© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/99 30. April 1999


Durchgeknallt: In den Medien herrscht eine große Sprachverwirrung
"Handy" ist deutsch
Hans-U. Pieper

Wolf Schneider hatte keine schwierige Aufgabe. Die Zeit-Chefredaktion hatte den Verfasser sprachkritischer Fachbücher und langjährigen Leiter der Henri-Nannen-Journalistenschule beauftragt, die "Schreibe" ihrer Redakteure zu beurteilen. Offenbar war den neuen Blattmachern das aufgeblasene, langweilige Uni-Deutsch ihrer Redaktion selbst aufgefallen, und so hoffte man, durch die Einschaltung einer anerkannten Autorität wie Schneider den Schwall hochgestochener Literaturvokabeln in den Artikeln des Intelligenzblattes einzudämmen.

"Schneider bemühte sich redlich", wußte selbst der Journalist, die Zeitschrift des DeutschenJournalisten-Verbandes, schadenfroh zu berichten. Er wußte "verdrehte Akademiker-Sätze in die Reihe zu bekommen und Verstiegenes auf den Boden zurückzuholen".

Besonders ärgerten den Sprachkritiker die lahmen, langweiligen Anfänge von Zeit-Artikeln. Immer wieder begannen die Zeit-Schreiber ihre Beiträge mit einer Kette von vorangestellten Attributen, ehe das Wort zum Thema erschien ("In dieser strengen, elementaren, viel Glas gebrauchenden, dabei Antike und ..."). Auch ein Artikelanfang wie der sprachgewaltige Name "Thirawatt Wattanajiamwong, 25 Jahre" könnte die Spannung des Lesers bei der Zeit-Lektüre nicht gerade erhöhen.

Schneider betont, er mußte nicht suchen, um langweiligen Journalismus zu finden. So entschwebt ein Redakteur gleich zu Beginn des Interviews "in überirdische Sphären": "Die serielle Musik verkörpere ja noch das Ideal des Homo faber: ein fast mathematisches Konstruieren von Tonhöhen, Hüllkurven und Klangfarben, eine zerebrale Musik, die gegen den Affekt gerichtet war." Joseph Beuys läßt grüßen. Irgendwann wäre dann die Antwort des Interviewpartners, eines Komponisten, gekommen: "Das klingt plausibel." Da kann sich Schneider nicht verkneifen: "Für ihn. Für wen noch?"

Dann schlägt der Zeit-Forscher den Redakteuren eingemachte Begrifflichkeit um die Ohren: "Sturm-und-drangmäßige Präpotente" oder "schicksalscrash-artige Ereignisse" als Beispiel für sinnlose Wortakrobatik, die bestenfalls die Werbetexter von Boss fasziniert. Schneider: "Wollen die Schreiber das nicht klarer ausdrücken – oder können sie es nicht?" Nach 35 Zeit-Ausgaben griff der Sprachkritiker erneut zur Feder: "Elf bleischwere Substantive, mit neun Adjektiven behängt, verkettet durch von-über-auf-bis-von-in und durch kein einziges Verbum in Bewegung gesetzt und dem Verständnis aufgeschlossen", resigniert Schneider nach allen ergebnislosen Mühen und fragt schließlich: Für wen eigentlich schreibt die Zeit? Nach der 47. untersuchten Ausgabe stößt der Sprachwissenschaftler auf eine enorme Zunahme des Schicki-Micki-Mode-Begriffs "Befindlichkeit". Nunmehr ist für ihn klar: an seinem Mißbefindlichkeitspegel steige die Gemütsverdüsterung. Damit beendete er seine Aufgabe.

Was Wolf Schneider für das sogenannte Intelligenz-Blatt Die Zeit herausfand, ist kein singuläres Phänomen. George Orwells "Neusprech" findet in den Medien immer häufiger Nachahmer. Kriegerische Handlungen werden so zur "Befriedung" oder "Konfliktbereinigung", die Lebensbedrohung durch Atomenergie zum "Restrisiko", die organisierte Kriminalität zur "Preisabsprache" oder "Kapitalflucht", Massen-Entlassungen zur "Freisetzung".

