© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/99 14. Mai 1999


Luftangriffe auf Jugoslawien: Die Nato ist mit ihrem Latein längst am Ende
Der schmutzige Krieg
Michael Wiesberg

Die Nacht vom 7. auf den 8. Mai dürfte die Nato-Strategen in Brüssel noch eine ganze Weile beschäftigen. Zum einen wurde in dieser Nacht die chinesische Botschaft in Belgrad angeblich "irrtümlich" zerstört. Zum anderen traf in Nis eine Bombe ein Spital, die 20 Menschen das Leben kostete. Beide Ereignisse zeigen, daß der Nato die strategisch wichtigen Ziele langsam ausgehen. Wohl auch deshalb bombardiert die Nato mehr und mehr Ziele, die bereits angegriffen worden sind.

Darüber hinaus läßt sich eine Änderung der Taktik durch den Nato-Oberbefehlshaber in Europa, General Wesley Clark, beobachten. So wurde die Zahl der Tagesangriffe deutlich erhöht. Dadurch steigt aber auch zwangsläufig die Wahrscheinlichkeit, daß eine höhere Zahl von Zivilisten zu Schaden kommt.

Die Nato schreckt auch nicht mehr davor zurück, Waffen einzusetzen, die höchst fragwürdig sind. So wurden bei einem Angriff auf Nis zwei Cluster-Bomben eingesetzt, durch die 15 Menschen starben und 70 verwundet wurden. Nicht alle panzerbrechenden Bomblets, die in einer Cluster-Bombe enthalten sind, explodieren beim Aufschlag. Diese liegen dann in scharfen Zustand herum und bedrohen unschuldige Menschen.

Alles dies scheint Clark keine Skrupel zu bereiten. Dieser hat unterdessen Artillerie angefordert, die mit ATACMS-Raketen ausgerüstet ist, die eine Reichweite von etwa 180 Kilometern haben. Sie sollen nahe der jugoslawischen Grenze in Stellung gebracht werden, um militärische Ziele in Jugoslawien zu bekämpfen. Auch diese Raketen haben einen Sprengkopf, der aus Cluster-Granaten besteht. Mehr und mehr scheint Clark der Bomber-Harris-Devise "Wir bomben sie zurück in die Steinzeit" zu folgen.

Der Angriff auf die chinesische Botschaft verdeutlicht noch etwas anderes: Clark scheint es darauf abgesehen zu haben, Milosevic oder den Milizenführer Arkan höchstselbst ins Jenseits zu befördern. Genau diese Vermutung legt der Versuch nahe, einzelne Gebäude in Belgrad, in der diese vermutet werden, in Schutt und Asche zu legen. Daß bei diesem Versuch die chinesische Botschaft zerstört wurde, zeigt die ganze Absurdität dieses "chirurgischen" Vorgehens.

Statt die jugoslawische Armee mit Nachdruck zu bekämpfen, verfolgt die Nato zunehmend die Strategie, militärisch irrelevante Ziele anzugreifen. Diese Entwicklung wirft Zweifel am Sinn der Nato-Strategie und an der Person des Oberbefehlshabers auf. Interessante Hinweise auf Clark gibt das amerikanische NachrichtenmagazinCounterpunch, in dem ein Oberst der US-Army, der während der Zeit, in der Clark die 1. Kavallerie Division in Fort Hood kommandierte (1992–94), in genau dieser Einheit diente. Counterpunch zitiert den Obersten mit der Bemerkung, diese Division sei die schlechteste Einheit gewesen, die er in seiner Zeit als Soldat gesehen habe. Diese Meinung ist keineswegs eine Einzelstimme. Ein Major der 3. Brigade der 4. US-Infanterie-Division gibt zu Protokoll, daß Clark jeden Untergebenen als Bedrohung seiner Karriere ansah. Dies alles läßt Clark als einen Karrieristen mit zweifelhaften militärischen Fähigkeiten erscheinen. Er sei raffiniert, wird ein Beobachter der Karriere des Nato-Oberbefehlshabers zitiert, und hätte sein ganzes Leben damit verbracht, die Dinge so zu manipulieren, das sie seiner Karriere nützen. Nun sehe er sich allerdings einer Situation gegenüber, die er nicht mehr kontrollieren könne.

Daß veraltete Karten zu dem Nato-Angriff auf die Botschaft geführt haben, erscheint wenig glaubhaft. Der Geheimdienst CIA habe bei der Auswahl des Angriffsziele seine Belgrad-Karte von 1992 verwendet, sagte der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im US-Senat, Richard Shelby und machte Kürzungen im Geheimdienst-Etat für das veraltete Material verantwortlich. US-Verteidigungsminister Cohen sagte, die Karte sei 1997 und 1998 geprüft worden. Sie habe das fünf Jahre alte chinesische Botschaftsgebäude nicht gezeigt.

Es ist kaum vorstellbar, daß die "einzige Weltmacht" (Brzezenski) ausgerechnet am Kartenmaterial spart und auf der anderen Seite Milliarden für Spionage-Satelliten investiert. Wie man es auch dreht und wendet: die Erklärungen sind schlichtweg lächerlich. Ging es den Amerikaner bei ihrem angeblichen "Irrtum" unter Umständen darum, einen möglichen Kompromiß zu verhindern? Vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse scheint es mehr als zweifelhaft, daß die Chinesen dem G-8-Plan für den Kosovo im UN-Sicherheitsrat noch zustimmen.


 
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