© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/99 16. April 1999


Verwaltungsstreit JF gegen NRW: Staatliches Handeln im demokratischen Meinungsstreit und falsche Anwendung des Begriffs der freiheitlichen demokratischen Grundordnung
Verfassungsschutzberichte als Eingriff in Grundrechte

Seit drei Jahren befindet sich der Verlag der Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT in einem Verwaltungsstreitverfahren gegen das Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen. Grund: Seit 1994 wird die JUNGE FREIHEIT umfangreich (mit bis zu 20 Seiten) im Verfassungsschutzbericht des SPD-regierten Landes erwähnt und unter dem Kapitel "Rechtsextremismus" behandelt. NRW ist das einzige Bundesland, das die JF in dieser Form unter Verdacht setzte. Vertreten durch den Münchner Rechtsanwalt Manfred Brunner erhob die JUNGE FREIHEIT am 9. August 1996 Klage vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf mit dem Ziel, dem Innenministerium die Erwähnung der JUNGEN FREIHEIT im Verfassungsschutzbericht zu untersagen. In einer mündlichen Verhandlung am 14. Februar 1997 wies das Verwaltungsgericht in erster Instanz die Klage der JF ab (Az. 1 K 9318/96). Die JF hat Antrag auf Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht Münster gestellt, die bis heute noch nicht zugelassen wurde. In einem aktuellen Schriftsatz vom 6. April 1999 trägt die JF eine ergänzende Begründung zur Berufung vor, die wichtige grundsätzliche Erörterungen zum Problem des Grundrechtseingriffs durch den Staat enthält, weshalb wir diese auszugsweise dokumentieren. Dieter Stein

II. Zu den rechtlichen Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils, § 124 II Nr. 1 VwGO, und zu den besonderen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten der Sache, § 124 II Nr. 2 VwGO

(...)

2 d) Verkennung der Grundrechtsposition der Klägerin

Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruht auch darauf, daß das Gericht die Bedeutung der Grundrechte der Klägerin auf Presse- und Meinungsfreiheit verkennt.(...)

aa) Die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht als Grundrechtseingriff

Zu Unrecht meint das Verwaltungsgericht, die Klägerin erleide durch die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht nur "faktische Nachteile", vor denen die Grundrechte nicht schützten (UA S.20, 35). Falsch ist es zudem, diese Nachteile nur in wirtschaftlichen Schäden zu erblicken. Diese sind zwar gravierend und haben die Klägerin bereits an den Rand der Existenzvernichtung gebracht. Der Verfassungsschutzbericht verursacht aber darüber hinaus auch ideelle Schäden. Dadurch, daß die Klägerin aufgrund der Diffamierung als extremistisch insbesondere vom Kioskvertrieb nahezu vollständig ausgeschlossen ist und in anderen Zeitungen nicht werben kann, ist auch ihre originäre Pressefreiheit – Vertrieb der Zeitung, Gewinnung von Lesern – sowie die Verbreitung ihrer Meinung schwerwiegend behindert. Außerdem ist durch eine unzutreffende sowie durch eine nicht durch eine gesetzliche Ermächtigung gedeckte Bezeichnung als "extremistisch" ein Grundrechtseingriff unter dem Aspekt des Persönlichkeitsrechts gegeben; dabei mag offen bleiben, ob dieses für ein Presseunternehmen in Art. 5 I GG oder in Art. 2 I (i.V.m. 1 I) GG verankert ist. Und dies alles, sowohl die wirtschaftlichen als auch die ideellen Folgen der in den Verfassungsschutzbericht aufgenommenen Warnung vor der angeblich "extremistischen" Zeitung, sind nicht etwa – wie das Verwaltungsgericht meint – "im Zeitpunkt der Information der Öffentlichkeit noch nicht absehbare Folgewirkungen", sondern es sind durchaus voraussehbare und sehr wahrscheinliche Folgen. Es ist ja geradezu Sinn und Zweck der Verfassungsschutzberichte, solche Folgen hervorzurufen. Es geht ja um die Anprangerung und Bekämpfung angeblich verfassungsfeindlicher Bestrebungen. Das Verwaltungsgericht verkennt die Möglichkeit des Grundrechtseingriffs durch staatliche Warnungen und Kritik, wenn es einen Eingriff mit dem Argument verneint, die Klägerin könne ja weiterhin ihre Wochenzeitung herstellen, verbreiten usw. (UA S.35, 36). Das Gericht nimmt hier die Entscheidungen, die das Bundesverwaltungsgericht zum Beispiel zum Eingriff in die Berufsfreiheit durch Produktwarnungen erlassen hat, überhaupt nicht zur Kenntnis, obwohl in der Klagebegründung ausführlich darauf hingewiesen worden war.

Das Verwaltungsgericht beruft sich für seine Rechtsauffassung zu Unrecht auf Entscheidungen, die die Erwähnung von politischen Parteien im Verfassungsschutzbericht betreffen. Die Problematik der Erwähnung von politischen Parteien läßt sich aber mit der Erwähnung von Presseorganen im Verfassungsschutzbericht aus zwei Gründen nicht vergleichen. Zum einen sind Parteien nicht Grundrechtsträger, sondern Träger eines besonderen verfassungsrechtlichen Status, zum anderen ergibt sich aus dem Parteienprivileg eine besondere Problematik, die sich nur für die Parteien, nicht für andere Rechtssubjekte stellt. Diese auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im 40. Band zurückgehende Rechtsprechung läßt sich nämlich nur dadurch erklären, daß das Gericht der Ansicht war, das Parteienprivileg verbiete jedes "administrative Einschreiten" gegen eine Partei, so daß eine dogmatische Konstruktion gefunden werden mußte, die die Annahme eines Eingriffs vermied13. Eine solche Konstruktion war nach dem damaligen Stand der Grundrechtsdogmatik noch möglich.