Der Umdeutung unserer Sprache sind kaum noch Grenzen gesetzt: früher wurden Kolonisten angesiedelt, beispielsweise in Rußland. Heute wird etwas angesiedelt, so die Filmförderung erst im Bundesinnenministerium, dann zum neuen Staatsminister umgesiedelt. Selten ist der "Gipfel" noch eine Bergspitze. Meistens ist das Treffen von "Spitzen"-Politikern gemeint, bei denen dann selbstredend unterstellt wird, daß sie Spitze sind.

Begriffe und Bedeutungen werden ständig umgedeutet, verändert, gedehnt wie Gummi: Wird ein "Meeting" vorbereitet, so passiert das nicht vorher, sondern "im Vorfeld". Die Sorge ist in aller Munde. Nicht etwa aus Fürsorge oder Solidarität. Nein, heute sorgt der Wintereinbruch für den Anstieg der Arbeitslosigkeit. Selbst der linksliberale Journalist beklagt: "Als gäbe es nicht genug Arbeit damit, die deutsche Sprache korrekt zu verwenden, vergrößern wir den Sprachwirrwarr täglich durch neue Wortschöpfungen mit englischem Anklang." Und verweist auf das "Hobby", das das "Steckenpferd" längst verdrängt hat. Wer noch um einen Fahrschein oder eine Eintrittskarte bittet, ist längt "mega out". Das "Ticket" ist "in". Der Zeitgeist wird zum "Mainstream". Kinder zu "Kids" (das heißt "Zicklein" in der Rückübersetzung). Höhepunkte werden zu "Highlights". Stellungnahmen von VIPs sind "Statements". Ereignisse mutieren zu "Events". Der "Bodyguard" hat längst den Leibwächter abgelöst, der "Shareholder" den Aktionär. Man geht in den "Coffee-Shop", zum "Hairdresser", ins "Shopping Center". Völlig kurios: Wenn die Amis uns keine Begriffe liefern, dann erfinden wir sie. Ein "Handy" gibt es im Angelsächsischen ebensowenig wie eine "Mailbox" oder "Inline-Skates", es sind deutsche Erfindungen.

Neubabylonische Sprachverwirrung entsteht, wenn Englisch, Pseudo-Englisch und Rest-Deutsch vermischt werden: da wird gehandled, gejoggt, gemanagt, gestylt, gemailt und getalkt.

Der Vorsilben-Fetischismus feiert geradezu Triumphe: auch Journalisten (insbesondere im Rundfunk) neigen dazu, Vorsilben wie super, mega, hyper oder ultra "rüberzubringen". Die Konsum-Werbung preist neuerdings ein "Mega-colourblocking-heavy-shirt". Besonders chick gilt bei Politikern und Werbern die herausragende Neuerung eines Großbuchstabens innerhalb eines Wortes. Federführend war hier die "Deutsche" Telekom mit anglisierten Begriffen wir "CityCall", "GermanCall" und "GlobalCall".

Was Politik und Werbung vorgeben, hat mancherorts die Justiz noch nicht begriffen: Richter Rainer Pannek, Vorsitzender der 1. Großen Strafkammer des Berliner Landgerichts, mußte sich öffentlich entschuldigen. In einem Prozeß um einen Überfall auf einen Ghanaer hatte der Richter mehrfach "Neger" gesagt. Der Sturm der Entrüstung war groß. Medien, Politik und selbst die Strafverteidiger-Vereinigung forderten die politisch korrekte Wiedergutmachung.

Der Richter lenkte ein: "Das war falsch." In unseren Bäckereien gibt es keine "Neger-Küsse" mehr, in unseren Restaurants keine "Zigeuner-Schnitzel". Klaus Rainer Röhl hat vorgeschlagen, letztere als "Sinti-und-Roma-Schnitzel" wiederzuentdecken.

Völlig bedeutungslos wird das Denken bei uns. Wenn ein Politiker "Ich denke mal..." sagt, meint er nichts weiter, als daß er dies oder jenes vermutet, vorausahnt, "überdenkt" oder auch nur "andenkt". Es wird kaum noch nachgedacht, bestenfalls an-, quer- oder vorgedacht, was ja letztlich kein Nachteil wäre, wenn es nur passieren würde ... Der Journalist berichtet hierzu: "Ein Redaktionsleiter regte in einem Rundfunksender an, einen ’Sprachwächter‘ – nach ausländischem oder Zeit-Vorbild – einzusetzen. Der Intendant wies den Vorschlag brüsk zurück, entsetzt über solcherart lästige Nörgelei."


 
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