© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/99 28. Mai 1999


Europa: Die Paneuropa-Union ist für die Integration der Balkan-Staaten in die EU
"Europapolitik ist Innenpolitik"
Karl-Peter Gerigk

Herr Posselt, auf dem Paneuropa-Tag in Bayreuth haben Sie davon gesprochen, daß man den Balkan europäisieren sollte. Was verstehen Sie darunter?

Posselt: Ich meine, daß man alle Staaten der Region, die man durch europäische Einbindung stabilisieren kann, auch stabilisieren sollte. Kroatien ist kein Balkanland, es ist ein mitteleuropäisches Land, das an den Balkan grenzt. Es ist ein Wahnsinn, daß man nach wie vor Kroatien von seiten der EU ignoriert und sogar benachteiligt, indem man mit der Republik kein Kooperationsabkommen abschließt. Ich halte dies aber für notwendig. Rumänien und Bulgarien, Kandidatenländer – leider der letzten Kategorie – brauchen ökonomische Unterstützung, um aufholen zu können. Das wäre die Stabilisierung der Umgebung. Mazedonien zum Beispiel, auch Albanien müssen stabilisiert werden, sonst brechen diese Staaten zusammen, und es gibt eine Art Dominoeffekt der staatlichen Zusammenbrüche. Das sind die Rahmenbedingungen, aber der Kern: Das Kosovo muß in eine europäische Region umgewandelt werden, die unter internationaler Verwaltung die Rückkehr der Vertriebenen ermöglicht. Serbien muß sich demokratisieren können und dann auch eine europäische Perspektive erhalten.

Woran liegt es, daß Staaten wie Kroatien nicht in die europäische Integration miteinbezogen werden, und warum hat die EU keine Regionalstrategie für den eigenen Kontinent?

Posselt: Die europäischen Institutionen sind da relativ vorbildlich. Das Europäische Parlament hat in diesen Fragen immer eine eindeutige und klare Haltung gehabt. Auch die Kommission hat nach einigen Problemen ihre Haltung klar definiert. Das Hauptproblem liegt leider bei den Einzelstaaten, bei den Nationalstaaten, die dezidiert von Vorurteilen geprägt sind. Das hat vor allem Kroatien betroffen. Es gibt eine "schwarze Legende" gegen Kroatien, vor allem in Großbritannien.

Wie läßt sich, wenn wir keinen ökonomischen und sozialen Angleich in Europa haben, das Problem der Migration in die reichen Länder lösen?

Posselt: Ich glaube nicht an das Problem größerer Migrationsbewegungen innerhalb der EU. Sie haben es bei der Integration von Spanien und Portugal gesehen. Dies hat dazu geführt, daß wir heute weniger Spanier und Portugiesen in Deutschland haben als vorher. Die Leute wollen eher in ihrer Heimat leben, wenn die wirtschaftliche Entwicklung dort entsprechend ist. Ich glaube wirklich, wenn wir die Bedingungen in den anderen Ländern verbessern, wie bei Spanien und Portugal, dann werden die Menschen auch wieder in ihre Heimatregionen zurückkehren. Das wird beim Kosovo oder bei der Integration Polens in die EU auch so sein, allerdings nicht sofort. Wir brauchen da Übergangsregelungen. Was die Migration von außerhalb Europas in die EU anbetrifft, ist das Problem anders gelagert.

Am 13. Juni sind Europawahlen, und es wird immer das Defizit an Demokratie beklagt. Hat es überhaupt einen Sinn für den Bürger, einen Vertreter für das Europa-Parlament zu wählen?

Posselt: Es ist hinsichtlich der Demokratisierung nicht zuletzt mit dem Amsterdamer Vertrag ein gewaltiger Sprung gemacht worden. Das Europäische Parlament hat bei 80 Prozent der Gesetze in der EU das Mitentscheidungsverfahren. Das bedeutet eine Gleichberechtigung mit dem Ministerrat. Wenn Edmund Stoiber sagt, daß 50 bis 70 Prozent aller politischen Entscheidungen in Deutschland von der Europäischen Union abhängen, zeigt das die enorme Bedeutung dieser Europawahl. Das jetzige Europäische Parlament ist das erste in der Geschichte, das einen Kommissionspräsidenten gewählt hat und im September wird das nächste die ganze Kommission wählen. Das Europäische Parlament entscheidet mit einer qualitativen Mehrheit von 314 Stimmen über Beitritte. Daher gewinnt unsere Forderung nach Abschaffung der Benes-Dekrete eine hohe Brisanz. Das Europäische Parlament hat weitreichende Befugnisse. Es kommt vielmehr darauf an, das öffentliche Bewußtsein dafür zu schärfen, daß dies so ist. Es geht bei der Europawahl längst nicht mehr darum, ob ich das Parlament will oder nicht, ob ich es unterstütze, indem ich zur Wahl gehe. Früher hat man gesagt, wer zur Wahl geht, stärkt die Integration. Die Integration läuft, diese Argument ist passé. Bei der jetzigen Wahl geht es darum, welche Richtung die Integration nimmt.