Mittlerweile entspricht der damals gewählte Ansatz jedoch nicht mehr dem Stand der Grundrechtsdogmatik. Die Rechtsprechung zu Informationseingriffen und vor allem zu den staatlichen Warnungen hat gezeigt, daß eine Maßnahme wie die Anprangerung einer Organisation als "extremistisch" im Verfassungsschutzbericht eindeutig als Grundrechtseingriff qualifiziert werden muß. Dies ist heute der klare Stand der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts14 und völlig herrschende Meinung in der Literatur15. Angesichts des heutigen Standes der Grundrechtsdogmatik würde das Bundesverfassungsgericht heute sicherlich sogar in bezug auf die politischen Parteien anders entscheiden als im 40. Band, zumal durchaus eine den heutigen Anforderungen entsprechende dogmatische Konstruktion möglich ist, die einerseits einen Eingriff bejaht, andererseits aber eine Rechtfertigung trotz des Parteienprivilegs ermöglicht16. Das Verwaltungsgericht hat sich zum zentralen Punkt des Grundrechtseingriffs überhaupt nicht mit den umfassenden Argumenten in der Klageschrift und den weiteren Schriftsätzen auseinandergesetzt, sondern sich ohne nähere Argumentation auf eine inzwischen veraltete Rechtsprechung bezogen (UA S.20). Da heute aber staatliche Warnungen als Grundrechtseingriffe anzusehen sind und da die Aufnahme einer Organisation in den Verfassungsschutzbericht sogar ein wesentlich intensiverer Eingriff ist als eine gewöhnliche Warnung, nämlich mit der Brandmarkung als "extremistisch" das schlimmste Unwerturteil enthält, das sich auf der politischen Ebene – außerhalb des kriminellen Bereichs – denken läßt, liegt mit der Erwähnung einer Organisation im Verfassungsschutzbericht eindeutig ein Grundrechtseingriff vor17. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist auch in diesem Punkte somit falsch.

 

bb) Die Auswirkung der Verkennung des Grundrechtseingriffs auf das Ergebnis der Entscheidung

Auf der Verkennung der Bedeutung der Grundrechte beruht das Urteil auch im Ergebnis, weil die Grundrechte erstens nicht zur verfassungskonformen Auslegung von § 15 II VSG NW herangezogen wurden und sie zweitens bei der Anwendung dieser Vorschrift im Einzelfall nicht richtig angewendet wurden. Dazu wurde im Schriftsatz vom 22.1.1998 (S.3f) sowie in der Antragsbegründung vom 17.4.1997 (S.4f) schon das Nötige gesagt.

Zur Schwere des Eingriffs, die bei der grundrechtlichen Abwägung zu berücksichtigen ist, die aber auch bereits die Auslegung des Tatbestands von § 15 II VSG NW im Sinne der hier vertretenen Auffassung beeinflussen muß, sei ergänzend auf folgendes hingewiesen:

Im Vergleich zur allgemeinen politischen Willensbildung und zu den verschiedenen Ebenen der politischen Bildung kommt den Verfassungsschutzberichten eine besondere Funktion und eine herausragende Bedeutung zu. Verfassungsschutzberichte klären über verfassungsfeindliche Bestrebungen auf. Sie haben nicht die Funktion, sich an der allgemeinen politischen Bildung zu beteiligen, indem sie "positiv" zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung erziehen, sondern ihr Ansatz ist "negativ": Sie sollen deutlich machen, welche politischen Kräfte verfassungsfeindliche Zielsetzungen verfolgen, mit welchen sich also niemand einlassen darf, der auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bleiben will. Die politischen Bestrebungen, die in einem Verfassungsschutzbericht herausgestellt werden, sind solche, deren Ziele nicht mehr den Konsens der Demokraten verdienen; ihre politischen Ziele sollen aus dem demokratischen Kommunikationsprozeß ausgeschieden werden, weil sie die äußersten Grenzen dessen überschreiten, was die Verfassung an politischer Zielsetzung zuläßt. Mit diesen Bestrebungen soll man sich – das ist das Ziel der Aufklärung durch den Verfassungsschutzbericht – keineswegs anfreunden, sondern sich ausschließlich kritisch auseinandersetzen; sie soll man im politischen Meinungskampf bekämpfen, wenn man sie nicht durch Totschweigen, Ignorieren, durch gesellschaftliche Ächtung wirkungsvoller zu bekämpfen meint.

Die Aufnahme einer "Bestrebung" in den Verfassungsschutzbericht ist somit eine Kampfansage an die betreffende Organisation, wenn auch dieser Kampf zunächst nur mit den Mitteln der öffentlichen Meinungsbildung geführt werden soll und noch nicht mit dem Mittel des Verbots. Und diese Kampfansage wird nicht von irgendeiner politischen Partei, einer Zeitung, einer politischen Organisation oder einer Privatperson verkündet, sondern von einer staatlichen Stelle, nämlich von der fachlich für den Verfassungsschutz zuständigen Behörde. Dies hat einen völlig anderen Charakter als eine bloße Meinungsäußerung einer gesellschaftlichen Gruppe, die behauptet, eine bestimmte Organisation oder eine Zeitung verfolge verfassungsfeindliche Ziele. Im Verfassungsschutzbericht wird amtlich die dort behandelte Organisation, Zeitung usw. für verfassungsfeindlich befunden und damit aus dem demokratischen Diskurs ausgegrenzt.

Seiner Zwecksetzung nach handelt es sich bei der Aufnahme einer Organisation in den Verfassungsschutzbericht um eine Sanktion für deren verfassungsfeindliche Zielsetzung. Die vielfältigen Nachteile, die für die Betroffenen aus der Aufnahme in den Verfassungsschutzbericht resultieren, sind durchaus gewollt. Dabei handelt es sich um sehr weitreichende, schwerwiegende Nachteile. Schon bei Organisationen und einzelnen Personen sind die faktischen Folgewirkungen evident schwerwiegend: Wer einer solchen Organisation angehört oder gar namentlich im Verfassungsschutzbericht erwähnt wird, wird gesellschaftlich geschnitten, muß mit beruflichen Nachteilen rechnen (Entlassung, Verlust von Karrierechancen, gerade auch in der Privatwirtschaft) und auch mit sonstigen gesellschaftlichen Sanktionen. So ist es gang und gäbe, daß Banken die Beziehungen zu dem betreffenden Kunden auf entsprechenden Druck aus der Öffentlichkeit abbrechen (Auflösung von Girokonten). Vor allem aber haben die Betreffenden in der Regel so gut wie keine Möglichkeiten öffentlichkeitswirksamer politischer Einflußausnahme. Sie bleiben auf die eigenen publizistischen Möglichkeiten beschränkt. In der Presse und in den Funkmedien werden sie totgeschwiegen, sofern nicht Skandalöses zu berichten ist. Interviews, Teilnahme an Talk-shows, gleichberechtigte Berichterstattung über die politische Tätigkeit finden nicht statt.

l Für eine Zeitung, die in den Verfassungsschutzbericht aufgenommen wird, sind die Auswirkungen besonders gravierend. Die Stigmatisierung durch den Verfassungsschutzbericht wirkt sich in mehrfacher Hinsicht äußerst nachteilig aus:

l Die Zahl der Leser geht drastisch zurück bzw. eine sonst mögliche Auflagensteigerung unterbleibt. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe:

l Zum einen vertrauen viele Menschen auf die Seriosität des Verfassungsschutzberichtes. Sie wollen mit extremistischen Positionen nichts zu tun haben und lehnen deshalb die Lektüre einer solchen Zeitung ab.

