und ob "sie" von Nationalsozialismus mehr als nur der "eigene" Mißerfolg trennt, bleibt letztlich unerklärt. Es kursiert der Verdacht, daß Schmitt in diese Autorenliste nicht nur aus blanker Willkür eingefügt wurde, sondern in der Absicht, ihr eine intellektuelle Relevanz über die Zwischenkriegszeit hinaus zu vermitteln. Vielen, die den Betroffenen lieber im zeitlosen Zusammenhang zum Beispiel mit Machiavelli, Hobbes und Rousseau sehen möchten als verbunden mit Moeller van den Bruck, Stapel und Mahraun, ist dies aber nicht mehr zuzumuten. Die Gefahr eines neuerlichen, beinahe lebensweltlichen Kontextes folgt aber auf dem Fuß, und sie ist immerhin durch einschlägige Veröffentlichungen und ein persönliches Glaubensbekenntnis motiviert: Carl Schmitt als katholischer Denker – am Ende aller Aufregung mag also doch noch ein rettender Hafen erreicht sein.

Dieser Blick auf Schmitt ist nicht überraschend, Dahlheimer muß sich in seiner Arbeit, mit der er in Freiburg bei Alexander Hollerbach promoviert wurde, also nicht lange mit der Enthüllung von Geheimnissen aufhalten, sondern kann sich zügig an die Auswertung von bereits bekannten "Quellen" begeben. Er ist sich zwar bewußt, daß "weder Carl Schmitt noch der deutsche Katholizismus Begriffe sind, mit denen unumstrittene, klar definierbare Inhalte zu beschreiben sind", hat sich aber anscheinend nicht der Frage gestellt, ob denn mit der Exegese ausgesuchter Texte von ausgesuchten Autoren im katholischen Milieu dann wenigstens streitbare Näherungsversuche an den behaupteten Gegenstand der Arbeit möglich sind. Man wird sie wohl verneinen müssen.

Was Manfred Dahlheimer leisten kann, ist somit weniger als das Versprochene: Er stellt dar, wo Schmitt explizit den Katholizismus ins Spiel bringt, und versucht herauszuarbeiten, wann er innerhalb und wann außerhalb des katholischen Rahmens steht. Da er nicht mit einem eigenen Begriff von Katholizismus operieren möchte oder kann, greift er zum Hilfsbeweis, in dem er die Rezeption von Schmitts Schriften in der zeitgenössischen katholischen Publizistik referiert und sich bei widerstreitenden Beurteilungen derjenigen anschließt, die ihm aus der heutigen Sicht als opportun erscheint. Der Versuchung, jeden vermeintlich rechtgläubigen Katholiken, der im Jahr 1930 die Lehren aus Auschwitz und das Zweite Vatikanische Konzil noch nicht zu erahnen vermochte, ins schiefe Licht zu rücken, weicht Dahlheimer zwar im Detail in der Regel besonnen aus, er erliegt ihr dafür um so hemmungsloser im wertenden Tenor seiner Arbeit. Wenn die flüssige Nacherzählung von Aufsätzen und Rezensionen beendet ist, macht sich eine Atmosphäre der Anhaltslosigkeit breit, die mit Wiederholungen, demokratischer Heilsgewißheit und notfalls auch mit einem forschen Urteil überbrückt wird. Dann ist der "Begriff des Politischen" plötzlich doch "die geistige Einübung für das Gemetzel des Zweiten Weltkrieges" und der Katholik hat schließlich "alles – und seien es theoretische Ausführungen – zu unterlassen, was die Gefahr eines Krieges heraufbeschwören könnte".

Bis zum Ende der 20er Jahre jedoch sei Schmitt tatsächlich als katholischer, als "abendländischer Staatsphilosoph" wahrgenommen und sogar als "Hoffnungsträger" des deutschen Katholizismus gehandelt worden – publizistisch präsent und diskutiert, mit Verbindungen zur Zentrumspartei. Dahlheimer ist diese Karriere zwar nicht geheuer, und er geht an diversen Stationen dem Verdacht eines von Schmitt vielleicht sogar beabsichtigten Mißverständnisses nach. Schmitt ist aber, bei allen Parallelen, nicht Maurras: "Eine vorsätzliche, von areligiösen Motiven gespeiste zynische Instrumentalisierung der katholischen Kirche kann ihm nicht unterstellt werden". Ein Freispruch vom Vorwurf nicht-katholischen und verantwortungslosen Denkens ist dies natürlich nicht.

Überdies sei spätestens 1930 eine Kehre vollzogen gewesen: Schmitt habe nicht mehr in katholischen Zeitschriften veröffentlicht, und die relative Häufigkeit ablehnender oder ironischer Rezensionen in denselben sei dafür gewachsen. Mit der Mischung aus Wiedergabe und quantitativer Bewertung kommt Dahlheimer allerdings nicht weit, wenn es um die Suche nach Gründen geht.

Textübergreifende Theoriezusammenhänge sind nur vorsichtig gewagt. Ein Blick auf die zeitgenössische politische Realität, die es neben all dem Katholizismus auch noch gegeben haben soll und auf die es möglicherweise dringlicher einzugehen galt als auf die Ambivalenz Leos XIII., unterbleibt – wohlweislich. In Ermangelung einer nachvollziehbaren Denkbewegung und eines zeitgeschichtlichen Kontextes muß es also einen privaten Grund für die "Kehre" Schmitts gegeben haben – und richtig: Es gelang ihm 1925/ 26 nicht, seine erste Ehe kirchenrechtlich annullieren zu lassen, so daß er, in zweiter Zivilehe verheiratet, aus katholischer Sicht als Ehebrecher galt. Ideengeschichte kann also durchaus lebendig sein, und Bernd Rüthers darf sich freuen, daß sein Beitrag zur Schmitt-Forschung auch nach zehn Jahren noch Bestand hat. Dahlheimers Arbeit ist, von diesen Defiziten und Kuriositäten abgesehen, aber durchaus nützlich: um nachzuvollziehen, welcher katholische Publizist wann wie zu Schmitt Stellung bezogen hat, als Entree zu Autoren, die außerhalb des Milieus wenig bekannt sind. Dies läßt auch leicht die Ratlosigkeit tolerieren, die sein Fazit über die Verortung Schmitts im deutschen Katholizismus vermittelt: "Übereinstimmung in Grundüberzeugungen und Differenzen in einzelnen Punkten" – über welchen (unbestritten) katholischen Autoren könnte man je zu einem anderen Urteil kommen?

 

Manfred Dahlheimer: Carl Schmitt und der deutsche Katholizismus 1888 - 1936, Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 1998, 627 Seiten, 98 Mark


 
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