© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/99 28. Mai 1999


Der geschätzte Feind
von Klaus Kunze

"Die Zahl der Opfer im Kampf gegen Hitler war natürlich größer als heute", erinnerte sich der von Milosevic gefeuerte Vizepremier Drascovic kürzlich in einem Spiegel-Interview. "Wir erinnern uns an einige deutsche Generäle und an den deutschen Feind, und wir begreifen, daß ein würdiger Feind immer ein halber Freund ist. Die Serben fielen ehrenhaft, wir sahen dem Gegner in die Augen. Der deutsche Generalfeldmarschall von Mackensen ließ 1915 sofort nach der Einnahme Belgrads ein Denkmal errichten mit der Inschrift ’Dem großen serbischen Feind’. Wer sind diese Feiglinge jetzt, die ein Land vom Himmel aus zerstören, ein Volk der kollektiven Rache unterziehen und es vernichten wollen."

Wer einen gerechten Krieg führt, kennt aber keine würdigen Feinde. Im Mittelalter galt als bellum justum (gerechter Krieg) der von einem christlichen Herrscher geführte Krieg, wenn er der Durchsetzung religiös-moralisch gebilligter Ziele diente. "Du sollst nicht töten" galt nicht im Angriffskrieg gegen Heiden, Ketzer und Verbrecher. Solche Kriege wurden als Vernichtungskriege geführt. Mit dem unterlegenen Feind wurde nicht verhandelt und kein ehrenvoller Frieden geschlossen: man metzelte ihn nieder, verbrannte ihn oder hängte ihn einfach auf.

Erasmus von Rotterdam seufzte, jeder halte seine Sache für gerecht. Welche Instanz sollte auch über die Gerechtigkeit entscheiden? Kein Souverän kann moralisch über einen anderen Souverän zu Gericht sitzen und ihn als Verbrecher diskriminieren. Das europäische Völkerrecht des 16. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg erkannte den Krieg als völkerrechtlich erlaubt an, der von einem souveränen Staat gegen den anderen nach den Regeln des Völkerrechts geführt wurde. Der Feind, erkannte man, muß nicht böse sein. Man kann ihm gerade in die Augen sehen, mit ihm verhandeln und einen Frieden schließen.

Unberührt von den grauenhaften europäischen Bürgerkriegserfahrungen und der vernünftigen Abwendung vom diskriminierenden Kriegsbegriff hielten sich die US-Amerikaner immer für gerecht, sie führten nur gerechte Kriege, ihre Feinde waren darum immer Verbrecher, und im Machtbereich ihrer Ökonomie und ihrer Waffen gilt das europäische Völkerrecht des 16. bis 20. Jahrhunderts nicht mehr. Nach neuzeitlichem europäischem Völkerrecht hätte man Jugoslawien den Krieg erklären dürfen, zum Beispiel weil die Flüchtlingsströme unsere Interessen tangieren. Im Sog der USA ist Europa jedoch zur mittelalterlichen Kriegsrechtfertigung zurückgekehrt. Wer aber Krieg im Namen der Menschlichkeit zu führen vorgibt, erklärt den Feind zum Unmenschen.


 
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