l Zum anderen mag es viele Leser geben, denen ihr eigenes Urteil sagt, daß die Aufnahme in den Verfassungsschutzbericht unberechtigt ist. Jedoch möchte niemand in der Öffentlichkeit mit einer Zeitung gesehen werden, die im Verfassungsschutzbericht als extremistisch bezeichnet wird. Also geht der Kioskverkauf zurück.

l Entsprechendes gilt für die Abonnement. Viele Abonnenten oder potentielle Abonnenten fürchten – zu Recht oder nicht -, daß sie selbst in das Blickfeld des Verfassungsschutzes gelangen, wenn sie eine Zeitung abonniert haben, die offlziell als extremistisch bewertet wird. Also sind die Chancen, die Zahl der Abonnenten zu erhöhen oder auch nur die vorhandene Zahl zu halten, ganz drastisch verschlechtert.

l Hinzu kommt, daß jede Zeitung darauf angewiesen ist, daß ihre Leser in ihrem Bekanntenkreis für sie werben, wenn auch nur in dem einfachen Sinne, daß sie davon erzählen, was sie in dieser Zeitung gelesen haben. Memand aber wird es wagen, gegenüber anderen Menschen, von denen er nicht weiß, ob sie mit seinem politischen Urteil übereinstimmen, zuzugeben, daß er eine im Verfassungsschutzbericht als extremistisch bewertete Zeitung liest. Deshalb wird eine solche Zeitung kaum eine Chance haben, aus einer Randexistenz herauszukommen.

l Auch die redaktionelle Arbeit wird wesentlich erschwert. Eine im Verfassungsschutzbericht erwähnte Zeitung hat es schwer, gute Mitarbeiter für die Redaktion zu gewinnen, denn diese müssen befürchten, daß sie in ihrer weiteren Karriere schwerwiegende berufliche Nachteile hinnehmen müssen.

l Viele Prominente lehnen es ab, einer solchen Zeitung Interviews zu geben oder Gastkommentare zu schreiben.

l Viele Politiker und öffentliche Stellen lehnen es ab, einer solchen Zeitung Informationen zur Verfügung zu stellen.

l Wirtschaftlich von existenzieller Bedeutung ist der Anzeigenboykott. Eine im Verfassungsschutzbericht erwähnte Zeitung hat so gut wie keine Chancen, über die großen Agenturen Anzeigenaufträge zu bekommen. Auch direkte Anzeigenaquisition ist so gut wie chancenlos, weil die privaten Wirtschaftsunternehmen fürchten, daß ihnen die Werbung in einer solchen Zeitung zum Vorwurf gemacht würde.

l Darüber hinaus gibt es Schwierigkeiten mit Grossisten und Druckereibetrieben, die nicht mit einer als "extremistisch" geltenden Zeitung zusammenarbeiten wollen oder jedenfalls entsprechende öffentliche Vorwürfe fürchten.

Insgesamt betrachtet hat die Erwähnung einer Zeitung im Verfassungsschutzbericht also äußerst schwerwiegende, unter Umständen existenzgefährdende faktische Auswirkungen.

Verglichen mit manchen Sanktionen unseres Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts sind diese faktischen Wirkungen außerordentlich gravierend. Sie treffen das Zeitungsunternehmen weit schwerer als beispielsweise ein Bußgeld oder eine Geldstrafe.

Schon für eine noch so geringe Geldstrafe oder ein kleines Bußgeld gilt im Rechtsstaat die Unschuldsvermutung. Der Täter darf nur dann bestraft werden, wenn nachgewiesen ist, daß er die Tat begangen hat und daß er schuldig ist. Dies darf nicht anders sein, wenn die Sanktion zwar nicht als "Strafe" bezeichnet wird, aber in ihrer faktischen Wirkung den Betroffenen mindestens ebenso hart, unter Umständen viel härter als eine Strafe trifft. Dem läßt sich nicht entgegenhalten, daß es beim Verfassungsschutzbericht ja nicht um die Sanktionierung von Straftaten geht. Im Gegenteil: Gerade weil das Verhalten, das im Verfassungsschutzbericht gerügt wird, nicht strafbar ist, muß der Rechtsstaat mit solchen Rügen mindestens ebenso sensibel umgehen wie mit strafrechtlichen Sanktionen. Die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht wirkt als öffentliche Stigmatisierung. Der Verfassungsschutzbericht ist der Pranger, an den gestellt wird, wer öffentliche Mißachtung verdient für seine politischen Aktivitäten. Geht man davon aus, daß diese Anprangerung – eine Sanktion für ein Meinungsdelikt – im Prinzip im Rahmen der "streitbaren Demokratie" und als Mittel des "Verfassungsschutzes durch Aufklärung" auch ohne gerichtliche Verurteilung zulässig ist, dann darf sie jedenfalls nicht erfolgen, ohne daß das angeprangerte Verhalten – also das Vorliegen einer verfassungsfeindlichen Bestrebung – nachgewiesen ist. Ein bloßer Verdacht reicht nicht aus.

Auch wenn man die Analogie zur strafrechtlichen Unschuldsvermutung ablehnt, folgt aus allgemeinen rechtsstaatlichen Gesichtspunkten dasselbe. Der Rechtsstaat läßt es nicht zu, jemanden mit gravierenden Nachteilen auf bloßen Verdacht hin zu belasten. Die Beobachtung von Organisationen usw. durch den Verfassungsschutz muß einsetzen, wenn ein begründeter Verdacht gegeben ist. Aber diese Beobachtung muß immer ergebnisoffen sein18. Sie muß immer auch zu dem Ergebnis führen können, daß der Verdacht sich nicht bestätigt. Wenn dies der Fall ist, zeigt sich, daß der Beobachtete sich nicht verfassungsfeindlich verhalten hat, also auch kein Grund besteht, ihn öffentlich anzuprangern und vor ihm zu warnen. Auch dieser Zusammenhang zeigt klar, daß die Aufnahme in den Verfassungsschutzbericht aufgrund eines bloßen Verdachts nicht gerechtfertigt sein kann. Der Eingriff in die Rechte des Betroffenen ist dann nicht erforderlich, um den Zweck der Ermächtigungsnorm zu erfüllen. Im Gegenteil kann dieser Eingriff das gesetzliche Ziel, nämlich die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu schützen, konterkarieren. Denn die Brandmarkung im Verfassungsschutzbericht als "extremistisch" ist eine massive staatliche Einflußnahme auf den demokratischen Willensbildungsprozeß und verstößt selber gegen ein demokratisches Fundamentalprinzip, sofern sie sich nicht damit rechtfertigen läßt, daß sie zur Abwehr verfassungsfeindlicher Bestrebungen erforderlich ist. Jemanden von Staats wegen als "verfassungsfeindlich" aus dem demokratischen Diskurs herauszudrängen, der keineswegs verfassungsfeindlich ist – und diese Möglichkeit besteht notwendigerweise in bloßen Verdachtsfällen -, ist mit dem Demokratieprinzip (Art. 20 II GG) unvereinbar.

