© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/99 21. Mai 1999


Pankraz,
Oliver Cromwell und das Eintreten von Türen

Zum ersten Mal dringt jetzt, wenn Pankraz richtig beobachtet, der sogenannte Anti-Amerikanismus von den unruhigen Rändern unserer Gesellschaft in ihre bedächtige, auch ängstliche Mitte vor. Es ist beileibe kein Haß, was sich da zu akkumulieren beginnt, geschweige denn feindsuchende Ideologie, es ist eher eine Verdrießlichkeit, ein wachsendes Angewidertsein, wie man es einem reichen Onkel entgegenbringt, der parvenühafte Allüren annimmt.

Die Kosovo-Affäre trägt zweifellos zu der Entwicklung bei, ist aber nicht der Grund. Vieles kommt zusammen: der Schwachsinn der amerikanischen Action- und Comedyserien, die das Fernsehen überschwemmen; die monströse Art, in der drüben präsidiale Sexaffären hochgeblasen werden; das Abschlachten überführter Missetäter in den Todeszellen der US-Gefängnisse; das Gebrüll amerikanischer Rechtsanwälte, die immer neue Weltkrieg II-Wiedergutmachungszahlungen aus Bonn herauspressen wollen; nicht zuletzt das um den Globus rasende Kapital amerikanischer Hedge-Fonds, das zwecks Erzielung wertschöpfungsloser Augenblicksprofite ganze fremde Volkswirtschaften auf Dauer verheert.

All das wird in Beziehung gesetzt zu den salbungsvollen Reden über Menschenwürde und Menschenrechte, denen die "westliche Wertegemeinschaft" angeblich verpflichtet ist, und löst in immer weiteren Kreisen Kopfschütteln aus. Die Forderung, daß die Amerikaner (mit der Nato als Hilfssheriff) ein regelrechtes Interventionsrecht in allen Teilen der Welt und unter Mißachtung jeglicher Staatssouveränität haben müßten, ist inzwischen auch in Deutschland kaum noch vermittelbar.

"Jeder kehre zunächst mal vor seiner eigenen Tür", hört man dagegen immer öfter. Gegen das naßforsche Global-Sheriff-Gehabe wird ein Ethos der Raumvertrautheit und der situativen Feinarbeit befürwortet. Hätten die Amerikaner und ihre Nato, hört man, bevor sie mit Bombenschmeißen anfingen, erst einmal gründlich lokale Mentalitäten und Sozietäten erkundet – die Blamage, die sich nun ankündigt, wäre ihnen wohl erspart geblieben.

Aber was wollt ihr", warf ein Diskussionspartner dazwischen, "die sind doch gar nicht interessiert an regionalen Erkundungen, die glauben doch allen Ernstes, mit ein paar aus der Bibel abgeleiteten Generalsätzen die ganze Welt über einen einzigen Leisten schlagen zu können – und schlagen zu müssen! Das sind doch Verrückte, das sind aus dem siebzehnten Jahrhundert übriggebliebene Puritaner und Heuchler à la Cromwell, die nur einen einzigen Maßstab haben: Geld. Wer viel Geld hat und alles in Geld zu verwandeln versteht, glauben die, der ist Gottes Gesalbter und darf sich alles herausnehmen. Das sind Verrückte."

Hier nun meldete sich Pankraz zu Wort und sagte etwa folgendes: Warum sind sie denn so erfolgreich mit ihren Comedys und ihrer Anbetung des Geldes und ihrer Gleichmacherei? Sie zwingen das den Menschen doch nicht mit platter Gewalt oder übergroßer Schlauheit auf, so etwas anzunehmen wäre doch dümmste Verschwörungstheorie.

Die Wahrheit ist vielmehr, daß all diese Praktiken tief in der menschlichen Natur liegen, sie sind gleichsam das Pöpelmännische in uns, das Gemeine, das Massenhafte. Der typische American way of life, da bin ich mir mit meinen amerikanischen Freunden völlig einig, ist in Wirklichkeit der Weg der Masse, das heißt der leichteste, der bequemste, der pöpelhafteste Weg. Genau deshalb wird er ja so gern begangen.

Was die Marxisten immer nur verkündet haben, das schafft der American way of life wirklich: den Willen und die Instinkte der Masse kitzeln, die pure Quantiät. Und die Masse läßt sich das selbstverständlich nur allzu gern gefallen. Es wird ja in den offiziellen Verlautbarungen auch nur noch rein quantitativ argumentiert. Hört euch doch die Kommentare an! Da heißt es nicht, diese oder jene Sache sei gut und man solle sie deshalb machen, sondern es heißt: Sechsundsechzig Prozent sind dafür oder vierundachtzig Prozent sind dafür oder dreiundfünfzig Prozent sind dafür, und einzig und allein deshalb soll man dies und das machen. Alles ist quantifiziert, ganz ohne Amerikaner.

Bevor man also über den American way of life herzieht, sollte man sich erst einmal an die eigene Nase fassen. Auch da gilt das Gebot von vorhin: Jeder kehre zunächst mal vor seiner eigenen Tür! Das Ethos der Raumvertrautheit und der situativen Feinarbeit muß zuallererst von den Bewohnern eines bestimmten Raums und den unmittelbaren Teilnehmern an einer konkreten Situation selbst vorgelebt werden. Wenn das wirklich geschieht, dürfte es raumfremden und situationsgleichgültigen Mächten schwerfallen, sich einzumischen.

Niemand wird letztlich gezwungen, Puritaner zu werden. Und Menschen sind wir ohnehin alle, haben also Pflichten gegenüber der angestammten Polis und gegenüber der Natur und gegenüber Mitmenschen. Gelingt es uns, dieses Geflecht von Pflichten in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen, so stellt sich Gerechtigkeit her, und uns wachsen Rechte zu, die es in Anspruch zu nehmen und zu wahren gilt.

Mag sein, gewisse Katalogverwalter können uns mitunter dabei helfen, das Geflecht der Pflichten und Rechte zu ordnen, die einzelnen Teile mit Namen zu benennen und in Richtung Gerechtigkeit zu optimieren. Es ist dies freilich ein schwieriges Geschäft, und wer es unternimmt, der muß größtes Einfühlungsvermögen aufbringen.

Keiner auf dieser "globalisierten" Welt verfügt über die absolute Wahrheit, das optimale System, die reinste Moral, an jedem Ort sind Narben und Wunden und Unzulänglichkeiten. Wer das ignoriert, schwebt ständig in der Gefahr, ein heuchlerischer Prediger und/oder ein brutaler Türeintreter zu werden, zumindest schwebt er in der Gefahr, an sich überflüssige Anti-Gefühle zu wecken.


 
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