© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/99 28. Mai 1999


Pastoraler Präsident
von Dieter Stein

Der Bundespräsident hat im besten Fall die Aufgabe, alle Bürger des Landes zu vertreten, nicht aber die Parteien. Nun wird der Bundespräsident aber von Parteien des Bundestages und der Landtage nominiert. Die Bundesversammlung, die zur Hälfte aus Abgeordneten der Landtage und zur anderen Hälfte aus Abgeordneten des Bundestages besteht, wählt ihn. Würde der Präsident vom Volk direkt gewählt, wäre Johannes Rau vermutlich bereits 1994 anstelle von Roman Herzog gewählt worden. Glaubt man den Demoskopen, dann hatte Rau damals die weitaus größere Beliebtheit als der hölzerne Herzog.

Johannes Rau ist kein "alter Sozialdemokrat". Der gelernte Buchhändler begann seine politische Laufbahn 1952 als 21jähriger in der "Gesamtdeutschen Volkspartei" (GVP) von Gustav Heinemann, der sein politischer Ziehvater wurde und mit dessen Enkelin er seit 1982 verheiratet ist. Die GVP trat für ein blockfreies, wiedervereinigtes Deutschland jenseits von östlichen und westlichen Militärbündnissen ein. Nach ihrer Erfolglosigkeit wandte sich Rau wie der spätere Bundespräsident Heinemann 1957 der SPD zu.

Der protestantische Pastorensohn Rau liebt das Ausgleichende. Seinen Wahlkampf 1987, mit dem er Kohl als Bundeskanzler ablösen wollte, bestritt er unter dem Motto "Versöhnen statt spalten". Der sich da als "Menschenfischer" empfiehlt, ist ein in den Jahren seiner Parteilaufbahn immer gerissener gewordener Meister der politischen Kungelei geworden. Auch das Amt des Bundespräsidenten soll er sich durch ein Gegengeschäft – Rücktritt als NRW-Ministerpräsident – quasi erhandelt haben.

Nie will er polarisieren, statt dessen seift er die Menschen mit samtweichen Predigten ein, die, Richard von Weizäcker als Abraham Santa Clara erscheinen lassen. Rau ist ein versöhnender Präsident für diejenigen, die das Land durch die Entscheidung für Berlin als Hauptstadt gespalten sehen. Rau war als NRW-Chef Gegner Berlins. Nun wird er als Bundespräsident in Berlin Staatsempfänge geben und repräsentieren.

Die Direktwahl des Bundespräsidenten könnte dem deutschen Parteienstaat einen kleinen Ruck verpassen. Es wäre denkbar, daß Kandidaten ohne Gnaden der Parteien vom Volk inthronisiert werden. Sogar Hans-Dietrich Genscher und Michel Friedman sprachen sich in den vergangenen Tagen hierfür aus. Schön wär’s, wenn hier wirklich etwas in Gang käme. Warum sollte irgend jemand etwas daran ändern wollen? Die Diskussion hierüber wird für die nächsten fünf Jahre einschlafen und auf ihre Neuauflage im Jahre 2004 warten.


 
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