Die Aufnahme einer angeblichen "Bestrebung" in den Verfassungsschutzbericht auf bloßen, wenn auch auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützten, Verdacht hin verstößt somit gleich gegen zwei der Verfassungsänderung entzogene Fundamentalprinzipien des Grundgesetzes, gegen das Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip, also gegen Elemente der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Da die Aufnahme in den Verfassungsschutzbericht einen Eingriff in Grundrechte der Klägerin darstellt – Art. 2 I, 5 I, 12 GG -, führt diese objektive Rechtswidrigkeit zugleich zur Verletzung dieser Grundrechte.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts läßt jede Auseinandersetzung mit diesem im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragenen Argumenten vermissen. Auch hat es versäumt, die Schwere des Eingriffs zumindest in der einzelfallbezogenen Anwendung von § 15 II VSG NW zu berücksichtigen. Offenbar meint das Verwaltungsgericht, daß immer dann, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift – in der vom Verwaltungsgericht für richtig gehaltenen Auslegung – erfüllt sind, eine Veröffentlichung im Verfassungsschutzbericht erfolgen dürfe. Dabei verkennt das Gericht wiederum die Bedeutung der Grundrechte, hier in erster Linie der Pressefreiheit, aber auch der Meinungsfreiheit und des Persönlichkeitsrechts. Denn es müßte auf der Basis der vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Interpretation zumindest einzelfallbezogen geprüft werden, ob der lediglich auf einen Verdacht gestützte Eingriff noch in einem angemessenen Verhältnis zu der zu bekämpfenden Gefahr für das betroffene verfassungsschutzrechtliche Schutzgut steht. Eine solche Verhältnismäßigkeitsprüfung hat das VG überhaupt nicht vorgenommen. Sie hätte angesichts der dargestellten Schwere des Eingriffs zugunsten der Klägerin ausgehen müssen.

Auf S. 34 UA finden sich lediglich nicht näher begründete Thesen zur Verhältnismäßigkeit. Diese sind rechtlich und tatsächlich verfehlt. Schon die Prüfung der Geeignetheit der Veröffentlichung im Verfassungsschutzbericht ist im Ansatz verfehlt, weil sie von einem unzutreffenden Zweck der Ermächtigungsnorm ausgeht. Der Zweck des § 15 II VSG NW – selbst in der (unzutreffenden) Auslegung des Verwaltungsgerichts – kann nicht die Information der Öffentlichkeit über Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen sein, wie das Verwaltungsgericht annimmt. Dies ist vielmehr die Maßnahme, zu welcher die Vorschrift (nach Ansicht des Verwaltungsgerichts) ermächtigt. Der Zweck, den diese Maßnahme nach dem Gesetz erfüllen soll, kann nur der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (bzw. der anderen verfassungsschutzrechtlichen Schutzgüter) sein. Zu diesem Zweck ist die Veröffentlichung nicht geeignet, wenn der Verdacht nicht zutrifft. Die Veröffentlichung ist jedenfalls nicht erforderlich, wenn keine Gefährdung des Schutzguts ersichtlich ist. Das wird hier überhaupt nicht geprüft. Unzutreffend behauptet das Verwaltungsgericht dann, daß ein weniger beeinträchtigendes, aber gleich geeignetes Mittel nicht erkennbar sei. Selbst wenn man sich auf den Boden der Rechtsauffassung stellt, daß schon in Verdachtsfällen berichtet werden darf, gibt es ein weniger belastendes Mittel: Der Beklagte könnte nämlich für die Fälle, in denen die verfassungsfeindliche Zielsetzung nicht erwiesen ist, sondern lediglich ein auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützter Verdacht besteht, im Verfassungsschutzbericht eine besondere Rubrik "Verdachtsfälle" einführen. In einer besonderen Rubrik genannt zu werden, würde die Betroffenen erheblich weniger belasten, als mit erwiesenen Extremisten in dieselbe Rubrik "Extremismus" eingeordnet zu werden. Dem berechtigten Informationsinteresse der Öffentlichkeit bzw. des Beklagten würde durch diese Unterscheidung kein Abbruch getan. Was die Verhältnismäßigkeit i.e. S. angeht, so hat sich das Verwaltungsgericht auf S. 34 UA einer Auseinandersetzung mit dem Problem dadurch zu entziehen gesucht, daß es die Nachteile als bloße Folgewirkungen und zudem als nicht hinreichend substantiiert eingestuft hat. Bei mittelbaren Auswirkungen ist aber ein exakter Kausalitätsnachweis nicht möglich. Hier muß es für die Substantiierung des Vortrags ausreichen, daß sie bei unbefangener Betrachtung als die regelmäßige Folge der staatlichen Maßnahme erscheinen oder daß sie von der Behörde intendiert sind. Beides trifft hier, wie dargelegt, zu. Während seitens der Klägerin detailliert die Nachteile aufgezeigt wurden, welche die Klägerin erleidet (die oben aufgezählten Punkte sind schon in der Klageschrift genannt), hat das Verwaltungsgericht in keiner Weise substantiiert, welche "zu befürchtenden Nachteile für die freiheitliche demokratische Grundordnung" ohne den Bericht über die Klägerin im Verfassungsschutzbericht bestünden und warum diese mindestens ebenso gewichtig seien wie die Nachteile der Klägerin. Die Annahme, daß von der Klägerin gar Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgingen (UA S.35), verkennt den Gefahrenbegriff vollständig. Hier wird weder dargetan, in welcher Weise welches Schutzgut Schaden zu nehmen droht, noch wird eine hinreichende Schädigungswahrscheinlichkeit begründet.

Das Verwaltungsgericht hat auch in keiner Weise gewürdigt, welche fundamentale Rolle die freie Presse für das Funktionieren der Demokratie spielt, und hat nicht gesehen, daß daher ein Eingriff in die Pressefreiheit durch einen Verfassungsschutzbericht erhöhte Rechtfertigungsanforderungen erfüllen muß. Dies müßte sich – wenn man sich auf den Boden der hier für klar unzutreffend gehaltenen Interpretation des Verwaltungsgerichts stellt – zumindest dahin auswirken, daß ein Presseorgan nur dann in Verdachtsfällen erwähnt werden darf, wenn die von ihm ausgehende Gefahr besonders groß und die Wahrscheinlichkeit, daß der Verdacht zutrifft, besonders hoch ist. Dazu fehlt jede Darlegung im Urteil des Verwaltungsgerichts.

