© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/99 30. April 1999


Pankraz,
Peter Gauweiler und das rapide Altern der Parteien

Politologen wundern sich, revidieren sich. Noch bis vor kurzem, bis zum Ende der Kohl-Zeit, konstatierten sie unisono ein bedrückendes und verfassungsfernes Übergewicht der Parteien bei den Staatsaffären und im öffentlichen Leben insgesamt, und jedermann ging davon aus, daß sich diese Konstellation in die Schröder-Zeit hinein fortsetzen werde, daß Schröder ein Kanzler von Gnaden der Partei und ihres Vorsitzendern Lafontaine sein werde. Doch heute, gerade mal ein halbes Jahr nach Bildung der neuen Regierung, kann davon überhaupt keine Rede mehr sein. Lafontaine ist weg, und die Parteien wirken, als seien sie per "rapid aging" auf Liliputanerformat geschrumpft. Das ist fast sensationell.

Bestimmt liegt es nicht nur an den Personen. Sicherlich, Lafontaine, so stellte sich schnell heraus, war kein zweiter Kohl, der die "Basis" seiner Partei systematisch zu pflegen und stark zu halten wußte. Und Schröder und seine Hombach-Crew erwiesen sich als äußerst machtbewußt und schlau in der Intrige, legten die Parteibonzen gleich reihenweise aufs Kreuz.

Parallel dazu machte Joschka Fischer seinen Grünen in geradezu brutaler Weise klar, daß sie ruhig an der politischen Willensbildung "mitwirken" könnten, sich jedoch aus den Regierungsgeschäften tunlichst herauszuhalten hätten. "Entscheidend ist nicht, ob die Partei mir folgt oder nicht", beschied er kühl in einem Interview, "der Minister hat die persönliche Verantwortung. Dafür muß er geradestehen."

Ganz ähnlich klingt es inzwischen auch bei Edmund Stoiber, dem Vorsitzenden der im Bund oppositionellen CSU. "Stoiber macht in letzter Zeit nur noch, was er selber will", grummelt es mißmutig und unüberhörbar aus der CSU-Basis in Bonn und München. Der Verfall der Parteimacht ist flächendeckend, beschränkt sich keineswegs auf die Regierungsformation.

Alte CSU-Hasen wie Peter Gauweiler lassen sämtliche Parteiämter fahren und betätigen sich statt dessen als Großjournalisten und Medienhirsche, die den Parteien (inklusive der eigenen) von außen beibringen, wo es langzugehen hat. Bestallte Sprecher von Lobby-Verbänden denken im Traum nicht mehr daran, bei den Parteisprechern zu antichambrieren und beflissen für politisches Gutwetter zu sorgen, artikulieren in aller Öffentlichkeit nach allen Seiten ätzende Parteikritik. Das ganze Klima hat sich gewandelt.

Die Macht der Medien, der Lobby-Verbände, der Regierungsstellen und Behörden ist sichtbar gestärkt, und zwar auf Kosten der Parteien. Natürlich gibt es nach wir vor Postenschacher auf Parteibuchbasis, vor allem im Fernsehen und bei den kommunalen Verwaltungen, natürlich besteht weiterhin jene ungenierte finanzielle Selbstprivilegierung der Parteien via Bundestag, wie sie in der Kohl-Zeit eingerissen ist. Aber die Loyalitäten bröckeln, wenn Pankraz richtig beobachtet.

Insbesondere beim Nachwuchs schwindet die Lust, sich auf parteipolitische Ochsentour zu begeben und so à la longue ein warmes Plätzchen zu ergattern. An den Medien interessierte Damen und Jünglinge denken immer weniger daran, sogenannte freie Mitarbeiter bei den etablierten Sendern zu werden und damit irgendwelchen dort installierten Parteihengsten nach dem Mund reden zu müssen. Lieber machen sie ihre eigene Produktionsfirma auf, spähen nach Marktlücken und unvermintem Geistesgelände.

Noch ist der Druck der "political correctness" groß, das System der Tabuzonen und der erwünschten bzw. unerwünschten Themen funktioniert noch, man geht noch nicht dagegen an. Aber man beugt sich ihm auch nicht mehr unbesehen, weicht ihm vielmehr aus, macht eine elegante Kurve darum herum.

Nie zuvor sind Parteiprogramme so verächtlich als bloße Makulatur behandelt worden wie derzeit bei politisch aufgeweckten jungen Leuten. Eine Generation im Wartestand ist herangewachsen, die sich ihre Leitideen nicht mehr aus irgendwelchen muffigen Partei-Ortsverbands-Hinterzimmern abholen mag.

Ob das nun eine gute oder eine schlechte Nachricht ist, läßt sich noch nicht exakt beurteilen. Für die Parteien allerdings scheint die Lage fatal. Auf sie trifft jener schnöde Witz aus der Kiste "Gute Nachricht / schlechte Nachricht" zu, in dem der Arzt dem Unfallopfer, nachdem es aus der Narkose erwacht ist, sagt, er habe eine gute und eine schlechte Nachricht für ihn. "Zuerst die schlechte: Wir haben Ihnen beide Beine abnehmen müssen. Und nun die gute: Draußen steht schon ein Mann, der Ihnen Ihre Stiefel abkaufen will."

Für die Stiefel der Macht gibt es tatsächlich viele Interessenten, und die beiden ersten in der Reihe der Kauflustigen, Wirtschaft und Medien, flößen mit ihrer Erwerbsgier nicht unbedingt Vertrauen ein. Sie müßten sich wohl, um honorig auftreten zu können, noch so manche Hornhaut von den Sohlen feilen, und auch dann würden sie nicht recht in die Stiefel hineinpassen. Diese kommen ihnen einfach nicht zu.

Der ideale Käufer wäre eine ebenso selbstbewußte wie dem Volkssouverän gegenüber bescheidene politische Klasse, die – einzig dem Gesetz und den Interessen des von ihr repräsentierten Volkes verpflichtet – sich von keiner Instanz kommandieren ließe, die die Medien nutzte, ohne sie zu manipulieren oder sich von ihnen zum Schauobjekt machen zu lassen, und die mit der Wirtschaft effektiv und verständnisvoll kooperierte, ohne das Interesse des Ganzen je aus dem Auge zu verlieren.

Daß die Parteien daran mitwirken, eine solche Elitetruppe zu rekrutieren, zu unterstützen oder zu kritisieren, versteht sich von selbst. Genau dies ist ihnen vom Grundgesetz zugedacht, genau daran haben sie sich zu halten.


 
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