© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/99 30. April 1999


Schäubles Sonderweg
von Hans-Georg Münster

Die CDU hat auf ihrem Erfurter Parteitag den Beweis dafür geliefert, daß sie trotz der vernichtenden Niederlage vom 27. September wieder im Kommen ist. Ausgerechnet die CDU, deren Vorsitzender und Kanzler Helmut Kohl im letzten Jahrzehnt wie wie kein zweiter die geistig unabhängigen Strömungen bekämpfte und dessen Eurovisionen die Deutschen zuerst in dreistelliger Milliardenhöhe gegenüber Brüssel tributpflichtig machten und zum Schluß noch die eigene Währung kosteten. Aber die Realitäten sprechen eine deutliche Sprache. 4,5 Millionen Unterschriften sammelten die CDU und ihre bayerische Schwester gegen die generelle doppelte Staatsbürgerschaft. "4,5 Millionen Unterschriften können nicht irren", prahlte CDU-Generalsekretärin Angela Merkel. Ausgerechnet sie, die zu Beginn der Kampagne heftigst in den Gremien dagegen zu opponieren und für einen Kompromiß mit der SPD zu streiten wußte. CSU-Landesgruppenchef Michael Glos prägte damals das häßliche, aber zutreffende Wort von den "Einflußagenten" der anderen Seite in der Unionsfraktion.

Als CDU-Vorsitzender ist Wolfgang Schäuble derzeit unumstritten. Der Jubel war zwar nicht grenzenlos, aber allemal eindrucksvoller als der Beifall für Gerhard Schröder nach dessen Kür zum SPD-Vorsitzenden in Bonn. Mit den "Erfurter Leitsätzen" will Schäuble so etwas wie eine Parteireform starten. Kein Funktionär soll künftig mehr als drei Vorstandsposten innehaben dürfen. Wird das Realität, gehört der typische Bonner Parlaments-Platzhirsch bald ins "Haus der Geschichte".

Aber es kommt noch toller. In den Erfurter Leitsätzen ist zu lesen: ,,Wenn es um die Gestaltung der Zukunft geht, sind Tabus und Denkverbote fehl am Platz." Niemand müsse sich für seine Meinung entschuldigen. Die CDU als Hort der Toleranz? Ausgerechnet. Auch nach Erfurt hätte, wer das europapolitische Palaver in der CDU wegräumen und sich für die Wahrnehmung deutscher Interessen einsetzen würde, die Kopfschußebene schnell erreicht. Was würde passieren, wenn in der CDU eine Diskussion über deutschen Neutralismus statt Nato-Bomben beginnen würde? Und nach wie vor würde es niemand wagen, einen Parteitagsantrag gegen das Berliner Mahnmal vorzulegen.

Die "Schere im Kopf" zur Selbstzensur sitzt bei der CDU sehr fest. Konservative sollten das angekündigte Ende der Denkverbote nicht mit Hoffnungen verbinden. Nach wie vor gilt, daß es rechts von der CDU keine demokratisch-legitimierte Kraft geben darf und innerhalb der CDU keinen rechten Flügel. Doch Schäubles Konzept hat Erfolg. 20.000 neue Mitglieder fanden den Weg ausgerechnet zur CDU.


 
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