 

e) Falsche Anwendung des Begriffs der freiheitlichen demokratischen Grundordnung

Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, es lägen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht vor, daß von der Klägerin gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen ausgehen, beruht auf einer Verkennung des Begriffs der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Dieser Begriff wird bei der rechtlichen Bewertung einzelner Zitate aus in der JUNGEN FREIHEIT veröffentlichten Beiträgen falsch angewendet oder aber die Zitate werden vom Verwaltungsgericht sinnentstellend interpretiert. Insoweit wird der Sachverhalt falsch gewürdigt. Dies wurde für zwei zentrale Belegstücke, die das Verwaltungsgericht als "tatsächliche Anhaltspunkte": heranzieht, in der Antragsbegründung vom 17.4.1997 näher gezeigt (S.5 Nr. 5 a, b). Was hierbei rechtliche Würdigung und was Sachverhaltswürdigung ist, läßt sich nicht klar unterscheiden. Wenn das Verwaltungsgericht beispielsweise meint, es verstoße gegen die Menschenwürde von Einwanderern, wenn man in einem Artikel die Kosten der Einwanderung zusammenstellt, dann ist dies eher eine – falsche – Anwendung von Art. 1 GG. Man könnte es aber auch für eine falsche Interpretation des Intention dessen, was der Autor hat zum Ausdruck bringen wollen, verstehen, somit als falsche Tatsachenwürdigung. Der Sache nach wird in der Antragsschrift und auch hier beides geltend gemacht.

Zu den weiteren Belegstücken des Verwaltungsgerichts sei folgendes ergänzt:

Das Verwaltungsgericht setzt durchgehend eine einwanderungskritische Einstellung mit einer "ausländerfeindlichen Grundeinstellung" gleich, die für verfassungsfeindlich gehalten wird. Einwanderungskritik, auch wenn sie polemisch ist, verstößt aber weder gegen die Menschenwürde von (potentiellen) Einwanderern noch gegen sonstige Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Deshalb ist es abwegig, in den auf S.25 unten des UA zitierten Äußerungen Verfassungsfeindliches zu sehen. Die Äußerung, daß wir "an der Schwelle eines multikulturellen Bürgerkrieges" stehen, trifft vielleicht nicht zu, verstößt aber gegen niemandes Menschenwürde. Derartiges konnte man übrigens nach der Verhaftung Özalans und den darauf folgenden Kurdenkrawallen kürzlich in vielen etablierten Zeitungen lesen.

Die Zitate auf S. 26 UA Abs. 2 und 3 werden ohne nähere Begründung und Analyse als "in Tonfall und Wortwahl verächtlich machende Äußerungen über Ausländer qualifiziert. Auf diese Weise ist es jedoch nicht möglich, einen Anhaltspunkt für einen Verstoß gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu begründen. Den ersten der beiden Absätze kann man ohne den größeren Zusammenhang in seiner Intention überhaupt nicht verstehen. Und inhaltlich wird hier reine Gefühlsjurisprudenz getrieben: Ein Tonfall und eine Wortwahl, die den Verwaltungsrichtern nicht gefallen, werden für verfassungsfeindlich befunden. Mit Rechtsanwendung hat dies nichts mehr zu tun. Das gilt auch für das zweite Zitat, das ohne weitere Analyse mit dem Hinweis auf Tonfall und Wortwahl als Beleg für Verfassungsfeindlichkeit angesehen wird.

Auch das dann folgende Zitat (UA S.26f.) wird nicht im Hinblick auf konkrete Merkmale der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gewürdigt, sondern – wiederum ohne weitere Begründung – als "besonders diffamierend" bezeichnet. Wer sich die zitierte Polemik genau ansieht, dem werden sich vielleicht die Haare sträuben: Das ist ein politischer Stil, den viele Leser mißbilligen werden. Doch auf politisches Stilgefühl kommt es rechtlich nicht an. Um eine Diffamierung von Ausländern, wie das Verwaltungsgericht meint, handelt es sich offenkundig nicht. Die Polemik richtet sich ihrem Inhalt nach eindeutig nicht gegen Ausländer, sondern gegen einen Typus von wohlmeinenden, die Immigration begrüßenden Deutschen, der häufig als der Typus des "Gutmenschen" charakterisiert wird, weil er seine gute Gesinnung ohne Rücksicht auf praktische Folgen für andere und für die Allgemeinheit verfolgt. Es steht jedem offen, derartige Haltungen – auch polemisch – zu kritisieren. Wo hier eine Diffamierung liegen soll, bleibt unerfindlich.

Das dann folgende Zitat (UA S.27 Abs.3) wird völlig sinnentstellend interpretiert. Liest man das Zitat unbefangen, so ist es eine ironische Kritik an einer in der Bevölkerung vorhandenen Auffassung. Der Autor macht sich diese Auffassung nicht zu eigen. Völlig abwegig ist im übrigen die Annahme des Verwaltungsgerichts, hier werde unterstellt und suggeriert, daß es wünschenswert sei, wenn die erwähnten Ausländer "beseitigt würden". Dieser Satz ist eine eklatante Fehlleistung des Gerichts, die deutlich macht, mit welcher Voreingenommenheit das Gericht die Sache betrachtet hat, versucht doch das Gericht hier, mit dem Begriff der "Beseitigung" schlimmste Assoziationen zu wecken. Das ist Stimmungsmache statt Jurisprudenz. Wenn man überhaupt dem Zitat indirekt entnehmen kann, daß irgend etwas als wünschenswert betrachtet wird, dann, daß die Einwanderung begrenzt wird. Nur zu diesem Zweck kann ja eine "Änderung von Art. 16 GG" als "Wundermittel" in Betracht kommen. Auch hier geht es im übrigen nicht um "Diffamierung wegen ethnischer Zugehörigkeit". Wer daran festhalten will, daß Deutschland kein Einwanderungsland sein soll und daß das Entstehen einer multikulturellen Gesellschaft – soweit das heute noch möglich ist – verhindert wird, betreibt keine verfassungswidrige Politik. Die "Argumentation" des Verwaltungsgerichts wäre nur verständlich, wenn das Grundgesetz die Entstehung einer multikulturellen Gesellschaft und die Öffnung gegenüber Einwanderung aus allen Kulturkreisen als Leitbildung vorschriebe – und zwar als Bestandteil des unabänderlichen Verfassungskerns. Dies trifft offensichtlich nicht zu. Andernfalls wäre übrigens auch die immer noch offizielle Politik der CDU/CSU verfassungswidrig.