Welche Richtung soll sie denn nehmen?

Posselt: Europa ist eine Rechtsgemeinschaft von Völkern, Staaten und Regionen. In dieser Gemeinschaft müssen Zuständigkeiten auf der Ebene angesiedelt sein, auf welcher sie am sinnvollsten ihre Wirkung entfalten können und Aufgaben am besten realisiert werden können.

Also Subsidiarität?

Posselt: Ein schreckliches Wort für eine gute Sache. Zuständigkeiten müssen je nach Notwendigkeit von unten nach oben delegiert werden. Die kommunale und regionale Ebene muß gestärkt werden. Nur das, was die untere Ebene nicht zufriedenstellend lösen kann, muß auf der nächst höheren entschieden werden. Es gibt zur Zeit in der EU noch viele Bereiche, in denen Zuständigkeiten von oben nach unten verlaufen. Es gibt zwei Bereiche, in denen wir mehr Europa brauchen. Das ist die äußere wie innere Sicherheit. Bei der inneren Sicherheit kam mit dem Amsterdamer Vertrag ein Durchbruch, denn er beinhaltet die Vergemeinschaftung zentraler Bereiche der Innen- und Justizpolitik. Im Bereichen der äußeren Sicherheit sind wir noch schwach.

Wie sähe denn die Konzeption für eine gemeinsame Sicherheitspolitik aus? Wäre der Ausbau der WEU innerhalb oder auch außerhalb der Nato eine Möglichkeit?

Posselt: Ich bin sehr für eine eigene europäische Verteidigungsidentität. Der Kosovo-Konflikt führt uns allen die Notwendigkeit vor Augen. Dies kann nicht gegen, sondern nur in Ergänzung zur Nato geschehen. Der Konflikt auf dem Balkan macht deutlich, daß wir total nackt wären, wenn die Amerikaner nicht an unsere Seite stünden. Man muß davon ausgehen, daß die Amerikaner nicht immer für uns die Kohlen aus dem Feuer holen. Dies könnte das letzte Mal gewesen sein. Ich wünsche das nicht, sondern wir sollten die USA im Boot halten. Wenn aber die USA bei einem regionalen Konflikt in unserer Umgebung nicht mehr intervenieren wollen, weil sie andere oder entgegengesetzte Interessen haben – was Gott verhüten möge –was tun wir dann? Wir brauchen eine europäische Verteidigungsgemeinschaft mit einer europäischen Eingreifarmee, einer Truppe, die in der Lage ist, Operationen durchzuführen, zu denen die nationalen Wehrpflichtarmeen nicht in der Lage sind.

Das würde bedeuten, daß die Integration auch in anderen Bereichen vorangetrieben werden müßte. Wie stellen Sie sich die "Vereinigten Staaten von Europa" vor?

Posselt: Ich bleibe bei dem Begriff Europäische Union. Ich bin der Meinung, wir brauchen einen Verfassungsvertrag, in dem festgehalten ist, welche Kompetenzen auf welcher Ebene angesiedelt sind. Viele Dinge, die heute in Brüssel geregelt werden, gehören zurückverlagert auf die Nationen und Regionen.

Verlagert auf die Regionen oder zurück auf den Nationalstaat?

Posselt: Wir brauchen beides – die nationale Ebene und die regionale Ebene. Ich lehne die Auflösung der Nationalstaaten vehement ab. Deutschland bleibt Vaterland, so wie Bayern Heimat.

 

Bernd Posselt geboren am 4. Juni 1956 in München, ist Mitglied des EuropaParlaments und Vorsitzender der Paneuropa-Union für Deutschland. Zwischen 1974 und 1978 war er Redaktionsvolontär und Redakteur der "Badischen Neusten Nachrichten" in Karlsruhe und anschließend enger Mitarbeiter und Pressesprecher von Otto von Habsburg. Er ist Gründer der Paneuropa-Jugend Deutschland und war bis 1990 deren Vorsitzender. Bernd Posselt ist aktiv bei der christlichen Europaarbeit und engagiert sich für den interreligiösen christlich-islamisch-jüdischen Dialog. Seit 1996 ist er auch stellvertretender Vorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen