© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/99 14. Mai 1999


Staatsbürgerschaft: Die Reform ist im Bundestag beschlossen
Ohrfeige für die Union
Karl-Peter Gerigk

Nun scheint es beschlossene Sache zu sein, daß Millionen ausländischer Mitbürger der Doppel-Paß zugebilligt wird. Mit den Stimmen der rot-grünen Koalition und der Liberalen wurde das umstrittene neue Staatsbürgerschaftsrecht im Bundestag verabschiedet. Auch die Zustimmung des Bundesrates zur neuen Regelung am 21. Mai gilt als gesichert. Die Neuregelung, die von der CDU/CSU bis auf den heutigen Tag heftig bekämpft wird, sieht im Kern vor, daß hier geborene Ausländer künftig schon mit ihrer Geburt in Deutschland die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen, wenn ein Elternteil rechtmäßig seit acht Jahren hier lebt. Spätestens im Alter von 23 Jahren sollen sie sich dann entscheiden, ob sie weiterhin Deutsche bleiben wollen oder die zweite Staatsangehörigkeit als einzige behalten möchte.

Für das neue Staatsbürgerrecht stimmten im Bundestag 365 Abgeordnete, 184 votierten dagegen. 39 der Abgeordneten enthielten sich der Stimme. Vor der Entscheidung hatten rund 20 Abgeordnete der CDU/CSU-Bundestagfraktion angekündigt, sich der Stimme enthalten zu wollen. Nach dem Sieg der Union bei der Hessenwahl, die sie unter anderem mit der Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gewann, schlossen die Liberalen und die Sozialdemokraten nach einer Vorlage der rheinland-pfälzischen Regierung ein Bündnis, um eine liberalere Regelung für die Staatsbürgerschaft zu erreichen. Die Sozialdemokraten hatten nach der Wahl in Hessen die Mehrheit im Bundesrat verloren und sind nun auf die Stimmen der rot-gelben Koalition in Rheinland-Pfalz angewiesen.

Als eine Entscheidung mit "historischer Dimension" bezeichnete Bundesinnenminister Otto Schily die Entscheidung. Der Beschluß sei ein Beitrag dazu, das Staatsvolk und die Wohnbevölkerung zusammenfinden könnten. Zudem sei es ein Schritt zur Intergration und wirke Ghettobildung und der Entwicklung von Parallelgesellschaften entgegen. Der stellvetretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Jürgen Rüttgers erklärte, das Gesetz sei verfassungsrechtlich bedenklich. Darüber hinaus sei es integrationspolitisch unausgegoren und mit einem noch nicht abzusehenden Verwaltungsaufwand verbunden. Letztlich führe die Neuregelung mit dem Optionsmodell in eine regelmäßige doppelte Staatsbürgerschaft. Dagegen betonte der Generalsekretär der Liberalen, Guido Westerwelle, daß das ursprünglich von der rot-grünen Koalition geplante neue Recht für die doppelte Staatsbürgerschaft vom Tisch sei; das neue Gesetz trage die Handschrift der Liberalen. Vor allem sei die Neuregelung ein Signal an alle integrationswilligen Menschen ausländischer Herkunft, die dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland lebten. Cem Özdemir von den Grünen bedauerte, daß es nicht gelungen sei, die doppelte Staatsbürgerschaft auch für die erste Generation zu ermöglichen.

Eine Neuregelung sieht vor, daß sich in Deutschland lebende Ausländer bereits nach acht Jahre einbürgern lassen können. Bisher betrug die Frist 15 Jahre. Voraussetzung für den Erwerb der Staatsbürgschaft ist es jedoch, daß der Bewerber für den deutschen Paß keine Vorstrafen hat und auch keine verfassungsfeindlichen Ziele verfolgt. Außerdem müssen hinreichende Deutschkenntnisse nachgewiesen werden.

Die Problematik des Gesetzes liegt in der praktischen Ausformung der Verwaltungsvorschriften und in der Handhabung in der Praxis. Neben Härtesituationen, die geltend gemacht werden können, stellt sich die Frage, wie man jemanden, der sich mit 23 Jahren nicht freiwillig für einen Paß entscheidet, zu dieser Entscheidung zwingen will. Auch ist es bis jetzt noch nicht klar, wie die Frage der notwendigen Fähigkeit, den Lebensunterhalt selber zu bestreiten, in jedem Einzelfall entschieden werden soll.

Hierbei wird es zu einer enormen Belastung für die Kommunen kommen. Nicht nur die Deutschkenntnisse müssen überprüft werden, auch die Fähigkeit, den Lebenunterhalt zu bestreiten, muß bei der kommunalen Behörde nachgewiesen und überprüft werden. Die Präsidentin des Städtetages, Petra Roth (CDU), kritisierte die unpräzisen Regelungen des Gesetzes, etwa bei der Prüfung der Sprachkenntnisse. Hier kämen in der Praxis enorme Probleme auf die Städte und Gemeinden zu. Roth äußerte die Befürchtung, daß wegen der Ausnahmeregelungen in dem Gesetz die Zahl der doppelten Staatsbürgerschaften deutlich zunehmen werde und sich darunter auch viele Sozialhilfeempfänger befänden.

Für die von Jürgen Rüttgers angedeutete Möglichkeit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen das neue Staatsbürgerrecht sieht Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin nur wenig Chancen. "Die CDU wird sich dort eine Ohrfeige holen", sagte die SPD-Politikerin im Deutschlandradio Berlin.


 
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