Der dann zitierte Leserbrief kann der Klägerin nicht zugerechnet werden. Er ist nicht seitens der Redaktion publiziert worden, sondern im Leserbriefteil. Im übrigen hat die Redaktion durchaus eingesehen, daß die Veröffentlichung eines solchen Leserbriefs eine Entgleisung darstellt. Sie hat im Jahre 1992 stattgefunden – also außerhalb des Berichtszeitraums der mit der Klage angegriffenen Verfassungsschutzberichte -, und seither ist es nicht mehr zur Veröffentlichung eines vergleichbaren Leserbriefs gekommen. Deshalb kann dieser Leserbrief nicht als tatsächlicher Anhaltspunkt für im Jahre 1994 bzw. 1995 bestehende verfassungsfeindliche Bestrebungen angesehen werden.

Falsch ist es auch, aus den Zitaten auf S.28 f. UA Antisemitismus abzulesen. Zum ersten Zitat ("Antisemiten!"): Die Annahme, ein Verbrechen zum Gegenstand einer Satire zu machen, sei immer eine "zynische Herabwürdigung der Opfer" (UA S.29), ist unsinnig. Es kommt immer auf Inhalt und Zielrichtung der Satire an. Im vorliegenden Fall aber trifft schon die tatsächliche Voraussetzung des Arguments des Verwaltungsgerichts nicht zu: Entgegen der Behauptung des Verwaltungsgericht ist gar nicht die "Ermordung von Millionen Menschen" Gegenstand der Satire, sondern Gegenstand der Satire ist der Antisemitismus. Die Satire wendet sich eindeutig gegen Antisemiten und gegen ihre Denkschablonen.

Unzutreffend ist auch die Behauptung des Verwaltungsgerichts, die JUNGE FREIHEIT wolle in dem auf S.29 UA zitierten Artikel die Opfer des Nationalsozialismus lächerlich machen. Was diese Glosse ironisierend angreifen will, sind offenkundig nicht die Opfer, sondern die Art und Weise, wie manche Fernsehsender sich mit dem 50. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz beschäftigten. Zweck der Glosse war es, ein der Opfer würdig gedenkendes Verhalten der Medien einzufordern. Eine andere Frage ist, ob der Autorin dies mit ihren Formulierungen gelungen ist, oder ob sie nicht, indem sie sich Geschmacklosigkeiten anderer scheinbar zu eigen machte, selber die Grenzen des guten Geschmacks überschritten hat. Aber dies hat nichts mit der inhaltlichen Aussage des Artikels zu tun, und der Verfassungsschutz ist kein Wächter über den guten Geschmack. – Wird eine fragwürdige Art und Weise des Gedenkes an den Holocaust ironisch angegriffen (in den Worten des Verwaltungsgerichts: "ins Lächerliche gezogen"), liegt darin nichts Verfassungswidriges. Falls es die Auffassung des Verwaltungsgerichts sein sollte, der Artikel wollte nicht lediglich eine dem Ernst der Sache nicht angemessene Art und Weise der Beschäftigung mit dem Holocaust, sondern jede Beschäftigung mit diesem Thema ins Lächerliche ziehen, so triffl diese Annahme eindeutig nicht zu.

Der auf S.30 oben UA zitierte Artikel ist keineswegs "menschenverachtend". Es handelt sich um einen kabarettistischen Jahresrückblickartikel. Jahresrückblicke, wie sie in Zeitungen üblich sind, sind gerade dadurch gekennzeichnet, daß sie im Telegrammstil wichtige, aber inhaltlich nicht zusammengehörige Ereignisse aneinanderreihen. Dieser Chronikstil wird in dieser Persiflage auf den Arm genommen, indem auf groteske Weise das Aneinanderreihen nicht zusammengehörender Ereignisse auf die Spitze getrieben wird. Daraus abzulesen, wie das Verwaltungsgericht dies durch die Bezugnahme auf die angeblich zutreffende Würdigung im Verfassungsschutzbericht des Beklagten tut, daß hier eine "geistige Nähe zu den Euthanasieprogrammen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft" bestehe, ist abstrus und infam.

Das Verwaltungsgericht versucht dann, der Klägerin eine demokratiefeindliche Zielsetzung anzulasten, indem es aus einigen Artikeln des Autors Kunze zitiert (UA S.30f.). Auf die Zitate folgt folgender Satz: "Das Mehrparteiensystem, dessen Daseinsberechtigung in der in der Bundesrepublik bestehenden Form Kunze zumindest in Zweifel zieht, nimmt als Teilelement des Demokratieprinzips am Schutz durch Art. 20 GG teil." (UA S.3 1 unten) Diese Formulierung verwischt den möglichen Argumentationszusammenhang, indem sie zwei Dinge vermengt: Das Mehrparteiensystem, das als Teilelement des Demokratieprinzips am Schutz durch Art. 20 GG teilnimmt, sowie die in der Bundesrepublik bestehende Form des Mehrparteiensystems. Ein Argument für einen tatsächlichen Anhaltspunkt für eine verfassungsfeindliche Bestrebung läßt sich hier aber nur gewinnen, wenn entweder Autor Kunze die Daseinsberechtigung des Mehrparteiensystems in Zweifel gezogen hätte, oder wenn er zwar nur die konkrete, heute vorhandene Ausprägung des Parteiensystems ins Zweifel gezogen hätte, aber diese konkrete Ausprägung die einzige wäre, die Art. 20 GG gebietet und die also nicht durch eine andere Ausprägung ersetzt werden könnte. Beides ist ganz offenkundig falsch. Richtig ist vielmehr, daß Kunze an keiner Stelle der zitierten Artikel das Mehrparteiensystem in Frage stellt. Vielmehr wendet er sich gegen eine bestimmte Ausprägung des Parteienstaates, was etwas völlig anderes ist. Er stellt also nicht das in Frage, was zum Kernbestand des Art. 20 GG gehört, nämlich die Notwendigkeit mehrerer, gleichberechtigt an der politischen Willensbildung mitwirkender Parteien mit dem Recht auf Bildung und Ausübung einer Opposition und der gleichberechtigten Chance, bei Wahlen die Mehrheit zu gewinnen. Vielmehr setzt er sich dafür ein, daß die Überlagerung des von der Verfassung vorgesehenen gewaltenteilenden Systems durch die Herrschaft der Parteien durch institutionelle Reformen eingeschränkt wird. Dabei setzt er sich für ein Präsidialsystem ein, wie es in Frankreich oder in den USA existiert und wie es mit Art. 79 III und Art. 20 I, II GG ohne weiteres vereinbar wäre. Daß dies nicht zutreffe, sondern daß der Autor ein "tragendes Prinzip des Grundgesetzes diskreditiere", hat das Verwaltungsgericht nur behauptet, aber nicht begründet. Das Prinzip der Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament gehört nur in dem Sinne zu den jeder Verfassungsänderung entzogenen Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, daß die Regierung sich im klassischen Wortsinne vor dem Parlament verantworten, also für ihre Politik Rede und Antwort stehen muß. Kontrollfunktion des Parlaments und Rechtfertigungsbedürftigkeit der Regierungspolitik gegenüber dem Parlament lassen sich dem unabänderlichen Kern der Demokratie i.S. von Art. 20 GG zurechnen. Sie hängen nämlich eng mit dem rechtsstaatlichen Gewaltenteilungsprinzip und mit dem demokratischen Repräsentationsprinzip zusammen. Art. 20 GG legt die Organisation der Staatsgewalt in Deutschland dagegen nicht auf das parlamentarische Regierungssystem in dem Sinne fest, daß die Regierung vom Vertrauen des Parlaments in der Weise abhängig ist, daß sie vom Parlament gewählt wird und durch Mißtrauensvotum des Parlaments gestürzt werden kann. Es ist durchaus möglich, die durch Art. 20 GG gebotene demokratische Legitimation der Regierung in anderer Weise herzustellen als durch die indirekte Legitimation über das Parlament.

