© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/99 28. Mai 1999


Schleyer-Stiftung: Ehrung für Noelle-Neumann
Vom Zauber der Freiheit
Ines Steding

Die Hanns-Martin-Schleyer-Stiftung – benannt nach dem 1977 von RAF-Terroristen ermordeten Arbeitgeberpräsidenten – hat sich zur Aufgabe gemacht, "ordnungspolitische Maßstäbe" zu setzen. Da lag es nahe, mit dem alle zwei Jahre in Stuttgart verliehenen Hanns-Martin-Schleyer-Preis irgendwann auch die Gründerin des Instituts für Demoskopie in Allensbach, Elisabeth Noelle-Neumann, zu ehren. Ihr 1947 errichtetes Institut hat, erklärte der baden-württembergische Minister für Wissenschaft und Forschung, Klaus von Trotha (CDU), die Meinungsforschung in Deutschland etabliert und einen unverzichtbaren Beitrag zur Bewertung politischer und gesellschaftlicher Realitäten geleistet.

Vor allem habe Noelle-Neumann die Verwissenschaftlichung der Meinungsforschung maßgeblich vorangetrieben, wovon nicht zuletzt in Konstanz ein eigens eingerichteter Lehrstuhl für empirische Sozialforschung zeugt. Daß der fast punktgenauen, einzig treffsicheren Vorhersage des Ergebnisses der Bundestagswahl vom 27. September vergangenen Jahres (nur ein Prozent Abweichung) mühsam recherchierte und ausgewertete Erhebungen vorausgehen und so allen Einwänden der nur zufälligen Richtigkeit das Wasser abgraben, dies bleibt wohl eine dauerhafte Überzeugungsaufgabe, der sich Noelle-Neumann immer wieder stellt.

In einem Einblick gewährenden Workshop mit dem nach Max Weber gewählten Titel "Zauber der Freiheit" ging die Meinungsforscherin in ihrem Vortrag dann die Linien nach, wie zum einen der Stellenwert der Freiheit für den Einzelnen empirisch meßbar gemacht werden kann und zum anderen, welche gesellschaftlichen Schlüsse daraus gezogen werden können.

Unter Verzicht auf letzte Subtilitäten läßt sich demnach wie folgt zusammenfassen: Im Jahre 1972 wurde zum ersten Mal von Allensbach in 2.000 Interviews eine "Dialog-Frage" eingeführt: "Hier unterhalten sich zwei, was letzten Endes wohl wichtiger ist, Freiheit oder möglichst große Gleichheit. Welcher von beiden sagte eher, was Sie denken?" Eine anzukreuzende Ansicht lautete: "Persönliche Freiheit, ungehinderte Entfaltung ist mir am wichtigsten." Die Alternative hieß: "Möglichst große Gleichheit, also keine großen sozialen Unterschiede und Benachteiligungen."

Während in den 70er Jahren etwa jeweils die Häfte der Befragten für Freiheit und Gleichheit votierte, stimmte in den 80er Jahren bis zur Wiedervereinigung eine Mehrheit von 65 Prozent für die Freiheit. Danach sank dieser Wert wieder, weil der Begriff "Freiheit", so Noelle-Neumann, im Osten "geschunden" worden war; nicht die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen verbunden mit der Verantwortung für das eigene Schicksal, sondern vor allem die propagandistisch überhöhte "Freiheit" von materieller Not oder Arbeitslosigkeit sei für die Menschen in der ehemaligen DDR begriffs- und damit wahrnehmungsbestimmend gewesen. Erst 1997 räumten 62 Prozent aller Befragten in Mitteldeutschland der Freiheit Priorität ein.

Es gibt eine weitere Dimension von Freiheit, die für die Demoskopin lebensbegleitend wurde und die man vorsichtig, im Sinne des Veranstalters, ordnungsstiftend nennen mag. Danach sind, vereinfacht ausgedrückt, freie Menschen glückliche Menschen. Mit auf die Befragten unter Unständen naiv wirkenden "Indikatorfragen" werden Lebensweisen und Lebensumstände (zum Beispiel am Arbeitsplatz) mit subjektivem Glücksempfinden verknüpft. Hieraus können "Je-mehr-desto"-Schlüsse gezogen werden: Menschen, die in Freiheit leben und oft Entscheidungen treffen müssen, entwicklen dabei Kräfte und Aktivitäten, was wiederum ihr Selbstbewußtsein als wichtigste Quelle für ein glückliches Lebensgefühl stärkt.

Indem sich Noelle-Naumann auf den in Harvard lehrenden Politik-Professor Samuel Huntington berief, machte sie sich dessen Anliegen zu eigen: "Im Zweifelsfall muß die Freiheit den Vorrrang haben, sie ist der oberste Wert der Demokratie."


 
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