© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/99 28. Mai 1999


Nato-Krieg: Konsequenz des Interventionsrechts
Eingriff nach Gusto
Alain de Benoist

Der Krieg der Nato gegen Serbien stellt eine grundlegende Wende in der Geschichte zwischenstaatlicher Beziehungen dar. Tony Blair hat ihn in diesem Sinne definiert, als er diesen Konflikt als "ethischen Krieg" bezeichnete und damit in die Fußstapfen Woodrow Wilsons trat. Dessen "moralische Politik" hatte 1919 das österreich-ungarische und das osmanische Reich zerstückelt und so die Keime des Zweiten Weltkriegs gesät. Heutzutage bestimmen zwei miteinander unvereinbare Denkweisen das Weltgeschehen: Auf der einen Seite steht das klassische Völkerrecht, das zumindest seit dem Westfälischen Frieden 1648 auf dem Souveränitätsprinzip der Staaten beruht und keinem Staat das Recht einräumt, sich in die inneren Angelegenheiten eines anderen einzumischen: auf der anderen Seite das "Recht auf Intervention", das auf der Menschenrechtsideologie beruht und der "internationalen Gemeinschaft" das Recht gibt, sich über die klassisch-realistische Denkweise hinwegzusetzen und sich selbst zu ermächtigen, die Souveränität der Staaten für null und nichtig zu erklären.

Der westliche Angriff auf Serbien bedeutet den Triumph dieser zweiten Denkart. Dieser Krieg wird nicht, wie es den Anschein haben mag, von anderen Nationen gegen eine Nation geführt. Dieser Krieg kündigt das Ende der Nationen an. Es ist der erste Krieg, in dem die globale Ordnung siegreich bleibt – eine globale Ordnung, die, wie Carl Schmitt einst prophezeite, auf einer bipolaren Basis funktioniert: der Wirtschaft (Weltmarkt) und der Moral (Menschenrechte). Zwischen ihnen werden Staatssouveränität und Volkssouveränität wie in einem Schraubstock eingeklemmt. Dies wirkt sich nicht nur auf den Krieg aus, sondern auch auf den Frieden: Ist der Krieg lediglich eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, so bedeutet der Begriff des "gerechten Krieges", das Wesen der Politik selbst zu leugnen und diese auf das Moralische zu reduzieren.

Auf der Rechten verbindet sich das Interventionsrecht offensichtlich mit dem wirtschaftsliberalen Anliegen, grenzfreie Räume zu schaffen. Auf der Linken hat es sich zum neuen kategorischen Imperativ gemausert, von dem man sich gesellschaftlichen Wandel erhofft. Schließlich geht es Hand in Hand mit dem Ideal der "Weltbürgerschaft". In der veröffentlichten Meinung kommt ihm eine sehr einfache Funktion zu: Das Interventionsrecht macht es möglich, die Bösen zu bestrafen. Vergessen wird dabei lediglich, daß ein staatsinternes Rechtsprinzip sich nicht notwendigerweise auf zwischenstaatliche Beziehungen anwenden läßt.

In der Demokratie bedeutet Staatssouveränität nicht mehr und nicht weniger als die logische Konsequenz der Souveränität der Völker, die ihre Macht aus freiem Willen an ihre Regenten abgetreten haben. So gesehen, bedeutet das Recht auf Intervention, daß die Stimme der Bürger nicht länger der Dreh- und Angelpunkt der Politik ist. Die obsessive Verurteilung "böser" Staatschefs führt zu der Bereitschaft, die Staaten selber zu verurteilen und die Freiheit ihrer Bürger zu beschneiden. Wie Paul Thibaud sehr richtig angemerkt hat, beruht diese Bereitschaft jedoch "auf einer beunruhigenden Annahme. Hinter der leidenschaftlichen Bestrafung der Politik kommt eine Anmaßung zum Vorschein, die jener gleicht, auf die sich einst die Ideologien stützten, die inzwischen diskreditiert sind. Es handelt sich um das absolute Wissen, um das angebliche Erkennen der Gesetze historischer Entwicklung, das in der Vergangenheit als Ermächtigung benutzt wurde, sich von Regeln freizumachen, die die Meinungsvielfalt sicherstellten. Heutzutage glaubt man an eine andere ‘erhabene Perspektive‘, nämlich die der absoluten und universellen Moral, deren Nachweis die Existenz einer Vielzahl politischer Subjekte überflüssig macht: der Fehlbarkeit der Staaten, selbst der demokratischen, stellt man die Unfehlbarkeit einer internationalen Strafgerichtsbarkeit gegenüber, der kein politisches Vergehen entgeht." (Libération, 26.4.)

Andererseits ist offensichtlich, daß sich kein Krieg gegen ein Regime führen läßt, der nicht gleichzeitig ein Krieg gegen ein Volk ist. Da jeder "gerechte Krieg" ein ganzes Volk in Mitleidenschaft ziehen muß, schafft das Interventionsrecht die Voraussetzungen für eine Verschlimmerung, Verlängerung und Ausdehnung der Konflikte. Es wirkt also den Zielen entgegen, die es sich selbst gesetzt hat.

Nicht zuletzt läuft die Theorie des Interventionsrechts immer auf die Frage hinaus, wer nach welchen Kriterien über eine Intervention zu entscheiden hat. Da in der Praxis einzig diejenigen intervenieren können, die dazu die notwendigen Mittel haben, gilt das Interventionsrecht allein für die Mächtigen. Und da die Mächtigen, selbst wenn sie sich als die Vollstrecker der "internationalen Gemeinschaft" geben, des angeblichen Hortes "universeller Werte", auch ihre eigenen Interessen im Auge behalten müssen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, daß die "Menschenrechte" nichts weiter sind als eine willkommene Tarnung, hinter der sich das Recht des Stärkeren verbirgt. Tite-Live, den Machiavelli zitiert, sagte es bereits: "Der Krieg ist immer gerecht aus der Sicht derer, die einen Nutzen davon haben."

 

Alain de Benoist ist Herausgeber der "Nouvelle École" und ein Vordenker der französischen Neuen Rechten.


 
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