Das Verwaltungsgericht beruft sich in diesem Zusammenhang zu Unrecht auf das Bundesverfassungsgericht. In den zitierten Entscheidungen wird keineswegs das jetzt geltende System der Wahl und möglichen Abwahl der Regierung durch das Parlament zum unantastbaren Verfassungskern gerechnet. Vielmehr sagt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich, daß es nicht auf eine bestimmte Form der Legitimation ankomme, sondern auf ein bestimmtes Legitimationsniveau. Dieses ergebe sich aus dem Zusammenwirken unterschiedlicher Elemente der Legitimation.l9 Das Verwaltungsgericht verkennt also in ganz eklatanter Weise die Anforderungen des Art. 20 GG.

Auch der Hinweis auf Artikel über die – wie das Verwaltungsgericht in ziemlich unsachgemäßer und ideengeschichtliche Unkenntnis offenbarender Weise formuliert – "Idee der sog. 'Konservativen Revolution"' (UA S.32f.) ist nicht geeignet, Anhaltspunkte für einen hinreichenden Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen aufzuzeigen. Das Grundgesetz verlangt nicht, sich in jedem Artikel über einen Denker, der auch antidemokratische Ideen vertreten hat, von diesen Ideen oder von diesem Denker ausdrücklich zu distanzieren. Beispielsweise findet man in den vielen Artikeln die jetzt zum Goethe-Jahr erscheinen oder die in den letzten 50 Jahren über Goethe in der Presse erschienen sind, keine Distanzierung von dessen aus heutiger Sicht verfassungsfeindlichen politischen Ideen. Das wäre auch nur lächerlich. Aus heutiger Sicht ist entscheidend, warum man sich jetzt mit einem Denker und mit dessen Ideen befaßt, welche Ideen man als historisch, aus ihrer zeitlichen Bedingtheit heraus darstellt, welche man als Modell für die heutige Zeit oder für die Zukunft weitergibt usw. Wenn beispielsweise die Beschäftigung mit Carl Schmitt heute in der staatsrechtlichen Literatur eine Flut von Sekundärliteratur hervorgebracht hat, wie sie wohl keinem anderen Staatsrechtler dieses Jahrhunderts zuteil geworden ist, und wenn ein großer Teil dieser Literatur nicht etwa nur kritisch-distanzierend ist, sondern um eine Fortentwicklung Schmittscher Ideen bemüht ist, dann liegt das nicht etwa, wie das Verwaltungsgericht wohl vermuten müßte, an einer demokratiefeindlichen Einstellung der betreffenden Autoren, sondern daran, daß Schmitt durchaus Anreger auch für eine demokratische Verfassungstheorie sein kann. Dies bezeugt der Umstand, daß etliche renommierte Autoren, über deren demokratische Gesinnung nicht der geringste Zweifel bestehen kann, viel von Schmitt gelernt haben.20 Entsprechendes gilt für andere Denker, die der "Konservativen Revolution" zugerechnet werden. Wenn – um hier nur noch ein weiteres Beispiel zu nennen – Francois Mitterrand und Helmut Kohl den wohl bedeutendsten Exponenten der Konservativen Revolution, den Dichter Ernst Jünger, in seinem Haus aufsuchen oder wenn die baden-württembergische Landesregierung einen großen Empfang zu Jüngers 100. Geburtstag ausrichtet, dann findet das zwar auch die übliche Kritik in der linken Presse, aber es kommt doch niemand auf den Gedanken, darin tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen beim Bundeskanzler oder beim Stuttgarter Ministerpräsidenten zu sehen. Ebenso muß es erlaubt sein, auch andere bedeutende Vertreter der Konservativen Revolution zu würdigen, ohne daß daraus gleich der Schluß gezogen wird, man wolle sich mit deren in der Weimarer Zeit geäußerten antidemokratischen Gedanken identifizieren.

Wollte man also aus Artikeln über die Konservative Revolution Anhaltspunkte für Verfassungswidriges ableiten, so müßte man im Hinblick auf jeden einzelnen Artikel aufzeigen, ob und inwiefern dort eine Identifizierung mit antidemokratischen Zielsetzungen gegeben ist. Dies hat das Verwaltungsgericht nicht getan. Es wäre auch nicht möglich, weil es eine solche Identifizierung in der JUNGEN FREIHEIT nicht gibt. Statt einen Beweis zu führen, behauptet das Verwaltungsgericht pauschal, daß die Beiträge "den Eindruck einer Identifikation mit dieser Denkschule" vermittelten (UA S.33). Eine solche pauschale, nicht begründete These ist nicht geeignet, eine antidemokratische Zielsetzung der Zeitung zu begründen oder auch nur den geringsten Anhaltspunkt hierfür zu liefern. Sie erfüllt nicht die Mindestanforderungen an eine juristische Sachverhaltswürdigung und an eine juristische Subsumtion unter den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Anders als im mittelalterlichen Inquisitionsprozeß zählen im Rechtsstaat nicht Unterstellungen, sondern nur bewiesene Fakten. Darüber setzt sich das Verwaltungsgericht in einer Weise hinweg, die die Begründung als evident falsch erscheinen läßt.

