© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/99 21. Mai 1999


Ein Gespräch mit dem südalbanischen Bischof Hil Kabashi
"Wir wollen die Rückkehr"
Dieter Stein

Herr Bischof Kabashi, was sind die Kosovo-Albaner für ein Menschenschlag?

Kabashi: Man muß die Geschichte der Albaner im Kosovo kennen. Sie erlebten eine blutige Geschichte in den letzten 500 Jahren. Die Identität der Albaner im Kosovo hat sich geändert. Am wichtigsten ist jedoch, daß zwei Welten aufeinandertreffen, die der Christen und die der Moslems. Die Albaner waren schon Nachbarn der Illyrer, die hier auf dem Balkan lebten. Die Albaner wurden früh christianisiert. Dann gab es die beiden Richtungen, die lateinische und die byzantinische. Die Katholiken waren mit Rom verbunden, feierten ihre Messen jedoch im byzantinischen Ritus. Doch ist nirgendwo festgehalten, daß die orthodoxen Christen in Albanien von Rom geführt werden.

Woher kommen denn die Katholiken im Kosovo?

Kabashi: Die Katholiken im Kosovo sind in Pfarreien zusammengeschlossen. Es sind im Prinzip albanische Katholiken, jedoch waren sie zum Teil mit Kroaten vermischt. Sie leben vor allem in Pristina. Es gibt dort Orte, die hundertprozentig katholisch sind.

Inwiefern ist der Streit zwischen Serben und Albanern ein religiöser Streit?

Kabashi: Die Religion spielt eine geringe Rolle. Es handelt sich nicht um einen Religionskrieg, sondern es ist ein Kampf zwischen Völkern. Es ist ein Krieg der Kulturen der Zivilisationen und der Mentalitäten.

Die katholischen Kosovaren verhalten sich gegenüber den Serben also genauso wie die moslemischen Kosovaren?

Kabashi: Richtig. Erwarten würde man, daß katholische Kosovaren mit ihren orthodoxen Brüdern gemeinsame Standpunkte hätten oder sich ähnlich verhielten. Aber bei diesem Krieg in Ex- Jugoslawien, gleich ob in Kroatien, Slowenien oder jetzt im Kosovo, gibt es kein gemeinsames Christentum. Dies würde bedeuten, daß man zusammenarbeitet. Dies ist jedoch nicht der Fall. Es gibt hier keine Spur der Kooperation, wie das Beispiel Bosnien gezeigt hat; keine Berührungspunkte. Der Fundamentalismus bei Orthodoxen wie bei Moslems ist erst mit dem Krieg gekommen, der im wesentlichen eben auch durch die Serben, ein christlich-orthodoxes Volk, im Kosovo geführt wird.

Wird der islamische Fundamentalismus auf dem Balkan an Boden gewinnen?

Kabashi: Das Beispiel Bosnien hat gezeigt: Wenn eine Moschee gebaut wurde, haben die Katholiken geholfen. Wenn eine Kirche gebaut wurde, haben die Moslems geholfen. Es war ein friedliches Miteinander. Die Moslime in Albanien gehen in die Kirchen. Sie haben keine Vorurteile. Sie schätzen den heiligen Ort – die Kirche.

Trägt die kosovo-albanische UÇK eine Mitschuld am Konflikt?

Kabashi: Es ist ganz einfach unglaubwürdig, wenn man annimmt, daß die Serben eine Alleinschuld am Krieg tragen. Die Albaner sind kinderlieb und haben viele Kinder. Die albanische Kirche hat gepredigt, daß auch die Serben kinderlieb sein sollen und viele Kinder haben mögen, damit es zu keinen ethnischen Spannungen kommt. Kinder bedeuten Reichtum, und die Albaner hatten mehr Kinder. Dies führte zu einer demographischen Furcht der Serben vor einer Art ethnischen und kulturellen Überfremdung.

Im Kosovo geht es um ethnische Unterschiede und Vertreibungen. Was war der Startschuß für den Krieg?

Kabashi: Auslöser für die massiven Vertreibungen war sicherlich das Bombardement der Nato.

Was wäre denn weiter geschehen, wenn die Nato nicht eingegriffen hätte?

Kabashi: Die Serben haben immer betont, daß das Kosovo die Wiege des Serbentums ist, das Jerusalem für Serbien. Doch die Albaner, die auch in die Kirchen in Kosovo-Methochia gingen, waren keine Gefahr für das Serbentum. Die heiligen Stätten sollten bestimmt nicht geschändet werden.

War und ist die Vertreibung der Kosovaren denn ein Rachefeldzug der Serben, in Reaktion auf die Nato-Angriffe?

Kabashi: Die Nato hat immer betont, daß der Krieg kein Kampf gegen das Volk ist, gegen die Serben. Es ging darum, die Vergewaltigungen, Morde und Unterdrückung zu beenden. Die UÇK hat ihren Beitrag geleistet, den Konflikt anzuheizen, und war im Grunde dafür, daß die Nato dieses Frühjahr eingreift.

Die Serben betrachten die UÇK als terroristische Vereinigung und wollen sie entwaffnen.

Kabashi: Wenn die Menschen jahrelang unterdrückt werden, wollen sie sich irgendwann wehren. In Kroatien und Bosnien hat man es auch erst friedlich versucht, und es hat nicht geklappt. Man muß die UÇK verstehen.

Haben Sie die plötzlichen Nato-Angriffe auf Seiten der Albaner und der UÇK überrascht?

