© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/99 21. Mai 1999


Zeitschriftenkritik: "Psychologie und Geschichte"
Kritik am Methodenideal
Holger von Dobeneck

Psychologie und Geschichte ist die bislang einzige Zeitschrift, die mit wissenschaftlichem Anspruch auch für allgemein historisch interessierte Laien im deutschsprachigen Raum das gesamte Spektrum der Geisteswissenschaften unter besonderer Berücksichtigung ihres historischen Aspektes darstellt. Sie möchte einen Paradigmenwechsel herbeiführen im Bereich der Psychologie und diese auf eine qualitative geisteswissenschaftliche Grundlage stellen; sie möchte weg von der vorherrschenden statistisch-naturwissenschaftlichen Ausrichtung. Vertreten wird diese grundsätzliche Methodenkritik u. a. in Berlin von Professor Jüttemann an der Technischen Universität.

Die Krise der akademischen Psychologie ist chronisch und äußert sich in immer wieder ausbrechenden Grundsatzstreitigkeiten. Jüttemann et al bescheinigen ihr und mehr noch der Psychoanalyse eine fundamentale Unwissenschaftlichkeit. Sie plädieren für eine Abkehr von dem statistischen Methodenideal und dem unhaltbaren Versuch, ihren Gegenstand, die "Psyche", den gleichen objektivierenden Standards zu unterwerfen wie die umgebende Natur. Psychologie sollte nach Jüttemann lebensrelevant sein, sich nach der ganzen Person und ihren geschichtlichen und biographischen Bezügen ausrichten. Die gegenwärtige Psychologie erstickt in einem Wust unbedeutender Detailuntersuchungen, die statisch ausgezählt für das reale Leben und seine Bewältigung mehr oder minder unerheblich sind.

Wegbereiter für eine solch qualitativ verfahrende Psychologie waren die geisteswissenschaftlichen und philosophisch ausgerichteten Gründerväter, wie es sie vor allem in der Weimarer Zeit noch reihenweise gab, bevor sich die Psychologie rückhaltlos in die Arme des amerikanischen Behaviorismus warf. Professor Jüttemann hat selbst eine Studie über die Mentalität der konservativ-revolutionären Jugend in der Weimarer Zeit herausgegeben. Komplementäre Ansätze gibt es auch in der Mentalitätsforschung der französischen Historiker, die sich um die Zeitschrift Annales gruppieren.

Die gegenwärtige Ausgabe der Zeitschrift enthält eine Rezension von Hitlers "Mein Kampf", die am 30. April 1933 unter dem Pseudonym "V.S." von dem damaligen tschechischen Ministerpräsidenten Masaryk stammte. Schon allein dieses Beispiel zeigt die unkonventionelle Ausrichtung dieser interdisziplinären Zeitschrift, die – lebendig geschrieben – sich erfreulich abhebt von den für Laien ungenießbaren psychologischen Periodika herkömmlicher Machart

Psychologie und Geschichte entspricht stark dem gegenwärtigen Trend zur hermeneutisch-phänomenologischen Sichtweise der Postmoderne.Die Zeitschrift unter der Schriftleitung von Rudolf Miller wird von der Fernuniversität Hagen herausgegeben und erscheint viermal jährlich im Verlag Leske+ Budrich.

"Psychologie und Geschichte" kostet als Einzelheft 25 DM.


 
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