Abgesehen hiervon ist die These auch deshalb absurd, weil es die "Konservative Revolution" als "Denkschule" überhaupt nicht gibt, sondern was unter diesem Begriff zusammengefaßt wird, sind in sich sehr heterogene und einander widersprechende Denkrichtungen. Es ist logisch unmöglich, sich mit allen diesen Denkrichtungen gleichzeitig zu identifizieren.

Schließlich ergibt sich eine antidemokratische Tendenz der Beschäftigung mit Autoren der "Konservativen Revolution" auch nicht aus dem auf S.33 UA abgedruckten Zitat, das sich auf die Rezeption Carl Schmitts bezieht. Auch dieses Zitat läßt nichts Verfassungswidriges erkennen. Es läßt sich aus diesem Zitat insbesondere nicht – wie das Verwaltungsgericht zu suggerieren sucht – eine antidemokratische Zielrichtung erkennen. Und es wird hier nicht etwa zur Mißachtung des Grundgesetzes aufgerufen. Vielmehr wird auf unterschiedliche Politikkonzeptionen abgestellt: Wenn Politik als bloßer Verfassungsvollzug verstanden wird, dann fehlt ihr nach Ansicht des Autors eine Komponente, die ihr nach Carl Schmitt zukommt; dann wird die Verfassung, wie er sich ausdrückt, zum Gefängnis der Politik. Dies aber ist ein selbstgewähltes Gefängnis, weil nach richtiger – auch vom Bundesverfassungsgericht immer wieder betonter Auffassung – die Verfassung nicht Programm, sondern Rahmenordnung der Politik ist, die den zuständigen Verfassungsorganen weite Gestaltungsspielräume offenläßt.Legt man dieses Verständnis des Zitats zugrunde, das nach Wortlaut und Sinnzusammenhang naheliegt – denn der Gegensatz der Politikkonzeptionen der Verfassung als Programm und der Verfassung als Rahmenordnung ist ein altes Thema Carl Schmitts und seiner Schule -, dann handelt es sich um eine zwar polemische Zuspitzung einer These, aber doch einer These, die als solche nicht verfassungswidrig ist. Im Vergleich zu dem, was seit der Abfassung dieses Zitats – es stammt aus dem Jahre 1992 – die politische Praxis der Bundesregierung unter Billigung des Bundestages und des Bundesverfassungsgerichts zum Thema dieses Zitats getan haben, handelt es sich sogar um eine ziemlich zurückhaltende und harmlose Variante. Man denke nur an das Thema des Einsatzes der Bundeswehr im Ausland außerhalb des Verteidigungs- oder Bündnisfalls. Dies war nach früher ganz herrschender Auffassung verfassungswidrig. Die Bundesregierung hat sich über alle verfassungsrechtlichen Bedenken hinweggesetzt, um außenpolitische Handlungsfreiheit zu gewinnen. Sie hat sich in diesem Sinne aus dem "Gefängnis" eines eng verstandenen, allein am herkömmlichen Verständnis des Grundgesetzes orientierten Denkens befreit. Sie hat ziemlich kühn die Auffassung vertreten, daß unter gewandelten politischen Verhältnisssen sich auch das Verständnis des Grundgesetzes in einem so zentralen Punkte ändern müsse. Und das Bundesverfassungsgericht hat dies durch eine sehr problematische Auslegung des Grundgesetzes, die am Wortlaut des Art. 87a I und II GG vorbeigeht, "abgesegnet". Dies ist sehr viel problematischer als das, was der JF-Autor mit jenem Zitat gesagt hat.

Im übrigen hat das Bundesverfassungsgericht gesagt, daß in einer freiheitlichen Demokratie zur Meinungsfreiheit gehöre, daß Meinungsäußerungen im Zweifel so auszulegen seien, daß sie nicht rechtswidrig sind. Wenn mehrere Deutungsmöglichkeiten gegeben seien, dürften die Gerichte eine zur Bestrafung führende Deutungsmöglichkeit nur dann zugrunde legen, wenn sie die anderen Deutungsmöglichkeiten zuvor mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen hätten.21 Dies muß auch für außerstrafrechtliche Sanktionen und sonstige Nachteilszufügungen gelten. Die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht dient der Bekämpfung von Bestrebungen. Auch hier muß daher gelten, daß im Zweifel die verfassungsmäßige Auslegungsmöglichkeit zugrunde zu legen ist. Jedenfalls darf nicht ohne nähere Begründung die verfassungswidrige Auslegungsmöglichkeit unterstellt werden. Gegen dieses Prinzip hat das Verwaltungsgericht an dieser Stelle und auch an anderen Stellen eklatant verstoßen.

Somit ist es dem Verwaltungsgericht insgesamt nicht gelungen, tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen seitens der Klägerin nachzuweisen.

Für den Zweck des Zulassungsverfahrens reicht hier die Erkenntnis, daß die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Würdigungen so komplex sind, daß dazu die Durchführung eines Berufungsverfahrens erforderlich ist. Die Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgericht sind wegen der dargelegten Begründungsmängel auch unter dem Aspekt der einzelnen "tatsächlichen Anhaltspunkte" und ihrer Gesamtwürdigung so groß, daß die Prognose für den Ausgang des Berufungsverfahrens zumindest offen ist, wenn sie nicht sogar ein deutliches Übergewicht zugunsten der Klägerin ergibt. (...)

 

Anmerkungen:

13 Vgl. dazu Murswiek, DVBI. 1997, 1021 (1029f.).

14 Vgl. z.B. BVerwGE 7 lm 183 (189ff.) - Transparenzlisten; 82, 76 (79) - TM; bestätigt durch BVerwG, NVwZ 1994, 162 (163);BVerwGE87, 37 (41ff.) -Glykol, 90, 112 (118ff.) -Osho;BVerwG,DVBI. 1996, 807 -Warentests; NJW 1997, 1996ff. - Kritik an wissenschaftlichen Arbeiten.

15 Vgl. z.B. Heintzen, VerwArch. 1990, 548f.; Schoch, DVBI. 1991, 667; Di Fabio, JuS 1997, lf.; Murswiek, DVBI. 1997, 1021ff.

16 Vgl. Murswiek, DVBI. 1997, 1021 (1029f.).

17 Dazu eingehend Murswiek, DVBI. 1997, 1021ff.

18 Vgl. z.B. VGHMünchen, 3.8.1993, NJW 1993, 3090.

19 BVerfGE 83, 60 (72).

20 Als Beispiel sei der ehemalige Bundesverfassungsrichter Böckenförde genannt, vgl. z.B. in: ders., Recht, Staat, Freiheit, 1991, S.67ff., 92ff., 344ff.

21 BVerfG, NJW 1994, 2943


 
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