© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/99 14. Mai 1999


Grüne am Scheideweg
von Thorsten Thaler

Der kluge Mann baut vor, weiß der Volksmund, und Umweltminister Jürgen Trittin hat vorgebaut. Zwei Tage vor dem Himmelfahrts-Parteitag der Grünen ließ der gewiefte Taktiker die rund 750 Delegierten via Bild-Zeitung wissen, daß es im Grunde genommen egal sei, was sie zum Kosovo-Konflikt beschließen; die Bundestagsfraktion der Grünen sei nicht zwingend an einen Beschluß des Sonderparteitages gebunden. Immerhin aber werde sich die Fraktion – großzügig, großzügig – mit der "Willensbekundung" des Parteitages auseinandersetzen müssen, räumte Trittin ein. Die Grünen-Abgeordneten, zu denen der Minister selbst zählt, müßten versuchen, die Beschlüsse des Parteitages in praktische Politik umzusetzen – "unter Abwägung aller Konsequenzen, die sich daraus ergeben könnten", erklärte Trittin.

Damit hat die Galionsfigur des linken Parteiflügels ebenso geschickt wie durchsichtig die Richtung vorgegeben, mit der die Partei einerseits ihre aufgebrachten Mitglieder und Anhänger besänftigen kann, andererseits aber die Grünen an der Koalition mit der SPD festhalten können. Das Problem, mit dem sich die Partei nicht erst seit den Luftangriffen der Nato auf Jugoslawien konfrontiert sieht, ist damit indes noch lange nicht vom Tisch. Denn wie immer die Beschlußlage der Grünen nach ihrem Parteitag aussehen mag, die eigentliche Zerreißprobe steht ihnen erst bevor. Zu zahlreich sind inzwischen die Konfliktherde, an denen sich der Streit zwischen Grundsatztreuen und Pragmatikern der Macht entzündet, zu tief der Graben zwischen den verschiedenen Flügeln innerhalb der Partei und den Interessengruppen außerhalb, als daß die Grünen sich noch auf etwas anderes als den jeweils kleinsten gemeinsamen Nenner einigen könnten – und das auch nur mit Hängen und Würgen.

Die Landtagswahl in Hessen Anfang Februar, bei denen der Partei vor allem die Jungwähler in Scharen davongelaufen sind, war da nur das Menetekel; bei der bevorstehenden Europa-Wahl am 13. Juni droht den Grünen ein ungleich größeres Debakel. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Welchen Kurs die Grünen auch einschlagen, einen nicht unerheblichen Teil ihrer Wählerschaft werden sie damit auf Dauer verprellen. Es könnte genau jener Teil sein, der ihnen bislang das parlamentarische Überleben gesichert hat.


 
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