Kabashi: Ein Krieg ist nie gerecht und es trifft immer auch Unschuldige. Die Nato hat auf Seiten der Albaner eingegriffen, um die Massaker zu beenden. Es geht dabei nicht darum, ob es Serben, Albaner oder Türken sind. Es sind in allererster Linie Menschen.

Helfen die Nato-Eingriffe der Region nun auch tatsächlich?

Kabashi: Es ist wohl nicht erwartet worden, daß die Angriffe so viel Zerstörung bringen und so lange dauern. Es ist wie ein Feuer. Wenn es einmal ausgebrochen ist, greifen die Flammen um sich.

Werden Ihre Landsleute überhaupt – ohne Schutz – in diese unsichere Region zurückkehren wollen?

Kabashi: Wir fordern eine Rückkehr der Albaner in das Kosovo. Dabei geht es um die Heimat der Menschen und die Zukunft der Kinder.

Glauben Sie, daß die Nato im Interesse der Menschen auch mit Bodentruppen den Rückzug sichern wird?

Kabashi: Wenn es zu einem Friedensvertrag kommt, brauchen wir auch Sicherungstruppen. Wenn es bei dieser Situation bleibt und die Kosovaren in Albanien bleiben, dann hat Milosevic sein Ziel erreicht. Das Nato-Bombardement soll Slobodan Milosevic aber zum Einlenken bewegen.

Haben Sie serbische Freunde?

Kabashi: Ich habe mit Serben zusammengelebt. Es gibt in Serbien auch viele oppositionelle Gruppierungen. Der Krieg kann sich nicht gegen das serbische Volk richten. Wenn wir es schaffen, wird der ganze Balken demokratisiert und europäisiert.

Mit Gewalt?

Kabashi: Ich verfolge seit langem die Medienberichterstattung über den Balkan. Zu Beginn wurde gar nicht berichtet, was im Kosovo vorgeht und was die Serben machen. Im serbischen Fernsehen ist das bis heute noch so. Es wird natürlich nicht von ethnischen Säuberungen berichtet. Nur von den Nato-Angriffen. Das ist zu einseitig.

Hat es von seiten der Albaner nicht auch Versuche gegeben, die Serben aus dem Kosovo zu verdrängen?

Kabashi: Kroaten, Slowenen – das sind Slawen, wie die Serben. Die Albaner sind ein ganz anderes Volk, haben eine ganz andere Kultur und Sprache. Aber in einer Demokratie kann man friedlich zusammenleben.

Das Tischtuch ist jetzt aber doch endgültig zerschnitten zwischen den Serben und Albanern, oder nicht?

Kabashi: Es ist immer Zeit für den Frieden. Man kann auch wieder zusammenleben. Wenn es eine Friedensgarantie gibt, werden die Kosovaren auch wieder zurückkehren. Wenn die USA und die anderen Staaten hier als höchste Instanz die Sicherheit gewährleisten, wird es wieder Frieden geben.

Woher nehmen Sie diese Hoffnung? Die Konflikte zwischen den Völkern sind doch zum Teil Jahrhunderte alt.

Kabashi: Wenn es kein Sicherheitssystem gibt und mich niemand verteidigt, dann muß ich mich selber verteidigen. Das ist die Frage, wer ist der Staat. Wenn es keinen Staat gibt, herrscht Anarchie. Es geht darum, den gesamten Balkan, inklusive Bosnien, zu sichern und die neuen Staaten zu unterstützen.

Was bedeutet die Aufnahme der vielen Flüchtlinge für Albanien?

Kabashi: Albanien war lange Zeit eine geschlossene Gesellschaft. Jetzt kommen viele Flüchtlinge aus dem Kosovo, mit ganz anderen Voraussetzungen und anderer, meist höherer Bildung, ins Land. Der Lebenstandard im Kosovo war viel höher als in Albanien. Die Armut in Albanien hat dazu geführt, daß die Korruption einen fruchtbaren Boden gefunden hat. Es gab in diesem Land keine Mechanismen gegen die Kriminalität. Die Elite des Landes wurde im Kommunismus bekämpft. Priester und Wissenschaftler sind ausgewandert. Die Kosovaren könnten auch hier eine Heimat finden.

Ist es sinnvoll, die Kosovaren nach Deutschland, England oder auch nach Übersee auszufliegen?

Kabashi: Für die Heimkehr in den Kosovo ist es das Beste, wenn sie hier nach Albanien kommen und hier bleiben. Man braucht hier keine Dolmetscher, jedoch finanzielle Unterstützung für die Aufnahme und Versorgung der Flüchtlinge. Ein Ausfliegen der Flüchtlinge ist Unsinn.

Welche Rolle kann die Kirche spielen, um eine Friedenslösung im Kosovo zu ermöglichen?

Kabashi: Die Albaner sind als Volk nicht fanatisch. Sie akzeptieren Gott und die heilige Ordnung und haben einen großen Respekt vor sakralen Dingen, wie Kirchen oder anderen heiligen Stätten. Die Kirche arbeitet vor allem mit der Jugend. Aber ohne Vergebung und Versöhnung und ohne Toleranz kann man nicht leben. Das sind die christlichen Werte, und ohne diese kann sich kein friedlicher Fortschritt entwickeln. Unser Weihbischof für die Region versucht schon Kontakt mit dem serbischen Bischof aufzunehmen, um dem Frieden den Weg zu ebnen.


 
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