© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/99 28. Mai 1999


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Deutschland dankt
Karl Heinzen

Deutschland freut sich auf Johannes Rau und dankt der Bundesversammlung für die gute Wahl: Das hätte das Volk wirklich nicht besser machen können. Nicht immer, so lernt man, ist es also hilfreich, mehr Beteiligung der Bürger an den politischen Willensbildungsprozessen zu fordern. Der Demokratie – und damit indirekt auch vielen Menschen – ist besser gedient, wenn die Entscheidungen dort fallen, wo man am besten über ihre Konsequenzen Bescheid weiß. Das Subsidiraitätsprinzip gilt eben nicht nur von den unteren Hierarchieebenen aus aufwärts, sondern auch in umgekehrter Richtung.

Johannes Rau ist nach Gustav Heinemann das zweite ehemalige Mitglied der Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP), das auf dem mit der Realität versöhnenden Umweg über die SPD in das höchste Staatsamt aufsteigt. Das sozialdemokratische Potential an Menschen, die auch für die Zeit vor 1989 den Nachweis wenigstens befristeten deutschlandpolitischen Engagements führen können, ist nunmehr restlos ausgeschöpft. Insofern gab es tatsächlich keine Alternative zu Johannes Rau, nicht einmal eine Frau. Gegen Dagmar Schipanski sprach sicher nicht allein der Mangel an politischer Professionalität. Seit dem Abtreten von Richard von Weizsäcker wissen wir schließlich, daß das Amt nicht einmal durch die Aura des Kuhstalls beschädigt werden kann. Nein, gegen Dagmar Schipanski sprach zum einen ihre Herkunft: Deutschland ist noch nicht so weit, daß es dieses Amt mit jemandem besetzen könnte, der aus dem Beitrittsgebiet stammt und in diesem auch schon lebte, als es noch gar nicht beigetreten war. Wir müssen nicht die Fehler von 1949 wiederholen und dürfen nicht jene Verstrickung mit einem totalitären System ignorieren, die bereits in der simplen Zeitgenossenschaft bestand. Zum anderen aber - und vor allem – war Dagmar Schipanski, so parteilos sie sich auch gab, durch diejenigen diskreditiert, die sie aufstellten und unterstützten. Man muß lernen, die neuen Realitäten dieser Republik zu akzeptieren – auch wenn man gerne an Adenauer und Kohl zurückdenkt: Das Proporzdenken ist übewunden, der Staat ist die Beute derjenigen, die der Wähler dazu bestimmt.

Johannes Rau ist das Amt aber nicht in den Schoß gefallen, er hat es gewollt und mußte kämpfen, auch innerparteilich. Die Stärke seiner Überzeugung von der eigenen Eignung wird er vielleicht den Menschen vermitteln können. Man kennt ihn als jemanden, der auch einfache Worte gepflegt aussprechen kann, er ist darin das ganze Gegenteil seines Vorgängers. Er weiß, daß die Menschen keine neuen Visionen brauchen, wenn sie noch nicht einmal von den alten so richtig ergriffen sind. Über Jahre hinweg sind die Einwohner dieses Landes vom hohen Roß der Staatsspitze herab mit allen denkbaren Problemen des 21. Jahrhunders überschüttet worden. Dieser obszöne Sadismus darf keine Fortsetzung finden. Jetzt wäre endlich einmal Zeit für einen Präsidenten, der einfach nur da ist.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen