© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/99 28. Mai 1999


Vertreibung: Der Kosovo-Konflikt ruft das Menschenrecht auf Heimat in Erinnerung
Der Wurzeln beraubt
Kurt Heißig

Jahrzehntelang verkündeten die deutschen Vertriebenen ihre Botschaft in einem immer engeren Schmollwinkel: "Vertreibungen müssen geächtet werden, Vertriebene haben ein Recht, in ihre Heimat zurückzukehren." Auch als Deutschland durch seine Mitgliedschaft in der UNO zumindest de facto kein Feindstaat mehr war, galten sie jeder deutschen Regierung als Störenfriede.

Auch als Folge dieser Ignoranz wurden Vertreibungen gegen Ende dieses Jahrhunderts in Europa wieder aktuell – im Wortsinne brand-aktuell. Der Bericht der UNO-Unterkommission zur Diskriminierungsverhütung vom Sommer 1997 wurde am 17. April 1998 als Dokument der UNO-Menschenrechtskommission im Konsens, also ohne Abstimmung verabschiedet. Zwölf internationale Konventionen, die klare und weitgehende Aussagen zum Heimat- und Rückkehrrecht, sowie zur Wiedergutmachung nach Vertreibungen enthalten, werden als Quellen von Rechtsnormen festgestellt, die bereits vor den Nachkriegsvertreibungen gültig waren.

Bedeutsam ist insbesondere Artikel 10/c dieser Erklärung: So "sind die internationale Gemeinschaft und die einzelnen Staaten dazu verpflichtet: c) dem Staat, der eine solche Tat begangen hat oder noch begeht, bei der Aufrechterhaltung oder Verstärkung der dadurch geschaffenen Situation keine Hil-fe, Beihilfe oder Unterstützung zu ge-währen ...".

Schwerer wiegt die Forderung des Europaparlaments vom 15. April 1999 an die tschechische Regierung, "fortbestehende Dekrete und Gesetze aus den Jahren 1945 und 1946 aufzuheben, soweit sie sich auf die Vertreibung von einzelnen Volksgruppen aus der ehemaligen Tschechoslowakei beziehen". Hier geht es um den Kernbereich der westlichen Wertegemeinschaft, in die niemand ohne ein klares Bekenntnis in Wort und Tat aufgenommen werden soll. Die Forderung kann zudem direkte politische Wirkung haben.

Dem folgte, unmittelbar darauf reagierend, die Entschließung des Österreichischen Nationalrats, der die (österreichische) Bundesregierung u.a. auffordert, "im Verbund mit den anderen Mitgliedstaaten und den Institutionen der Europäischen Union auf die Aufhebung von fortbestehenden Gesetzen und Dekreten aus den Jahren 1945 und 1946, die sich auf die Vertreibung von einzelnen Volksgruppen in der ehemaligen Tschechoslowakei und im ehemaligen Jugoslawien beziehen, hinzuwirken". So rächt es sich, daß Österreich 1996 nicht in die Deutsch-Tschechische Erklärung einbezogen wurde.

Am diesjährigen Sudetendeutschen Tag in Nürnberg dankte der gewählte Ministerpräsident von Kosova, Bujar Bukoshi, in einem Grußwort seiner (Exil-)Regierung den Sudetendeutschen ausdrücklich für ihre Anteilnahme am Schicksal seines Volkes. Wir unsererseits aber sollten uns bewußt sein, wie sehr der Leidensweg seines Volkes dazu mitgeholfen hat, das jahrzehntelange Schweigen über das Menschenrecht auf die Heimat zu brechen. Auch bei der Veranstaltung des Arbeitskreises Sudetendeutscher Studenten sprachen zwei Albaner.

Nach dieser Auferstehung des Heimatrechts wachsen nun die Chancen, daß es auch in Tschechien zu einem Umdenken kommt. Der Ministerpräsident Zeman, der mit nationalistischen Parolen die Wahl gewann, muß nun erkennen, daß Menschenrechte nicht durch eine Absprache mit gleichgültigen Bonner oder Berliner Politikern aufgehoben werden können, sondern daß Europa auf seine Rechtsgrundlage tatsächlich Wert legt. Andere führende Köpfe unter den Tschechen wie Vaclav Havel, aber auch der zweite Mann der tschechischen Sozialdemokratie, Senator Moravek, sind ohnehin schon viel weiter im Umdenken. Auch wenn die Enteignungen wohl kaum mehr rückgängig gemacht werden können, schon die prinzipielle Anerkennung ihrer Rechtswidrigkeit durch die tschechische Regierung wäre ein großer Fortschritt. Ohnehin wäre eine symbolische Wiedergutmachung für Lagerhaft und Deportation oder andere Exzesse wohl wichtiger, denn sie käme allen Erniedrigten und Entrechteten zugute.

Die Anwesenheit mehrerer Herren vom tschechischen Generalkonsulat, eines Parlamentsabgeordneten – sie wurden ausdrücklich begrüßt – und von tschechischen Historikern und Journalisten auf dem Sudetendeutschen Tag 1999 zeugt von fortschreitender Entspannung.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen